Kommentar zum LehrerinnenmangelDie Lehrer haben einen falschen Stolz
Die Warnungen der Schulen verhallen zunehmend. Nun will der Dachverband die Politik wachrütteln. Doch er sollte sich auch an der eigenen Nase nehmen.
Stellen Sie sich vor, Sie wären gelernte Schneiderin, hätten drei Kinder und entschieden sich mit 45 Jahren, Lehrerin zu werden. Ohne Ausbildung stehen Sie ab nächstem Montag vor 20 pubertierenden Kindern.
Mutig, oder?
Schliesslich werden überall händeringend Lehrpersonen gesucht. Und deshalb auch Schneiderinnen oder Polymechaniker eingestellt, die gar kein Lehrdiplom haben.
Dass dies eine Notlösung ist und nicht zum «Dauerzustand» werden darf, wovor der Lehrer-Dachverband warnt, ist richtig. Dass der Verband deswegen wieder zum alljährlichen (oder mittlerweile halbjährlichen) Klagelied über die erodierende Bildungsqualität ansetzt, zeugt hingegen von einem falschen Stolz.
Denn Fakt ist: Rund 1000 Menschen ohne Lehrerstudium stehen ab nächsten Montag in den Berner Klassenzimmern. Und halb so viele erwartet man in der Woche darauf an den Zürcher Schulen. Sie alle sind gewillt, die Fachkräfte von morgen auszubilden. Ihnen muss man mit tieferen Hürden entgegenkommen.
Es steht ausser Frage, dass eine adäquate Ausbildung zum Unterrichten notwendig ist. Dass die wenigsten ein Studium an der PH nachholen, haben sich die Lehrerverbände und Kantone selbst zuzuschreiben.
Letztere beharren auf hohen Hürden: Keine dreijährige Ausbildung nach der obligatorischen Schulzeit? Keine drei Jahre Berufserfahrung? Dann werden Laien in Zürich noch nicht mal zum speziell für Diplomlose kreierten Aufnahmeverfahren zugelassen. Kein Wunder, starten im September gerade mal 19 Personen nach einem solchen Verfahren ihre Ausbildung.
«Es braucht Anreize wie finanzielle Unterstützung oder flexiblere Studienmodelle.»
Die Lehrerverbände ihrerseits blenden aus: Eine dreifache Familienmutter kann es sich schlicht nicht leisten, drei Jahre auf den Lohn zu verzichten. Und die Kinderbetreuung muss auch organisiert sein.
Hier gilt es anzusetzen: Es braucht Anreize wie finanzielle Unterstützung oder flexiblere Studienmodelle.
Mit dem angekündigten «Aktionsplan Bildungsqualität» gehen die Lehrerverbände endlich vom Jammern ins Handeln über. Dass die Pädagogischen Hochschulen nicht Teil davon sind, ist hingegen fragwürdig. Dort nämlich sollten die Bedürfnisse der Schneiderin abgeholt werden, damit sie Familie, Lehrerberuf und Studium unter einen Hut bringt.
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