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Macht über Italiens Lebensmittelproduktion
Die Mafia auf unseren Tellern

Eine trügerische Idylle: Die Kühe im Naturpark der Nebrodi sind oft Freiwild für die Mafia. Zehntausende stehlen die Clans, jedes Jahr.
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Messina, die hässliche. Von allen Städten Italiens ist sie eine der trübsten, obschon ihr Rahmen ja bezaubernd ist, vorne Meer, hinten Berg. Jede halbe Stunde legt eine Fähre ab und eine an, hin und her zwischen Sizilien und dem italienischen Festland. Für ihre Hässlichkeit kann sie nicht viel. 1908 wurde Messina fast ganz zerstört von einem schlimmen Erdbeben. Der Wiederaufbau war eine Jahrhundertanstrengung, es ging auch viel schief dabei, fertig wurde er nie ganz. Noch heute leben Menschen in kleinen Häusern, die einmal als provisorische Unterbringungen gedacht waren. Aber immerhin, so sagte man sich immer, ist bei uns die Mafia nicht so mächtig wie in Palermo und Catania, wenn es sie denn überhaupt gibt. Es war eine süsse Lüge, eine Selbstlüge.

In Messina nennt man sie auch Mafia dei pascoli, Mafia der Weiden, wobei es ihr nicht so sehr ums Weiden von Vieh geht, sondern ums Abgrasen von gigantischen Summen öffentlicher Zuschüsse für die Landwirtschaft, und die kommen vor allem aus dem Topf der Europäischen Union.

Die Mafia der Weiden hat ein tolles Tummelfeld, einen Naturpark von rarer und wilder Schönheit im Gebirge der Nebrodi, einem Ausläufer des Apennins im Hinterland von Messina. Von den Anhöhen der Nebrodi sieht man die Äolischen Inseln: Salina, Stromboli, Filicudi, Alicudi, Lipari, Vulcano, Panarea, die ganze Idylle. Dabei ist das keine friedliche Ecke. Im Bauch der Erde rumort und brodelt es ständig, da reiben sich tektonische Platten aneinander. Und das nährt die Vulkane in der Gegend. Auch den Ätna sieht man von den Nebrodi, und der sorgt immer wieder für Spektakel, mit Feuer und Rauch. Schön und gefährlich.

«Mafia der Weiden» ist keine offizielle Bezeichnung, eher eine journalistische Erfindung, die sich langsam institutionalisierte. Ihr Sinn ergibt sich aus der fast unglaublichen Geschichte des Nationalparks, der Lunge Siziliens. Ein Paradies für Wanderer, mit Seen, Wasserfällen, wohlriechenden Wäldern und einer Vielfalt an Pflanzen und Tieren. Die grüne Pistazie von Bronte zum Beispiel kommt von hier. Sie ist eine Köstlichkeit, von Gütesiegeln geschützt und teuer gehandelt, in Sizilien machen sie daraus ein Pistazienpesto. Auch das Nero siciliano kommt von hier, besser bekannt unter dem Namen «Schwarzes Schwein aus den Nebrodi». Es ist dem Wildschwein nicht unähnlich, seine Schlachtprodukte sind Delikatessen.

Immer schon ein Rückzugsgebiet für gesuchte Mafiabosse: Der Parco dei Nebrodi – hier eine byzantinische Kirche in San Marco.  

Den örtlichen Clans von Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia, diente dieses Eden immer schon als Rückzugsgebiet, es bot schier unendlich viele Verstecke für Bosse auf der Flucht. Die 24 Gemeinden auf dem Gebiet des Parks und ihre Behörden bekamen die Präsenz der Mafia stark zu spüren, die Furcht machte viele Menschen stumm.

Auch die Corleonesi begannen als Viehdiebe

Am meisten Angst vor den Clans haben die Bauern. Sie fürchten um ihre Tiere, die Pferde, die Lämmer, vor allem aber um die Kühe. Viehdiebstahl ist ein altes Mittel der Mafia, um weitläufige Landstriche zu kontrollieren und zu terrorisieren. In Sizilien allein, das von allen italienischen Regionen am stärksten betroffen ist von dem Phänomen, verschwinden jedes Jahr Zehntausende Tiere, scheinbar spurlos. Die Familien Riina und Provenzano aus Corleone, einst die Herrscherclans auf der Insel, hatten ihre kriminellen Karrieren mit Viehdiebstahl begonnen.

Die Bauern in den Nebrodi wissen, wer ihnen die Tiere wegnimmt, doch nur wenige haben den Mut, die Diebe anzuzeigen. Wenn mal ein Polizeiauto auf ihren Höfen gestanden hat, sind sie für immer gezeichnet. Dann kommt noch mehr Vieh weg, dann brennt in der Nacht auch mal die Scheune ab. Die Mafia warnt ihre Opfer oft mit getöteten Tieren, mit abgetrennten Ziegenköpfen zum Beispiel, die sie ihnen nach Hause schickt. Oder mit Katzenköpfen, Schweineköpfen, mit Vögeln ohne Kopf. Manchmal tötet sie auch Haustiere, um die Menschen in ihren innersten Affekten zu treffen, und um ihnen zu zeigen, dass sie schon ganz nahe ist – im Garten, zu allem fähig.

