Die Hausärzte bekommen endlich wieder Nachwuchs
Die Förderung der Hausarztmedizin wirkt. Mehrere Hundert Jungärzte sind in den letzten Jahren in die Praxis eingestiegen. Trotz der Trendwende droht aber weiterhin ein Mangel.
In ihrer Studienzeit stellte sich Gabriela Rohrer den Hausarzt als grauhaarigen, chronisch überarbeiteten und geschiedenen Mann in Manchesterhosen vor. Heute ist sie Präsidentin der Jungen Hausärztinnen und -ärzte Schweiz (JHAS), führt eine Landpraxis in Flühli LU und präsentiert vor den Medien ermutigende Zeichen einer Trendwende. Rohrer ist Teil einer neuen Hausärztegeneration, die mehrheitlich weiblich ist und meistens Teilzeit arbeitet.
Zu lange galt der Hausarztberuf unter den Medizinstudenten aber als verstaubt. Die langen Arbeitszeiten, der Generalistenstatus und der im Vergleich zu den Spezialisten unterdurchschnittliche Verdienst prägten das Image. Deshalb drohen der Schweiz in den nächsten Jahren gravierende Lücken in der medizinischen Grundversorgung. Vor zehn Jahren entschieden sich gerade mal noch zehn Prozent für die Ausbildung zum Grundversorger. Die Folgen bekämen die Patienten nun langsam zu spüren, sagt Rohrer.
Praxisassistenz als Einstieg
Doch Besserung zeichnet sich mittelfristig ab. Der vor zehn Jahren gegründete Verein JHaS hat mittlerweile über 1100 Mitglieder, und 350 von ihnen sind bereits in eine Hausarztpraxis eingestiegen, weitere 500 arbeiten zurzeit als Assistenzärzte. Die meisten dürften in den nächsten Jahren ebenfalls den Weg in die Praxis finden. «Die Trendwende ist geschafft», sagt Sven Streit, Professor am Institut für Hausarztmedizin der Universität Bern. Mittlerweile entschieden sich bereits wieder 20 Prozent der Studierenden für den Hausarztberuf, und weitere 40 Prozent äusserten sich interessiert. Streit arbeitet selbst im Teilzeitpensum als Hausarzt und hofft, dass der Anteil weiter zunimmt. Damit die Schweiz bis 2045 ihren Hausärztemangel wieder ausgleichen kann, müsste sich allerdings die Hälfte der Medizinstudenten für die Grundversorgung entscheiden.
Als eigentlichen Steigbügel für die Hausarztmedizin sieht Streit die sogenannte Praxisassistenz. Bei diesem Modell arbeiten Ärztinnen und Ärzte nach dem Staatsexamen in einer Hausarztpraxis als Assistenten. Finanziert werden diese Stellen zu einem grossen Teil durch die Kantone. 80 Prozent dieser Praxisassistenten ergreifen laut Streit tatsächlich den Hausarztberuf. Über 40 Prozent steigen in jener Praxis ein, in der sie die Assistenz absolviert haben. Insgesamt gibt es in der Schweiz mittlerweile 230 Assistenzstellen in Hausarztpraxen. Führend ist der Kanton Bern, der kürzlich die Zahl der Stellen von 21 auf 35 erhöhte. Laut Streit wären im Kanton allerdings 50 Stellen nötig, um den Hausärztemangel zu beheben.
Wie früher wird es nicht mehr
Auch Philippe Luchsinger, der Präsident der Vereinigung der Haus- und Kinderärzte Schweiz, freut sich über die Trendwende. «Allerdings werden wir trotz zunehmendem Interesse nicht mehr die Versorgung mit Hausärzten wie in früheren Zeiten erreichen.» So dürften um 2025 in der Schweiz 4000 bis 5000 Grundversorger fehlen. Die Lücke müsse durch neue Kooperationsmodelle gefüllt werden. So würden etwa Apotheker, Praxisassistentinnen, Spitex-Fachpersonen oder Pflegeexpertinnen einzelne Arbeiten übernehmen.
Luchsinger ist überzeugt, dass die medizinische Grundversorgung so sichergestellt werden kann. Erfreulich sei, dass sich der ärztliche Nachwuchs nicht nur in Städten, sondern auch auf dem Land ansiedle. Die von Streit erstellte Studie zeigt, dass sich der Nachwuchs ausgewogen auf die Wohnbevölkerung verteilt. «Klar ist aber, dass es nicht mehr in jedem Dorf einen Doktor geben wird», sagt Luchsinger. Immer häufiger würden auf dem Land Ärztezentren entstehen, die für mehrere umliegende Gemeinden die Versorgung übernähmen.
Nur noch 10 Prozent in Einzelpraxis
Streit weiss von Patienten, die auf dem Weg in seine Praxis in Konolfingen BE an fünf verwaisten Landarztpraxen vorbeifahren. Von den jungen Hausärzten arbeiten fast drei Viertel in Gemeinschaftspraxen mit zwei bis fünf Ärzten, fast jeder Fünfte in einem Zentrum mit mehr als fünf Medizinern. Nur noch zehn Prozent führen eine Einzelpraxis. Auch Teilzeitarbeit ist unter den Nachwuchsärzten die Regel. Von den 350 Hausärztinnen und Hausärzten arbeiten fast 40 Prozent 3,5 bis 4 Tage, weitere 40 Prozent 3 oder weniger Tage. Rund ein Viertel hat ein Pensum von 4,5 oder mehr Wochenarbeitstagen.
Nach wie vor bringe eine Landarztpraxis wie jene in Flühli lange Arbeitstage mit sich, sagt Rohrer. Obwohl sie ein 90-Prozent-Pensum habe, komme sie auf 60 bis 70 Wochenstunden. Zudem sei gerade in abgelegenen Gebieten die ärztliche Verantwortung besonders gross, da es bei Notfällen unter Umständen 40 Minuten dauere, bis eine Ambulanz eintreffe. Auch erlebe sie als Dorfärztin die sozialen Konsequenzen einer ärztlichen Entscheidung hautnah, etwa wenn sie einen Feuerwehrmann krankschreibe, der dann im Dorf fehle.
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