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Coronavirus in Südamerika
Die ehemalige Drogenhölle trotzt dem Coronavirus

Ein Polizist in Medellíns Stadtzentrum neben einer Statue von Fernando Botero, auf deren Maske «Ich kümmere mich um Medellín» steht. Der Slogan einer Kampagne, mit der Menschen zum Maskentragen angehalten werden.
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Während in Europa die «neue Normalität» eingekehrt ist, wütet das Coronavirus in Lateinamerika weiter. In Brasilien, Mexiko, Chile und Peru steigen die Fallzahlen rapide an. Doch es gibt in der gebeutelten Region auch eine wenig beachtete Erfolgsgeschichte.

Medellín, die zweitgrösse Stadt Kolumbiens, hat die Lungenkrankheit bislang weitgehend eingedämmt. Die Metropole mit zweieinhalb Millionen Einwohnern hat gemäss aktuellen Zahlen der regionalen Verwaltung knapp 900 registrierte Corona-Fälle. Bislang sind nur 4 Menschen dem Virus erlegen. Die Hauptstadt Bogotá verzeichnet hingegen über 400 Todesopfer. Im Vergleich zu anderen Metropolen der Region steht Medellín noch besser da: In Rio de Janeiro sind über 7700 Menschen am Virus gestorben, in der peruanischen Hauptstadt Lima erlagen 3000 Personen dem neuen Erreger.

Mit Big Data gegen das Virus

Es gibt Faktoren, die den Kampf gegen das Coronavirus in Medellín erleichtern. Das Gesundheitswesen ist für kolumbianische Verhältnisse gut ausgebaut. Auch reisen weniger Ausländer ein als etwa in Buenos Aires oder São Paulo. Trotzdem teilt Medellín viele Probleme mit anderen Städten der Region. Die Metropole im Nordwesten ist grösstenteils dicht besiedelt. In den engen Strassen und Plätzen im Zentrum drängeln sich Verkäufer von Früchten, Fussballtrikots und DVD-Raubkopien. Während der Stosszeiten ist die Metro notorisch überlastet. In den Armutsvierteln auf den Hügeln können sich die Menschen Social Distancing und Zu-Hause-Bleiben eigentlich nicht leisten.

Medellíns Bürgermeister Daniel Quintero informiert zwischen zwei Botero-Statuen über den Kampf gegen das Virus.

Genau hier hat Bürgermeister Daniel Quintero angesetzt. Mit der App «Medellín me cuida» («Medellín sorgt sich um mich») können Bürger ihren Bedarf an Sozialhilfe und Lebensmittelpaketen anmelden, sodass sie nicht ins Stadtzentrum müssen. Gemäss der Nachrichtenagentur AP haben sich 1,3 Millionen Familien aus Medellín und der Umgebung registriert.

Im Gegenzug sammelt die Regierung mit der App auch Daten, die dabei helfen sollen, das Virus zu bekämpfen. User sollen angeben, mit wem sie zusammenleben, ob sie Symptome haben und unter welchen Vorerkrankungen sie leiden. Menschen die unter Corona-Verdacht stehen, werden zu Hause von Fachkräften getestet. «Medellín ist die Stadt in Lateinamerika, die am meisten über ihre Einwohner weiss», sagte Bürgermeister Daniel Quintero gegenüber AP. Es könne aber nicht bezweifelt werden, dass die Daten mit der richtigen Absicht verwendet würden, so Quintero.

Ein Lokalpolitiker kritisiert mangelhaften Datenschutz

Das sieht der Lokalparlamentarier Daniel Duque Velasquez anders. Er kritisiert vor allem, dass die Verwendung der App nicht so freiwillig sei, wie offiziell behauptet werde. Bekannt seien Fälle, in denen Angestellte aufgefordert worden seien, die App herunterzuladen, um die Arbeit nach dem Lockdown wieder aufnehmen zu dürfen, sagt er am Telefon. Ebenso dürfe die Metro nur betreten, wer «Medellín me cuida» heruntergeladen habe.

Auch sei der Datenschutz mangelhaft. Es sei gesetzlich nicht genau definiert, welche Daten benötigt würden und welche Funktionäre darauf Zugriff hätten. Auch sei nicht garantiert, dass Bürger ihre Daten löschen könnten. «Es ist nicht auszuschliessen, dass die Daten später von der Regierung missbräuchlich verwendet werden», sagt er.

Kritisiert den mangelnden Datenschutz: Daniel Duque Velasquez

Die Drogenklischees sind überholt

Angesichts der Geschichte Medellíns muss man dies aber fast schon als Luxusproblem bezeichnen. Die Stadt litt 15 Jahre lang unter dem Terror, den der Drogenbaron Pablo Escobar verbreitet hatte. Die Mordrate betrug in den 90er-Jahren bis zu 380 Fälle auf 100’000 Einwohner. Wohl noch nie war eine Stadt, die sich nicht im Krieg befand, so gefährlich. Auch nachdem ein Spezialkommando Escobar 1993 erschossen hatte, tobten Nachfolgekämpfe. Erst in den 2000er-Jahren verbesserte sich die Situation, nachdem der damalige Präsident Alvaro Uribe mit dem Militär gegen das organisierte Verbrechen vorgegangen war.

Die blutige Geschichte der Stadt wurde in der Netflix-Serie «Narcos» romantisiert. Die Einwohner leiden sehr unter den Drogen- und Escobar-Klischees, die bis heute nachwirken. Denn heute ist Medellín ein Vorbild in der Region – neu auch in der Corona-Bekämpfung. Daniel Duque Velasquez erwähnt neben der Politik noch einen anderen Grund: die Bürgerkultur, die Medellín von anderen Städten unterscheide. Die Menschen würden sich unterstützen und die Regeln einhalten. «Ich bin sehr stolz auf unsere Stadt», sagt er.