Kompromiss zu Öl-BoykottDie EU bringt die Schweiz mit neuem Sanktionspaket in Zugzwang
Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich in der Nacht auf Dienstag doch noch auf die Konturen des Ölembargos gegen Russland geeinigt. Wird die Schweiz nachziehen?
Die Schweiz entscheide selbstständig darüber, inwiefern sie sich Sanktionen der EU anschliesse, heisst es beim Staatssekretariat für Wirtschaft Seco in Bern. Der Bundesrat habe zwar am 28. Februar den Grundsatzentscheid gefällt, EU-Sanktionen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine zu übernehmen. Trotzdem müssen Verordnungsanpassungen jeweils noch vom Bundesrat formell beschlossen werden.
Das sechste Sanktionspaket der EU könnte nach der grundsätzlichen Einigung der Staats- und Regierungschefs in der Nacht auf Dienstag am Gipfel in Brüssel noch diese Woche in Kraft treten. Die Botschafter der Mitgliedsstaaten müssen die politische Einigung in Rechtstexte fassen, die diesen Mittwoch verabschiedet werden sollen. Die Schweiz hat also noch etwas Zeit. Zudem werden die Details jeweils erst mit der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt bekannt. Und die Details sind bei Sanktionsbeschlüssen besonders wichtig. (Lesen Sie auch unseren Kommentar: Jetzt ist die Schweiz am Zug)
Ausnahme für Pipeline
Wegen der Blockade Ungarns musste die EU beim Ölembargo Zugeständnisse machen. Auf Ende Jahr hin soll nur der Import von russischem Öl auf dem Seeweg beendet werden. Vorerst ausgenommen ist die Zulieferung per Pipeline. Konkret geht es um die riesige Druschba-Pipeline, die Öl über Polen und Deutschland nach Ungarn, Tschechien und die Slowakei bringt. Zwei Drittel des russischen Öls kommen derzeit auf dem Seeweg in die EU. Der Grossteil der Importe wäre ab Ende Jahr vom Embargo betroffen.
Entsprechend würde weniger Geld in Wladimir Putins Kriegsmaschinerie in der Ukraine fliessen, so das Kalkül. Deutschland und Polen haben zudem unilateral zugesagt, ab Ende Jahr kein Öl mehr aus der Druschba-Pipeline zu beziehen. Die EU werde ab Ende Jahr auf 90 Prozent der russischen Öl-Importe verzichten, machte EU-Ratspräsident Charles Michel die Rechnung. Ungarn und Tschechien beanspruchen «temporäre Ausnahmen» vom Embargo, um ihre Raffinerien auf andere Ölsorten umzustellen und alternative Versorgungsrouten auszubauen.
Geringe Abhängigkeit
Die Schweiz bezieht nur 0,3 Prozent ihres Rohöls aus Russland. Ein Einfuhrstopp wäre also nicht das grosse Problem. Raffinierte Ölprodukte kommen hauptsächlich aus westlichen Teilen Deutschlands, die ebenfalls nicht von russischen Importen abhängig sind. Die absehbaren Preissteigerungen als Folge des Ölembargos wird die Schweiz allerdings sehr wohl zu spüren bekommen. Teil des sechsten Sanktionspakets sind zudem eine Reihe anderer Strafmassnahmen wie das Verbot von drei weiteren russischen Propagandasendern sowie Einreisesperren für Personen, die für Kriegsverbrechen gegenüber der Zivilbevölkerung in der Ukraine verantwortlich sein sollen.
Unklar ist noch, wie das Verbot, Tankschiffe mit russischem Öl zu versichern oder Rückversicherung abzuschliessen, sich auswirken wird. Möglicherweise sind auch andere Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Ölhandel vom Verbot erfasst. 80 Prozent des Handels mit russischem Öl und Gas laufen über die Schweiz. Die Branche nimmt allerdings zum Teil die Sanktionen vorweg und zieht sich vom russischen Öl zurück: Victoria Dix vom Ölhandelskonzern Trafigura in Genf betont, dass man seit dem 15. Mai vom russischen Rosneft-Konzern kein Rohöl mehr beziehe. Auch der Handel mit anderen Ölprodukten von Rosneft sei deutlich zurückgefahren worden: «Wir treffen alle Vorsichtsmassnahmen, um im Einklang mit Gesetzen und Sanktionen zu sein.»
Stimmen aus dem Parlament
Solange die Rechtstexte nicht vorlägen, sei es nicht möglich, Aussagen zu allfälligen Folgen für die Schweiz zu machen, betont man beim Seco in Bern. Als Drittstaat sei die Schweiz bei der Erarbeitung der EU-Sanktionen auch nicht einbezogen worden. Wie sind die Erwartungen im Parlament? «Ich erwarte, dass der Bundesrat das sechste Sanktionspaket der EU übernimmt – vermutlich ohne Restriktionen gegen russische Propagandamedien», sagt Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (Die Mitte, BL). Letzteres würde die Nationalrätin bedauern.
Der Bundesrat habe nach anfänglichem Zögern entschieden, grundsätzlich alle EU-Sanktionen gegen Russland mitzutragen, sagt Nationalrat Fabian Molina (SP, ZH): «Das ist auch richtig so, und ich erwarte, dass er auch das sechste Sanktionspaket der EU mitträgt.»
Anderer Meinung ist Nationalrat Christian Imark (SVP, SO): Die ganze Übung bringe nichts, da Russland viele Umgehungsmöglichkeiten habe, Öl zu exportieren und weiterhin Einnahmen zu generieren. Die negativen Auswirkungen des Importstopps seien zudem klar. So würden die Ölpreise weiter steigen, wovon die Russen profitierten. Zudem werde zum Nachteil der Schweiz die Inflation weiter angeheizt. «Wir sägen am Ast, auf dem wir selber sitzen.»
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