Ferien für Tierfreunde Die Haiforscherin, die Touristen mit ins Boot holt
Ornella Weideli arbeitet an den Postkartenstränden dieser Welt. Bei einer Expedition auf dem Roten Meer bindet sie die Teilnehmenden nun direkt in die Datenerhebung mit ein.
Nein, als Auslandschweizerin würde sie sich selbst nicht bezeichnen, winkt Ornella Weideli ab. Aber dass sie eine eigene Wohnung in Zürich und ein regelmässiges Einkommen habe, sei tatsächlich eher ungewohnt. Und zu einem gewissen Mass ist es wohl der Pandemie geschuldet. Denn eigentlich hält sich die Bernerin am liebsten in den Küstengewässern tropischer Inseln auf, etwa auf den Seychellen oder Französisch-Polynesien. Die 35-jährige Bernerin – der Dialekt immer mal wieder gespickt mit englischen Ausdrücken, die auf einen internationalen Forschungsalltag schliessen lassen – ist Meeresbiologin.
Prägendes Erlebnis auf den Bahamas
Es sind Haie, die es Weideli angetan haben. Genauer gesagt: das Essverhalten von Jung-Haien und deren Rolle in ihrem jeweiligen Ökosystem. «Während meines Praktikums in Bimini habe ich unter anderem gelernt, wie man den Magen eines Jung-Hais untersuchen kann. Und zwar durch eine sogenannte Magenspülung. Was da alles rauskam … das hat mich total fasziniert», lässt sie das Schlüsselerlebnis an der renommierten Bimini Biological Field Station auf den Bahamas Revue passieren.
Während sich im Binnenland Schweiz viele vom Berufswunsch Meeresbiologin abbringen lassen – nebst dem Mangel an Meerzugang gibt es auch keinen konkreten Studiengang – hat die Bernerin ihren Weg zum Traumberuf durchgezogen und die letzten 12 Jahre der Haiforschung gewidmet. Dass sie dafür stets etwas im Clinch ist, weil die Arbeit, die Forschung (oder wie sie es nennt: das Leben) anderswo stattfindet als dort, wo sie eigentlich zu Hause ist, nimmt sie in Kauf.
«Es ist schon toll, wie viele Leute spannend finden, was ich mache», kommentiert sie das Interesse, das ihr im Heimatland entgegenschlägt. «Vor allem, wenn Kinder dabei sind», und wohl in erster Linie, weil sie mit Tieren arbeite. Und es sind eben nicht einfach irgendwelche Tiere, sondern genau jene, die die Menschen zu faszinieren vermögen wie nur wenige. Entsprechend oft käme die Frage, ob ihr Beruf denn nicht gefährlich sei.
«Die Angst ist unbegründet»
«Ich kann diese Angst vor Haien ein Stück weit verstehen», holt Weideli aus. «Die Medien fördern sie leider noch immer.» Aber, so die Forscherin, nach allem, was sie wisse, sei sie unbegründet. Zwischenfälle seien extrem selten, werden aber aufgebauscht. Und: «Es gibt über 500 Haiarten. Die meisten davon kommen in tiefen Gewässern vor. Also nicht dort, wo wir Menschen uns aufhalten. Und die meisten werden nicht grösser als einen Meter.»
Mit 40 bis 65 cm Körperlänge fallen auch Weidelis Forschungsobjekte, junge Zitronen- und Schwarzspitzenriffhaie, unter die beschaulichere Sorte. Das vereinfacht auch die Arbeit mit ihnen. Gefangen werden die «Babyhaie» mit sogenannten Kiemennetzen, bei denen sich die Tiere – wie es der Name schon verrät – in der Kiemenregion verfangen. Dann ist Effizienz gefragt: «Wir müssen die Jungtiere jeweils sehr schnell befreien, da sie sonst ersticken könnten», erklärt die Schweizerin. Für die anschliessende Datenerhebung und Probenentnahme brauchen die geübte Forscherin und ihr Team nie länger als fünf Minuten. Den Haien nicht zu schaden, so Weideli, sei ihr enorm wichtig.
Einheimische und Touristen zeigen sich interessiert
Weil die Bernerin dort forscht, wo andere Ferien machen, bleibt ihre Arbeit in den Küstengewässern nicht unbemerkt. Touristen, aber auch Einheimische interessieren sich für das Geschehen, wenn die Meeresbiologin mit ihrem Team am Strand ihrer Arbeit nachgeht. Anstatt sich an der Neugier zu stören, freut sich Weideli über dieses Interesse, lässt die Leute am Geschehen teilhaben.
