Abgelehnter Deal zur CSDie grösste Niederlage der Karin Keller-Sutter
Die Finanzministerin ist eigentlich für ihre Durchsetzungskraft gefürchtet. Bei ihrer Bankenrettung scheiterte die FDP-Bundesrätin im Parlament. Wie es dazu gekommen ist.
Das Schweizer Parlament funktioniert nach vielen geschriebenen und noch mehr ungeschriebenen Regeln. Unter Letzteren gibt es eine, die lautet: Erwähne bei einem Auftritt im Ständerat niemals den Namen einer Partei! Achte das Selbstverständnis dieser distinguierten Parlamentskammer, die sich über Parteiengezänk und Wahlkampfgetöse erhaben glaubt!
Karin Keller-Sutter, die FDP-Finanzministerin, die einst selber dem Ständerat angehörte, verstösst fast obsessiv gegen diese Regel, als sie am Mittwochvormittag vor ihren ehemaligen Kolleginnen und Kollegen spricht. Es geht um 109 Milliarden Franken, um den Betrag, mit dem der Bund die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS absichern will.
Der Ständerat hat den Kredit am Vortag schon gutgeheissen, der Nationalrat hingegen abgelehnt – und Keller-Sutter braucht die SP, wenn sie das Geschäft in der zweiten Runde noch retten will. Sie wirbt für einen Zusatz im Beschluss, der den Genossinnen und Genossen ein Ja schmackhaft machen soll: Der Bundesrat solle strengere Eigenmittelvorgaben und Boniregeln für die Grossbanken «prüfen».
Die SP-Fraktion habe versprochen, mit diesem Zusatz den Kredit gutzuheissen, sagt Keller-Sutter. Und sagt es später gleich nochmals: «Ich sehe jetzt verschiedene Nationalrätinnen der SP. Ich kann nicht für die SP sprechen, aber es ist so, dass die SP-Fraktion gestern erklärt hatte: Wenn dieser Wortlaut beschlossen würde, wäre sie mit dem Verpflichtungskredit einverstanden. Ich denke, man kann die SP-Fraktion hier sicher beim Wort nehmen.» (Mehr dazu: Marcel Rohner, Präsident der Bankiervereinigung, im Interview)
Vergeblicher Kotau?
Keller-Sutter nennt die SP wieder und wieder, obwohl man bei Auftritten im Ständerat keine Parteien nennen soll. Sie verstösst gegen die Konvention – und zeigt damit aus Sicht mancher Beobachter, zu welchen Demutsgesten sie plötzlich bereit ist: Die Freisinnige aus Wil SG, seit ihrer Wahl vor fünf Jahren als dominierende Figur im Bundesrat gefeiert und gefürchtet, werfe sich vor den Linken quasi in den Staub. Andere meinen, dass sie versuche, die SP öffentlich auf gemachte Versprechen zu behaften.
Was feststeht: Keller-Sutter will unbedingt ein Ja zu ihrem Bankendeal, sie kämpft dafür, sucht nach Kompromissen. Trotzdem ist, wie sich einige Stunden später zeigen wird, alles vergebens. Der Nationalrat bleibt bei seinem Entscheid vom Vortag; mit den Stimmen von SVP, SP und Grünen schickt er das Geschäft endgültig bachab. (Lesen Sie auch: Debatte bis tief in die Nacht – Gestärkt mit Raclette und Weisswein zur Credit-Suisse-Session)
Juristisch ist das Nein zwar folgenlos. Der Bundesrat hat die Kredite über Notrecht längst verbindlich gesprochen; die Finanzdelegation des Parlaments hatte schon am 19. März ihr Okay gegeben. Die Symbolkraft des nationalrätlichen Protestvotums ist indes beträchtlich. Hochoffiziell hat das Parlament nun dem Bundesrat und der Finanzministerin die Gefolgschaft verweigert. Für die neue Mega-UBS ist es ein denkbar schlechter Start. Und für Keller-Sutter die wohl grösste Niederlage ihrer Karriere.
«Man hat uns offenbar nicht geglaubt, dass wir es ernst meinen», sagt Cédric Wermuth, Co-Präsident der SP. Keller-Sutter und die bürgerlichen Fraktionen hätten es bis zuletzt abgelehnt, sich auf wirksame Verschärfungen für die Grossbanken zu verpflichten. «Unter diesen Umständen konnten wir ein Ja zu den Krediten nicht verantworten.»
