Italien während Corona«Die Deutschen haben bis heute diese Arroganz»
In Italien klagen inzwischen nicht nur Nationalisten und Europa-Verächter über Deutschlands fehlende Hilfen. Die Corona-Epidemie macht die alten Feindbilder und Klischees wieder lebendig.
Gemeinplätze sind dann besonders gemein, wenn sie deplatziert sind, zeitlich zum Beispiel. Die Italiener finden, im Norden Europas überziehe man sie auch in Zeiten unverschuldeter Not, in Zeiten wie diesen also, mit den üblichen Stereotypen. Mafia & Mandoline, Schlaumeier & Langfinger, die alte Leier. Sie würden deshalb kalt behandelt, unsolidarisch, ach was: völlig unsensibel. Die ganze Debatte über Euro-Bonds und Corona-Bonds? Besetzt vom alten Denken, als wäre altes Denken noch zeitgemäß.
Wenn die Italiener Norden sagen, meinen sie in erster Linie Deutschland, das hässliche, arrogante Deutschland. Und wenn sie Deutschland sagen, meinen viele die deutsche Prägung der Europäischen Union insgesamt, die EU der Schulmeister, der Erbsenzähler. Die habe ja nun an der Spitze ihrer Kommission auch noch eine Deutsche, «la von der Leyen», eine ehemalige Ministerin von Angela Merkel – wenn das mal kein Zeichen ist. Brüssel und Berlin, ist das nicht ein und dieselbe Adresse?
«Als wären sie eine Herrenrasse.»
Begonnen hat die Enttäuschung schon ganz am Anfang der Epidemie, damals mit der Nachricht, Deutschland halte Materiallieferungen zurück, die für die Lombardei gedacht waren. Italien, das von allen Ländern Europas zuerst und außerordentlich dramatisch von der Seuche getroffen wurde, hatte Mühe, die gewaltige Welle zu meistern, die da auf das Gesundheitswesen zurollte. Es fehlte an allem, auch an Schutzanzügen und Masken.
In jener ersten Phase kam mehr Hilfe aus China und Russland als aus Europa. Die war zwar politisch motiviert und mit Hintergedanken geschnürt. Doch die Italiener sahen am Fernsehen nun mal Bilder von Charterfliegern aus Shanghai und von Militärmaschinen aus Moskau, die tonnenweise Hilfsgüter nach Italien brachten – die Lieferungen waren mit trikoloren Herzchen versehen. Herz, das war es, was man aus dem Norden vermisste. Pietas und vielleicht auch mal ein bisschen Pathos.
Die nächste Eskalationsstufe setzte ein, als klar wurde, dass die Niederländer und – viel wichtiger – die Deutschen sich mit Macht gegen den Vorschlag des Südens wehrten, diese einzigartige Krise auch mit einer einzigartigen Waffe zu bekämpfen: mit Corona-Bonds eben.
«Heute ist mir nicht nach Ironie zumute, heute bin ich wütend und basta.»
In Italien bewegte diese Weigerung den Komiker und Theaterschauspieler Tullio Solenghi dazu, seine Meinung in ein Videoselfie zu packen – drei Minuten, eine Tirade auf Deutschland aus dem Wohnzimmer. «Heute ist mir nicht nach Ironie zumute, heute bin ich wütend und basta», so beginnt das Video, es wurde in der Folge millionenfach geteilt. «Die Deutschen», sagt Solenghi in der zentralen Passage, «haben den Ersten Weltkrieg ausgelöst, sie haben den Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Die Deutschen haben sechs Millionen Juden vernichtet, in Gaskammern. Und die Deutschen haben bis heute diese Arroganz – als wären sie eine Herrenrasse.»
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Jetzt, da ärmere Länder sich mehr Solidarität wünschten, wolle er die Deutschen daran erinnern, dass sie heute alle in Slums leben würden, wenn die Welt damals, nach dem Zweiten Weltkrieg, ihnen mit demselben Hochmut begegnet wäre. «Ich danke Gott, dass ich Italiener bin.»
