Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Schweizer Gesundheitsprämien
Gatekeeper statt freie Arztwahl: Krankenkassen wollen neues System für alle

Zur Hausärztin oder direkt zum Spezialisten? Das alte Schweizer Standardmodell der Krankenversicherung erlaubt hier die freie Entscheidung. 
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Mit den stechenden Ohrenschmerzen zur Hausärztin – oder lieber doch direkt zum Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten? Wer nach altem Standardmodell versichert ist, kann hier nach eigenem Gusto entscheiden. Die freie Wahl der Ärztin oder des Arztes ist eine Besonderheit der Schweizer Gesetzgebung zur obligatorischen Krankenversicherung. Eine Besonderheit, die der Bevölkerung lange Jahre heilig war: Vor einem Jahrzehnt noch scheiterten Bundesrat und Parlament mit dem Versuch, ein neues Standardmodell mit eingeschränkter Arztwahl (Managed Care) einzuführen, am Referendum.

Doch die Zeiten haben sich geändert, wie neue Zahlen zeigen: Faktisch hat die freie Arztwahl für die Menschen im Land erheblich an Bedeutung verloren. Drei von vier Versicherten nehmen demnach Einschränkungen in Kauf. Dies geht aus Daten des Bundesamts für Gesundheit hervor, die der Krankenkassenverband Santésuisse aufbereitet hat und die dieser Redaktion vorliegen.

Gatekeeper statt freie Wahl

Noch im Jahr 2011 war die Bevölkerung quasi hälftig gespalten. Rund 50 Prozent waren gemäss normalem Modell mit kompletter Wahlfreiheit versichert. Die andere Hälfte hatte sich damals schon für eine alternative Versicherungsform entschieden – etwa mit Ärztenetzwerken oder einer Hausärztin als obligatorische Ansprechpartner bei Krankheit. Seither sind die Alternativmodelle stetig beliebter geworden. Gemäss den neusten greifbaren Daten von 2021 waren es zuletzt nicht weniger als 4,8 Millionen Frauen und Männer, die auf die herkömmliche freie Arztwahl verzichteten. Das sind fast 75 Prozent aller Versicherten.


Der Grund für diese Entwicklung liegt auf der Hand: Wer in ein alternatives Modell wechselt und auf einen Teil seiner Wahlfreiheit verzichtet, darf mit Prämienrabatten rechnen. Wer sich hingegen die ganze Auswahl offenhalten will, bekommt das Prämienwachstum im vollen Ausmass zu spüren.

Für Santésuisse ist die Zeit nun reif für einen Systemwechsel. «Unser Krankenversicherungsgesetz basiert auf einem Modell, das für die allermeisten Leute nicht mehr gelebte Realität ist», sagt der stellvertretende Direktor Christoph Kilchenmann. Er fordert, dass Bundesrat und Parlament die sogenannten Gatekeeper-Modelle zum neuen Standard erklären – jene Versicherungsformen also, bei denen man sich verpflichtet, im Krankheitsfall statt der teuren Fachärztin zuerst den Hausarzt, eine Netzwerkpraxis oder eine andere Erstanlaufstelle zu konsultieren.

«Es gibt Versicherte, die ein regelrechtes Ärztehopping betreiben.»

Christoph Kilchenmann, stv. Direktor Santésuisse

Eine Konsequenz dieser Forderung: Wer weiterhin auf der freien Arztwahl beharrt, müsste künftig wohl mehr als heute bezahlen. Umgekehrt würden all jene entlastet, die sich für ein Gatekeeper-Modell entscheiden, sagt Kilchenmann: «Die kleine Minderheit, die im alten Standardmodell verblieben ist, verantwortet einen wesentlichen Teil des Kostenwachstums. Es gibt Versicherte, die ein regelrechtes Ärztehopping betreiben.»

Der Santésuisse-Vorschlag diszipliniere auch Ärztinnen und Ärzte sowie Spitäler, betont Kilchenmann: Es entfielen Anreize, unnötige Kosten zu verursachen. «Für die Patientinnen und Patienten bleibt die Behandlung so gut wie heute. Wenn wirklich nur notwendige Behandlungen durchgeführt werden, stärkt das die Solidarität mit den Kranken.»

Erstberatung am Telefon

Nun liegen die Tücken eines Systemwechsels freilich in den hochkomplexen Details. Gesundheitsminister Alain Berset selber schlug unlängst die Einführung von Erstanlaufstellen vor – und stiess damit auf breiten Widerstand, auch bei Santésuisse. «Das Problem an Bersets Vorschlag war, dass er zu enge Kriterien für die Erstanlaufstellen definierte», erklärt Kilchenmann. «Wir wollen die heutige Vielfalt an Lösungen erhalten. Es soll beispielsweise auch möglich sein, sich als Erstes telefonisch beraten zu lassen.»

Juristisch wäre das machbar, so Kilchenmann. Man habe dies in einem Rechtsgutachten abklären lassen. Eine solche Lösung, glaubt er, hätte auch in einer Volksabstimmung eine Chance. «Bei der Managed-Care-Abstimmung hatten viele Leute Angst, dass sie nun lebenslänglich auf ein Modell festgelegt würden. Mit unserem Vorschlag wären diese Sorgen unbegründet.»

«Eine vom Gesetz verordnete Einschränkung der freien Arztwahl können wir aber nicht unterstützen.»

Barbara Gysi, SP-Gesundheitspolitikerin

Was sagt der Ärzteverband FMH als quasi natürlicher «Gegenspieler» der Krankenkassen zu der Idee? FMH-Präsidentin Yvonne Gilli äussert sich vorsichtig. Sie beurteilt die Gatekeeper-Konzepte im Prinzip positiv: Diese hätten zu höherer Qualität für die Patientinnen und Patienten geführt. Wenn der Bundesrat die entsprechenden Modelle attraktiver gestalten wolle, habe er genug Möglichkeiten. Gilli hält aber auch fest: «Freiwilligkeit für diese Modelle ist weiterhin wichtig und war bisher einer der Erfolgsfaktoren.»

Deutlicher wird SP-Gesundheitspolitikerin Barbara Gysi. Man sei grundsätzlich zwar offen gegenüber Gatekeeper-Modellen, und auch eine bessere Koordination der Akteurinnen und Akteure sei wünschenswert. «Eine vom Gesetz verordnete Einschränkung der freien Arztwahl können wir aber nicht unterstützen», betont Gysi. «Der Vorschlag von Santésuisse ist darum abzulehnen.» Politische Auseinandersetzungen um das Prämienmodell der Zukunft scheinen damit unvermeidlich.