Nach Konzerninitiative-NeinDie Grünen rütteln am Ständemehr
Grüne und Jungsozialisten wollen das Ständemehr abschaffen oder mindestens durch ein qualifiziertes Mehr ersetzen. Sie dürften es mit diesem Vorschlag schwer haben.
Zwölf Standesstimmen hätte die Konzernverantwortungsinitiative gebraucht. Achteinhalb Kantone sagten Ja. Dabei hätten nur insgesamt 6000 Stimmende in den Kantonen Appenzell Innerrhoden, Glarus, Schaffhausen und Uri mehr zustimmen müssen – und die Initiative hätte neben dem Volksmehr auch die Mehrheit der Kantone geschafft. Am knappsten war das Verdikt in Glarus. Dort obsiegten die Gegner mit 608 Stimmen Differenz.
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Es ist erst die zweite Volksinitiative, bei der das Ständemehr die Mehrheit des Stimmvolks aushebelt. Bei der ersten handelte es um die Initiative «zum Schutz der Mieter und Konsumenten» von 1955. Nun herrscht Unmut: «Unsere direkte Demokratie ist in Schieflage», sagt zum Beispiel die Berner Nationalrätin Regula Rytz (Grüne). Die kleinen Kantone hätten einen sehr grossen Einfluss an der Urne. Problematisch sei auch, dass die Romandie als Minderheit regelmässig überstimmt werde.
«Es besteht die Gefahr, dass Volksinitiativen keine Chance mehr haben.»
«Wir müssen darüber reden, wie wir zu einem gerechteren Abstimmungsmodus kommen», findet Rytz. Ihr schwebt ein qualifiziertes Ständemehr vor, mit dem die Kantone nur dann ein Volksmehr übersteuern können, wenn zwei Drittel der Kantone anderer Meinung seien. So wäre die Konzerninitiative angenommen worden. Die Grünen hätten schon Anfang der Neunzigerjahre entsprechende Modelle vorgeschlagen. Diese Lösungen werde man nun wieder hervornehmen. Sonst bestehe die Gefahr, dass Volksinitiativen trotz Mehrheiten gar keine Chance mehr haben, angenommen zu werden. «Das schwächt die direkte Demokratie.»
Unterstützung bekommt Rytz von den Jungsozialisten. Diese fordern, das Ständemehr ganz abzuschaffen. Es könne nicht sein, dass Volksinitiativen, welche eine Mehrheit im Volk erlangen würden, wegen einer veralteten Regelung des Ständemehrs nicht umgesetzt würden.
Spielregeln nicht infrage stellen
Die Mutterpartei SP sieht es nicht ganz so dramatisch. Man könne über alles reden, sagt Co-Präsident Cédric Wermuth. Er sei aber kein Freund davon, an einem Abstimmungssonntag die Regeln des Spiels infrage zu stellen, nur weil es knapp ausgegangen sei. Die Linke müsse vielmehr genau analysieren, wie man es in diesen Kantonen schaffen könne.
Ähnlich tönt es aufseiten der Gegner. «Wer jetzt die Spielregeln ändern will, ist ein schlechter Verlierer», sagt Ruedi Noser, Zürcher FDP-Ständerat. Es sei richtig, dass man nicht mit einer ganz kleinen Stimmenmehrheit die Verfassung verändern könne. «Die Schwelle mit dem doppelten Mehr ist heute schon tief, in den meisten Vereinen braucht es für eine Statutenänderung ein Zweidrittelmehr.»
«Die Abschaffung des Ständemehrs braucht wiederum das Ständemehr.»
«Eine Debatte darf man immer führen», sagt der Politgeograf Michael Hermann, «und natürlich ist es schöner, wenn die ausgezählten Stimmen und die Stände in die gleiche Richtung zeigen.» Es sei kein Zufall, dass es ein Volks- ohne Ständemehr bei Initiativen bisher kaum je gegeben habe. Initiativen von links seien bisher nur mehrheitsfähig gewesen, wenn sie auch ein konservatives Element hatten wie etwa die Alpeninitiative. Diese seien deshalb nicht genau entlang des Stadt-Land-Gegensatzes verlaufen, sodass das Ständemehr kein Stolperstein war.
«Nimmt der Stadt-Land-Gegensatz weiter zu und die Hemmschwelle für die Zustimmung zu links-urbanen Initiativen ab, könnte daraus durchaus eine breite Unzufriedenheit über das Ständemehr entstehen», sagt Hermann. Er vermutet jedoch, dass die Debatte aus zwei Gründen nicht weit führen werde. «Erstens braucht es zur Abschaffung wiederum das Ständemehr, und zweitens sind institutionelle Regeln, die es schon sehr lange gibt, kaum zu ändern.»
«Ständemehr sorgt für Zusammenhalt»
Andrea Gmür, Luzerner CVP-Ständerätin, ist gegen eine Veränderung beim Ständemehr. «Unser Land lebt vom Ausgleich, auch mit den weniger grossen Kantonen und einer Bevölkerung, die anders denkt als jene in den Städten», gibt sie zu bedenken. Das Ständemehr sorge für dringend nötigen gesellschaftlichen Zusammenhalt, den man nicht riskieren sollte, nur weil einem ein Abstimmungsergebnis nicht passe. Und Jürg Grossen, Präsident der Grünliberalen, doppelt nach: «Wenn Abstimmungen so knapp sind und die Mehrheit der Kantone ablehnen, dann sollte man darauf verzichten, etwas in die Verfassung zu schreiben.» Damit sei die Schweiz nicht schlecht gefahren.
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