Kommentar zur BundesratswahlDie Landesregierung ist aus dem Gleichgewicht
Im neu gewählten Bundesrat mit Elisabeth Baume-Schneider und Albert Rösti ist die urbane Deutschschweiz nicht mehr vertreten. Das Parlament muss diesen Zustand 2023 korrigieren.
Elisabeth Baume-Schneider: Bis vor etwa fünf Wochen kannte jenseits der jurassischen Kantonsgrenzen praktisch niemand diesen Namen. Jetzt ist die 58-jährige Ständerätin zur Nachfolgerin von SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga gewählt worden. Als Aussenseiterin gestartet, vermochte sie mit gewinnendem Auftreten ihre ursprünglich klar favorisierte Konkurrentin Eva Herzog zu überholen. Zugleich erhält der Jura, der jüngste aller Schweizer Kantone, seine erste Vertretung im Bundesrat.
Neben dieser Sensation nimmt sich die Ersatzwahl für SVP-Bundesrat Ueli Maurer fast schon langweilig aus. Dem ehemaligen Parteipräsidenten Albert Rösti waren von Anfang an die besten Chancen attestiert worden; entsprechend souverän setzte er sich am Mittwoch im ersten Wahlgang durch.
Sowohl Rösti als auch Baume-Schneider sind qualifizierte Persönlichkeiten. Trotzdem war dieser Mittwoch kein guter Tag für die Schweiz. Im neuen Bundesrat werden nun drei Romands und ein Tessiner sitzen; Albert Rösti und Viola Amherd wiederum vertreten die zweisprachigen Kantone Bern und Wallis. Verbleibt als einsame St. Gallerin die Freisinnige Karin Keller-Sutter. Nie in der Geschichte war die Deutschschweiz, in der 70 Prozent der Bevölkerung leben, derart untervertreten im Bundesrat wie jetzt nach dieser Wahl.
Die Fortschrittsmotoren des Landes sind nicht mehr vertreten.
Verhängnisvoller noch: Sowohl Rösti als auch Baume-Schneider verfügen über einen landwirtschaftlichen Hintergrund. Sie gesellen sich zu Guy Parmelin (SVP), dem gelernten Winzer. Gemeinsam werden sie im Bundesrat der Bauernlobby ein Gewicht verschaffen, das in keinem sinnvollen Verhältnis zur geringen Bedeutung des Agrarsektors steht.
Die grossen Städte wie Zürich und Basel hingegen, die eigentlichen Fortschrittsmotoren des Landes: Sie sind im Bundesrat überhaupt nicht mehr vertreten. Millionen von Menschen, die im urbanen Grossraum leben, arbeiten und die Schweiz voranbringen, die Wohlstand für uns alle schaffen: Sie werden in der Landesregierung ohne Stimme bleiben, haben dort niemanden, der ihre Lebenswelt und ihre Probleme aus eigener Anschauung kennt, niemanden, der ihre Optik in die Lösungssuche einbringt.
Der Bundesrat wird nun Zerrbild statt Abbild.
Der Bundesrat sollte ein Abbild der Schweizer Bevölkerung sein. Faktisch wird er nun Zerrbild statt Abbild. Dieser Zustand darf nicht lange andauern. In einem ersten Schritt ist jetzt das Regierungsgremium selber gefordert, wenn es am Donnerstag die Departemente unter sich aufteilt. In den letzten Tagen wurde spekuliert, dass Alain Berset (SP) und Guy Parmelin (SVP) möglicherweise ihre angestammten Departemente verlassen möchten. Beide könnten sich durch einen Wechsel noch einige weitere Jahre im Bundesrat sichern.
Die Wahl von Baume-Schneider und Rösti ändert die Ausgangslage. Berset, seit elf Jahren Innenminister, und der 63-jährige Wirtschaftsminister Parmelin sollten in ihren Departementen verbleiben – und bei der Gesamterneuerungswahl 2023 zurücktreten. Bei dieser Gelegenheit muss das Parlament der urbanen Deutschschweiz wieder zu einer angemessenen Vertretung verhelfen. Als Wahlbehörde für den Bundesrat hat die Legislative eine grosse Verantwortung. Am Mittwoch hat sie diese zu wenig wahrgenommen.
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