Analyse zu den kantonalen AbstimmungenDie Familienvorlagen sind überraschend deutlich abgelehnt worden
Die Initiative für höhere Kinderzulagen und jene für mehr Prämienverbilligungen haben beide weniger als 40 Prozent Zustimmungen erhalten.
Die beiden Volksinitiativen hatten nicht den Hauch einer Chance: Die Zürcher Stimmbevölkerung hat beiden Vorstössen eine klare Abfuhr erteilt. Die EDU-Initiative «Mehr Geld für Familien» erreichte einen Ja-Anteil von 38,5 Prozent, die Initiative «Raus aus der Prämienfalle» der Mitte sogar nur 36 Prozent.
Die Familieninitiative wollte die Kinderzulage um 50 Prozent erhöhen, also von monatlich 200 auf 300 Franken für Kinder bis 11 Jahre, von 250 auf 300 Franken für 12- bis 15-Jährige und von 250 auf 375 Franken für Jugendliche und junge Erwachsene in Ausbildung bis 25 Jahre. Berappt worden wäre dies durch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, welche insgesamt zusätzliche 340 Millionen an die Väter und Mütter hätten auszahlen müssen.
Die Prämieninitiative wiederum forderte, den kantonalen Anteil an den Prämienverbilligungen von 80 auf 100 Prozent des Bundesbeitrags zu erhöhen – so wie es vor 2012 war. Dieses Jahr wären bei einem Ja statt 979 Millionen rund 1020 Millionen Franken an Menschen mit keinem oder geringem Einkommen gegangen, um die hohe Prämienlast abzumildern.
Nein auch in den linken Städten
Erstaunlich ist, dass die beiden Initiativen auch in den linken Grossstädten Zürich und Winterthur abgelehnt wurden, obwohl SP, Grüne und AL sie befürworteten. Nur in den Kreisen 3, 4+5 sowie 12 erzielten sie ein positives Resultat. Und auch auf dem Land, wo die Familiendichte höher ist, und in Gemeinden, in denen die EDU stark ist, gab es eine Abfuhr für die Initianten der Familieninitiative.
Und dies, obwohl sich der Kanton in beiden Bereichen eher knausrig zeigt. In den Wirtschaftskantonen Basel-Stadt und Genf profitieren Prämienzahler und Familien von grosszügigeren Bedingungen.
Linke Anliegen von rechten Parteien
Die Ablehnung der sozialen und familienpolitischen Vorlagen dürfte drei Gründe haben.
Erstens waren die Absender der beiden Initiativen zu wenig machtvoll und haben es nicht geschafft, einen richtigen Abstimmungskampf zu lancieren und ihre kurzzeitigen Verbündeten zu mobilisieren.
Eine Initiative der evangelikalen EDU mit ihrem super-traditionellen Familienmodell? Da kann etwas nicht stimmen, dachten sich wohl auch viele Linke. Zudem gibt es im Kanton Zürich wohl schlicht zu wenige Familien mit jüngeren Kindern, um ein stimmenmässiges Übergewicht zu schaffen.
Eine soziale Prämienvorlage der CVP (jetzt Die Mitte), die als selbst ernannte Familienpartei handkehrum die höheren Familienzulagen nicht befürwortete? Und die auch im Regierungsrat mit seiner SP-Grünen-Mitte-Mehrheit abgelehnt wurde? Auch das schien wohl einigen suspekt.
Nicht jetzt, nicht so viel
Zweiter Grund ist das Geld. Seit Beginn der Corona-Pandemie kursieren unheimlich grosse Zahlen, wenn es darum geht, die Krise abzufedern. Milliarden sind die neuen Millionen. Da liegt es nahe, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger irgendwann sagen: Jetzt ist Schluss mit Solidarität, bewältigen wir zuerst die Corona-Turbulenzen, bevor wir die Geldschleusen weiter öffnen.
Die höheren Familienzulagen hätten das Gewerbe eine stolze Summe gekostet, auch wenn die Zürcher Wirtschaft bisher weniger an die Familien ausrichten musste als jene in den meisten anderen Kantonen. Trotzdem schien es nicht opportun, die Unternehmen, die mit den Folgen von Corona zu kämpfen haben, jetzt stärker zu belasten.
Das Stimmvolk schonte auch den Staat, der irgendwann weniger Steuern einnehmen wird. Fast eine Milliarde zahlen Bund und Kanton Zürich an Menschen, die ihre Krankenkassenprämien kaum oder nicht bezahlen können. Das muss reichen, lautet das Verdikt. Den Gegnern der Initiative hat auch geholfen, dass der Kanton seit zwei Jahren nicht das Minimum von 80 Prozent des Bundesbeitrags für Verbilligungen ausschüttet, sondern 92 Prozent.
Volksinitiative? Nein!
Der dritte Grund ist profan. Die Stimmenden hatten über viele ungewöhnlich wichtige eidgenössische Vorlagen zu entscheiden, welche auch fast die gesamte Medien- und Werbeaufmerksamkeit auf sich gezogen haben.
Die blauen Zettel mit den kantonalen Fragen hatten den «Ah, die gibts ja auch noch»-Touch. Zudem stand Volksinitiative drauf. Ablehnen ist in diesen Fällen oft der erste Reflex.
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