Was den Deutschen die Vorurteile gegen die angeblich faulen Italiener sind, sind den Italienern die grobhistorischen Vergleiche. Die Gereiztheit ist immer da, auf beiden Seiten, subkutan. Es braucht nie viel, dann bricht sie auf: der Triumph in einem Fußballspiel, die Unflätigkeit eines deutschen Touristen in Rimini, solche Dinge. So werden Kleinigkeiten immer schnell ganz groß gemacht.
Vor einigen Tagen war es ein Kommentar in der Welt, der seinen Weg in die italienische Öffentlichkeit fand. Da hieß es, die Kanzlerin möge standhaft bleiben und den Italienern die Corona-Bonds verweigern, weil das Geld eh wieder bei der Mafia lande. Italiens Außenminister Luigi Di Maio hielt den Artikel für «schandhaft» und «inakzeptabel», wie er die Welt insgesamt wissen ließ, und das ist sein gutes Recht. Doch Di Maio fand auch, die deutsche Regierung müsse sich von dem Kommentar distanzieren, und diese Forderung war natürlich einigermaßen grotesk.
Nationale Egoismen
«La brutta Europa», titelte die sonst sehr europafreundliche Zeitung La Repubblica schon vor einigen Wochen. Das hässliche Europa. Zerfressen von nationalen Egoismen, so gar nicht gemeinschaftlich.
Natürlich ist auch das eine Verzerrung. Das angeblich deutsch geprägte Europa ist in den vergangenen Wochen gleich über mehrere Schatten gesprungen, deren Überwindung noch vor zwei Monaten niemand für möglich gehalten hätte.
Die Aussetzung des Stabilitätspakts, die Zulassung von Staatshilfen, das neue Programm der Europäischen Zentralbank, die schnell auf den Weg gebrachte Idee einer europäischen Arbeitslosenkasse, der Einsatz der Europäischen Investitionsbank, die Aussicht auf einen üppig gefüllten Fonds für den wirtschaftlichen Wiederaufbau, auch die Neudefinierung des Europäischen Rettungsschirms: In der Summe ist das ein sehr akrobatischer Salto.
Doch das Gefühl des Alleingelassenwerdens sitzt tief drinnen in der getroffenen italienischen Seele. Und es wird von fast allen genährt. Von Premier Giuseppe Conte, der sagt, er werde «bis zuletzt» für die Bonds kämpfen, obschon er eigentlich weiß, dass er damit seine Verhandlungsposition schwächt. Von den rechten Populisten, den europafeindlichen Souveränisten um Matteo Salvini, die nichts lieber tun, als auf Europa einzudreschen und die deutsche Kanzlerin dabei gern stellvertretend als Punchingball benutzen.
Befeuert wird das Gefühl auch von den Medien, nicht nur von den sozialen und nicht nur von den rechten, sondern auch von den großen Zeitungen: Manche veröffentlichten das Video des Komikers Solenghi auf ihrer Webseite. So floss es in den Mainstream.
«Angela Merkel treibt die Sorge um, dass etwas Ähnliches passieren könnte wie 2015, als Deutschland viele syrische Flüchtlinge aufnahm.»
Der Unmut ist hinübergeschwappt in Kreise, die früher immun waren gegen hysterisches Polemisieren. Das mag an Corona liegen, an Trauer und Angst, an der langen Quarantäne, es zehrt am Glauben an Europa. Und so ist nun wieder Zeit für Mittler und Beschwichtiger.
Der römische Philosoph Angelo Bolaffi, früher Direktor des italienischen Kulturinstituts in Berlin, ist so einer: Seit Jahren erklärt er den Italienern, wie die Deutschen jenseits von Klischees ticken, was ihre Politiker bewegt.
«Angela Merkel», sagte Bolaffi nun, «treibt die Sorge um, dass etwas Ähnliches passieren könnte wie 2015, als Deutschland viele syrische Flüchtlinge aufnahm: Wenn es Italien mit Euro-Bonds hilft, besteht die Gefahr, dass die extreme Rechte von der AfD wieder zulegt.» Hilfe aber, davon ist Bolaffi überzeugt, werde es am Ende genügend geben, denn kein Land brauche Europa mehr als Deutschland – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch moralisch und historisch.
Wenn sich diese Hilfe auch noch herzlich anfühlen würde, getragen von Mit- und Gemeinschaftsgefühl? Dann werden die Gemeinplätze am Ende wohl verwelken. Irgendwann.
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