Spätestens dann ist es meistens auch vorbei mit der Furcht vor den Meeresräubern: «Gerade bei den einheimischen Kindern in Französisch-Polynesien musste ich manchmal aufpassen, dass sie nicht zu übermütig wurden», erzählt die Meeresbiologin. «Die hätten die Tiere am liebsten an den Köpfen gekrault», fährt sie lachend fort. Und gibt zu bedenken: «Auch wenn diese Junghaie noch so klein und niedlich sind, scharfe Zähne haben sie trotzdem.»
Sowieso stelle sie in der Gesellschaft ein grosses Interesse an Haien fest. Wohl auch, weil die Meeresbewohner in der Diskussion um den Klimawandel immer stärker präsent werden. Und genau hier setzt Weideli mit ihren Forschungszielen, aber auch mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit an. Sie wolle durch ihre Forschung zeigen, wie wichtig eine intakte Natur sei. Unterstützung erhält sie dabei von der Save Our Seas Foundation, einer Meeresschutzorganisation, die innovative Forschungen und Initiativen fördert - erst recht, wenn Haie und Rochen dabei im Zentrum stehen.
In ihrer Doktorarbeit zeigte Weideli unter anderem auf, dass Junghaie des St.-Joseph-Atolls in den Seychellen oft volle Mägen haben und in den ersten Monaten ihres Lebens rasant wachsen. «In Moorea, Französisch-Polynesien, hingegen, wo die Tiere in weniger geschützten Küstengebieten aufwachsen, waren die Mägen oft leer, und die Wachstumsraten fielen entsprechend tiefer aus.» Und in Bimini, Bahamas, wo teilweise intensiv gebaut wird, werde Junghaien mit der Zerstörung der Mangroven gar die Grundnahrungsquelle genommen.
«Die Auswirkungen der Umweltzerstörung auf einem so kleinen Massstab so klar zu sehen, hat mich stark beeindruckt», so die Bernerin. Indem sie einem breiten Publikum von ihrer Arbeit erzähle – und zwar auch jenseits von Fachtagungen und Forschungskreisen – könne sie Zusammenhänge aufzeigen. Vor allem: wie der Faktor Mensch einen Einfluss darauf nimmt.
Expeditionsteilnehmende unterstützen Forschung
Nun steht ein Projekt an, bei dem die Grenzen zwischen Ferien und Forschung verschwimmen. Im Mai leitet die 35-Jährige zusammen mit der in Bern beheimateten Sail & Explore Association eine einwöchige Tauchexpedition im Roten Meer. Die Teilnehmenden werden dabei weitaus mehr tun als «nur» zu tauchen: Täglich finden auf dem Expeditionsschiff Fachvorträge und Diskussionen zu Haie und Rochen – etwa über deren Biologie, Ökologie und aktuelle Forschungsergebnisse – statt.
Die Teilnehmenden unterstützen die Forschung auch mit ihren Beobachtungen unter Wasser, weshalb das Mitführen einer Kamera Teilnahmebedingung ist. Die Bilder werden dann dem Red Sea Project, einer lokalen, dem Meeresschutz verschriebenen Non-Profit-Organisation zur Verfügung gestellt. «Damit ermöglichen wir den Teilnehmenden, an einer «Citizen Science»-Initiative teilzunehmen», erklärt Weideli.
In den Ferien etwas Sinnvolles tun
Das Konzept Citizen Science, für das es zu Deutsch neben «Bürgerwissenschaft» oder «Bürgerforschung» keine wirklich glückliche Übersetzung gibt, bezeichnet eine Bewegung, bei der auch Nichtwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler die Forschung durch Beobachtungen, Dokumentieren oder das Sammeln von Proben unterstützen.
Es sei ein Ansatz, für den sie viel Potenzial sehe, so die Meeresbiologin – gerade in der Schweiz. «Unser Bildungsniveau ist extrem hoch, viele Schweizerinnen und Schweizer reisen viel, sind mehrsprachig. Noch dazu tragen viele professionelle Unterwasserkameras mit sich. Das passt perfekt zur Idee von Citizen Science.» Leider gäbe es erst wenige entsprechende Initiativen.
Zudem käme der Ansatz ja nicht nur der Wissenschaft zugute; «wenn man schon reist, will man doch auch was Spannendes erleben», ist sie überzeugt. Und fügt an: «Ich glaube, dass viele in ihren Ferien gerne etwas Sinnvolles tun wollen.»
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