Historischer Erfolg der Guten DiensteDie letzte Kalaschnikow – wie ein Schweizer Frieden stiftete
Nach jahrzehntelangem Kampf haben in Moçambique die letzten Rebellen ihre Waffen abgegeben. Mittendrin: der Schweizer Diplomat Mirko Manzoni. Eine Hoffnungsgeschichte in einer kriegerischen Zeit.
Am 15. Juni im afrikanischen Busch. Ein paar Funktionäre suchen unter einem Zeltdach Schutz vor der sengenden Sonne. Vor dem Zelt ein Rednerpult, an dem zwei ältere Männer stehen: Filipe Nyusi, der Staatspräsident von Moçambique, und Ossufo Momade, Chef der Rebellengruppe Renamo, die seit den 1970er-Jahren gegen die Regierung gekämpft hat. In der Hand des Guerillaführers: eine Kalaschnikow.
Der Rebellenchef drückt dem Staatschef das Gewehr in die Hand und sagt: «Hiermit übergebe ich die letzte Waffe dem Präsidenten der Republik.» Die Funktionäre unter dem Zeltdach applaudieren. «Eine historische Geste», jubelt ein TV-Reporter. Aus dem fernen New York wird UNO-Generalsekretär António Guterres wenig später twittern: «Ich gratuliere Moçambique und seinen Menschen zur Schliessung der letzten Renamo-Basis.»
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Es kommt nicht oft vor, dass der UNO-Generalsekretär solche guten Nachrichten vertwittern kann. Seine tägliche Realität sind jene Kriege, in denen es kaum Hoffnung auf Frieden gibt: Ukraine, Myanmar, Syrien, Mali oder Sudan. Nun schreibt Guterres in seinem Tweet, Moçambique zeige, «dass es immer möglich ist, den Frieden zu wählen».
Unter dem Zeltdach im Busch steht auch ein Schweizer: Mirko Manzoni, bis 2019 im Aussendepartement EDA angestellt, seitdem persönlicher Gesandter des UNO-Generalsekretärs. Nun tritt Manzoni selber ans Rednerpult. Der 55-jährige Tessiner preist den Staatschef und den Guerillaführer für ihre Entschlossenheit, die zum Friedensschluss geführt hätten.
Doch alle Anwesenden wissen: Dieser Frieden, er ist auch Mirko Manzonis Verdienst. Die symbolische Waffenübergabe im Busch markiert für die Schweiz den wohl grössten Erfolg ihrer Guten Dienste seit mindestens zwanzig Jahren. Damals, 2002, vermittelte der Schweizer Diplomat Josef Bucher das Bürgenstock-Abkommen zum Südsudan. (Lesen Sie hier mehr zur Geschichte der Guten Dienste).
2014 war Manzoni als Botschafter nach Moçambique gekommen. Einen Auftrag, dort als Mediator tätig zu werden, hatte er nicht mitgebracht, im EDA in Bern dachte man eher an konsularische Dienste und Entwicklungshilfe. Doch Manzoni fand seinen Auftrag selber, als er 2016 von Staatspräsident Nyusi darum gebeten wurde, eine Vermittlerrolle zu übernehmen.
Eine Mission wie aus einer Netflix-Serie
Manzoni nimmt die Herausforderung an. Er beginnt eine Mission wie aus einer Netflix-Serie. In drei Jahren reist er 30-mal zwischen dem Präsidentenpalast in der Hauptstadt Maputo und dem Rebellenhauptquartier im abgelegenen Gorongosa-Nationalpark hin und her, 1000 Kilometer pro Weg, teilweise mit dem Motorrad auf schmalen Fusspfaden durch den Busch.
Diese Zeitung hat Manzonis spektakuläre Pendeldiplomatie 2019 in einer Artikelserie nachgezeichnet (Lesen Sie hier den ersten Teil der Serie: Schweizer Diplomat beendet jahrzehntelangen Krieg in Afrika). Im August 2019 war das erste Ziel erreicht: In Maputo, der Hauptstadt von Moçambique, wurde ein Friedensabkommen unterzeichnet; aus Bern war dafür eigens Aussenminister Ignazio Cassis angereist.
Doch das Abkommen war nur der erste Schritt, wie Manzoni diese Woche am Telefon erzählt. Der zweite Schritt nahm noch einmal vier Jahre in Anspruch und bestand darin, dem toten Vertragstext Leben einzuhauchen. Die politische Dezentralisierung des Landes, welche die Regierung den Rebellen zugesichert hatte, musste in Gesetze gegossen und umgesetzt werden. Über 5000 Rebellen mussten demobilisiert werden. Immer wieder gab es Rückschläge, etwa, als im Dezember 2022 Teile der Renamo sich zunächst weigerten, die letzte ihrer 16 Basen aufzugeben.