Die klandestinen Schlachtereien der Mafia

In den Nebrodi stiehlt die Mafia aber nicht nur, um die Bauern einzuschüchtern: Sie schlachtet die Tiere auch in ihren eigenen, klandestinen Schlachthöfen. Ohne jede Kontrolle. Weder schauen dort Veterinäre vorbei, noch werden die Normen für Hygiene und tiergerechte Schlachtung respektiert. Das italienische Fernsehen zeigte schon Bilder aus solchen Maccellerie clandestine, es sind schreckliche Bilder aus Hinterhöfen und verlassenen Fabrikhallen. Man sieht darauf Felltürme, Blutlachen, haufenweise Kadaver und das improvisierte Schlachtarsenal der Clans.

Cosa Nostra handelt mit dem Fleisch. Fleisch aus den Nebrodi ist gefragt, Bio im besten Sinn: Im Naturpark bewegen sich die Tiere so frei wie sonst kaum woanders, auf schier endlosen Weiden. Rosario Crocetta, ein früherer Gouverneur Siziliens, nannte das Geschäft mit den gestohlenen und illegal geschlachteten Tieren ein «Milliardenbusiness» von Cosa Nostra, dessen Herz in den Nebrodi schlage.

Die Fahnder nannten sich «Team der Vegetarier»

Interessant für das Geschäft waren in der Vergangenheit nicht nur die gesunden Tiere der Bauern, sondern auch die kranken – die mit Tuberkulose oder Brucellose. Die waren sogar besonders interessant, weil der Staat die Betriebe für ihren Verlust mit hohen Prämien entschädigte. Natürlich sollten die Tiere dann jeweils unter Aufsicht geschlachtet werden, und zwar ganze Herden von ihnen, um die Ausbreitung von Krankheiten zu bremsen. Doch das passierte längst nicht immer. In manchen Fällen wurden die Prämien kassiert, die Tiere geschlachtet und das Fleisch auf den lokalen Markt gebracht. Die Mafia konnte auf Tierärzte zählen, die dafür die nötigen Dokumente fälschten.

Sein Protokoll trägt ihm viel Ehre ein – und ärgert die Mafia: Giuseppe Antoci, früherer Präsident des Parks.

Das eigentliche Problem im Park aber war ein anderes, es handelte vom Betrug mit europäischen Fördergeldern im ganz grossen Stil und das schon seit der Jahrhundertwende. Der italienische Staat liess das Treiben lange Zeit einfach geschehen, bis 2013. Damals erhielt der Nationalpark einen neuen Präsidenten. Die Aufgabe ist ein Nebenamt, schlecht bezahlt, 730 Euro im Monat, man nimmt es aus Passion wahr. Giuseppe Antoci, so hiess der neue Mann, war Filialleiter einer Regionalbank und politisch unabhängig. Ein kleiner Mann mit rundem, kahlem Kopf.

Antoci sagt heute, er habe ja keine Ahnung gehabt, was ihn da erwartete: «Mir lag nur der Schutz der Natur am Herzen.» Man sagte ihm: «Könnten Sie den Park ein bisschen in Ordnung bringen?» Zumindest den Behörden war also bekannt, dass da etwas nicht stimmte. Die Mafia der Weiden hatte sich ein teuflisch geniales Geschäft aufgebaut, eines mit 2000-prozentiger Gewinnmarge, an dem sie sich nicht einmal die Hände schmutzig machen musste, jedenfalls nicht so wie beim Drogenhandel und beim Eintreiben von Schutzgeld.

«Wenn sie aufmucken, wenn sie sich uns in den Weg stellen, töten wir sie, alle, dann ist es vorbei – basta.»

Ein Boss der Nebrodi

Nach einigen Monaten hatte Antoci das System durchschaut, ein Polizist und ein Bürgermeister halfen ihm dabei. Es ging so: Alle grossen Mafiafamilien Siziliens mieteten staatliches Pachtland im Park und kassierten dafür Subventionen aus dem Landwirtschaftsfonds der EU, ohne sich um das Land zu kümmern. Die Idee der Zuschüsse ist es, Bauern zu unterstützen, die in wirtschaftsschwachen oder schwer zugänglichen Gebieten arbeiten. Solche Bauern gibt es in den Nebrodi viele, sie erfüllen beide Kriterien: Die meisten sind arm, und sie arbeiten in den Bergen.

Die Mafia verdrängte und bedrohte sie, bis sie ganz still waren. Einmal hörten die Ermittler zu, wie ein Boss aus den Nebrodi seine Macht beschrieb: «Wir können denen da, den Dörflern, die Grundstücke wegnehmen, alles können wir ihnen wegnehmen, und sie müssen still sein. Denn wenn sie aufmucken, wenn sie sich uns in den Weg stellen, töten wir sie, alle, dann ist es vorbei – basta.»

Auf dem Pachtland der Mafia weideten keine Tiere, es wurden darauf auch keine Bioprodukte hergestellt. Oft schauten die Pächter nicht einmal vorbei, neue Jobs schufen sie auch nicht. Antoci rechnete vor, wie viel Geld die Mafia mit diesem System allein auf Sizilien über die Jahre verdient haben könnte – sauberes, öffentliches Geld, überwiesen aufs Bankkonto. Er kam auf drei Milliarden Euro in zehn Jahren. Und so setzte sich Giuseppe Antoci hin und arbeitete ein Protokoll gegen die Mafia aus. Es trug ihm viel Ehre ein. Und ein Leben in der Hölle.