Tatsächlich sah es phasenweise danach aus, als könnte Keller-Sutters Kalkül aufgehen. Der oben erwähnte Prüfauftrag für strengere Eigenmittel- und Bonusregeln schien innerhalb der SP eine Mehrheit zufriedenzustellen, wie Statements aus der Fraktion zeigten. Dass die Partei im Lauf der Debatte dann praktisch geschlossen auf eine harte Linie umschwenkte, kam für Keller-Sutter offensichtlich unerwartet – oder jedenfalls konnte sie es nicht verhindern.
Ein hochrangiger Parlamentarier rechnet nun mit einem «Kriegszustand» zwischen FDP und SP.
Ganz grundsätzlich aber gelang es ihr nicht, gegenüber dem notrechtsmüden und zerstrittenen Parlament als Leader aufzutreten. Sie wird für ihre Arbeit zwar durchaus auch gelobt – etwa von GLP-Präsident Jürg Grossen, der sie als «authentisch, sachlich und beherzt» erlebte.
Bei anderen jedoch, der SVP etwa, kam sie nie auch nur in die Nähe eines Konsenses. «Ich soll den grössten Kredit aller Zeiten sprechen, ohne dass ich alle Hintergründe kenne. Laut Bundesrätin Keller-Sutter ist diese Lösung alternativlos – ich bin davon einfach nicht überzeugt. Warum hat sie nicht stattdessen die Nationalbank ermächtigt, die CS unbegrenzt mit Liquidität zu versorgen? Sogar eine Verstaatlichung der CS wäre besser, zumindest ehrlicher gewesen», sagt der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann. (Mehr dazu: Christoph Blocher droht mit UBS-Initiative)
Bei Grünen-Präsident Balthasar Glättli wiederum steht sie unter Ideologieverdacht. «Ihr war offenkundig eine Lösung wichtig, von der sie behaupten konnte, es sei keine staatliche Bankenrettung. Mir ist allerdings ein Rätsel, wie man so was sagen und gleichzeitig einen dreistelligen Milliardenkredit sprechen kann.»
Sie vergisst nie
Wenn auch die Urteile über Keller-Sutter im Generellen differieren, in einem Punkt stimmen sie meist überein: Keller-Sutter will die Dinge immer unter Kontrolle haben, und sie vergisst nie, wem sie Demütigungen und Niederlagen zu verdanken hat. Ein hochrangiger Parlamentarier rechnet denn nun auch mit einer Art «Kriegszustand» zwischen Keller-Sutters FDP und der SP.
Thierry Burkart, FDP-Präsident und enger Alliierter Keller-Sutters, lehnt zwar das martialische Vokabular ab. Er wirft der SP aufgrund ihres Abstimmungsverhaltens aber unverblümt «Wortbruch» vor. Man habe im Ständerat das SP-Anliegen für Gesetzesänderungen «praktisch unverändert übernommen». Die SP habe zuvor gesagt, dass sie in diesem Fall den Krediten zustimmen werde – aber offensichtlich habe sie nie zustimmen wollen. «So gewinnt man vielleicht Wahlen, aber schadet dem Land.» Bei seiner Bundesrätin will Burkart im Übrigen keine Schuld verorten: Sie vertrete die Positionen des Gesamtbundesrats.
Was Keller-Sutter selber zu alledem sagt? Das will auch die Journalistentraube wissen, die sich am Mittwochnachmittag um 14.15 Uhr – die Debatte im Bundeshaus ist soeben zu Ende – vor dem Eingang des Nationalratssaals drängt. Präziser gesagt: vor jenem bestimmten Eingang, durch den Bundesrätinnen und -räte nach erfolgtem Einsatz den Saal zu verlassen pflegen und dabei gelegentlich noch ein Statement in die Mikrofone abgeben. Das Medieninteresse ist diesmal besonders gross, man späht gespannt durch die geöffnete Flügeltür.
«Sie geht auf der anderen Seite raus!», ruft da plötzlich jemand. Einige hasten noch zum Hinterausgang des Saals, doch zu spät. Karin Keller-Sutter, die medial zuletzt Omnipräsente, hat sich bereits wortlos verzogen.
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