Mit der UNO statt mit dem EDA
Doch diesen Teil der Arbeit konnte Manzoni nicht mehr als Schweizer Diplomat erledigen. Im Laufe seiner Friedensbemühungen war es zu Konflikten mit seinen direkten Vorgesetzten in der EDA-Zentrale gekommen. 2019, nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens, wollte das EDA Manzoni sogar aus Moçambique abberufen. Doch der UNO-Generalsekretär persönlich intervenierte: Guterres ernannte Manzoni zu seinem persönlichen Gesandten für Moçambique. Nur dank Guterres konnte Manzoni den Friedensprozess überhaupt bis zum Ende begleiten.
Unterstützt wurde er von der kenianischen Mediatorin Neha Sanghrajka und rund 35 weiteren Mitarbeitenden im «Friedensprozess-Sekretariat» in Maputo. Auch das EDA übernahm, trotz den Misstönen zuvor, wieder eine Schlüsselrolle. Es finanzierte nicht nur Manzonis Lohn bei der UNO, sondern zahlte einen substanziellen Teil der Kosten. Fast 20 Millionen Franken habe das EDA seit 2017 investiert, sagt Botschafter Simon Geissbühler, seit drei Jahren Leiter der zuständigen Abteilung Frieden und Menschenrechte im EDA.
«Es gelingt Vermittlern sehr selten, einen Konflikt auf diese Weise zu lösen.»
Grosse Teile dieser Gelder seien in die Demobilisierung, Entwaffnung und soziale Reintegration der Rebellen geflossen, sagt Manzoni. Jeder Kämpfer und jede Kämpferin bekam ein «Reintegrationspaket». Dieses bestand aus Kleidern, Material für den Hausbau und Geld für ein Jahr.
Die Lösung: Eine Rente für die Guerilla
Parallel dazu arbeiteten Manzoni und seine Leute mit der Regierung zusammen, um die Rebellen dauerhaft zu integrieren. Im März 2023 verfügte die Regierung, dass die früheren Guerillakämpfer künftig Anspruch auf eine Regierungsrente haben – eine pionierhafte Lösung, so Manzoni.
Ein Team verifizierte ständig, dass die Rebellenarmee nicht trickst und ihre Militärbasen tatsächlich aufgibt. «Wir setzten dafür auch Drohnen ein», erzählt Manzoni.
Die symbolische Waffenübergabe war am 15. Juni. Heute Freitagnachmittag wird dies in Maputo offiziell gefeiert. Auch Bundespräsident Alain Berset, der Moçambique bereits im Februar besucht hatte, wäre zum Festakt eingeladen gewesen – doch Berset hatte diese Woche anderes zu tun. An seiner Stelle flog der EDA-Diplomat Simon Geissbühler nach Maputo. Dort traf er auch Staatspräsident Nyusi zu einer Unterredung.
Die Differenzen, die es während des Friedensprozesses zwischen Manzoni und der Berner Zentrale zum Teil gegeben habe, «seien auch strukturell bedingt gewesen», sagte Geissbühler vor dem Abflug. Seine Abteilung sei heute anders aufgestellt, wenn sich für die Schweizer Diplomatie die Möglichkeit eröffne, in einem Konflikt eine Vermittlerrolle zu übernehmen. Für solche Fälle stelle er ein Rapid Action Team zusammen, das vor Ort rasch abklären könne, ob, wie und mit welchen Ressourcen die Schweiz vermitteln könnte.
Aus Geissbühlers Sicht ist der Abschluss des Friedensprozesses in Moçambique nicht nur für die Schweizer Diplomatie etwas Besonderes. «Es gelingt Vermittlern sehr selten, einen Konflikt auf diese Weise zu lösen.»
Manzonis Mandat bei der UNO läuft noch bis Oktober. Teile des «Friedensprozess-Sekretariats» werden noch bis Ende 2024 administrative Arbeiten ausführen. Manzoni selber kehrt in den Schoss der Schweizer Diplomatie zurück – vor kurzem hat ihn der Bundesrat zum Botschafter in Südafrika ernannt.
Doch Manzoni sagt: «Wenn man mich nochmals irgendwo für eine Vermittlungsmission braucht, übernehme ich sie sofort. Ich würde überall hingehen.»
Wenn es sein muss, auch mit dem Motorrad.
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