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Brüssel präsentiert Wiederaufbaupläne
Die Corona-Krise macht den Tabubruch möglich

Sind zusammen vorgeprescht: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron.
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Es geht um sehr viel Geld, aber vor allem um einen Tabubruch. Die EU-Kommission soll erstmals Schulden machen können. Die Corona-Krise macht es möglich. Ursula von der Leyen wird am Mittwoch ihren Plan für den Wiederaufbaufonds präsentieren. Die EU-Kommission soll 500 Milliarden Euro aufnehmen und an besonders betroffene Mitgliedsstaaten verteilen können.

Es sind besondere Zeiten. Normalerweise schlägt Brüssel vor, und die Mitgliedsstaaten positionieren sich dann, bis man einen Kompromiss findet. Diesmal sind Angela Merkel und Emmanuel Macron schon im Vorfeld vorgeprescht und haben vergangene Woche einen eigenen deutsch-französischen Vorschlag für den sogenannten Recovery Fund präsentiert. Was wiederum Österreich, die Niederlande, Schweden, und Dänemark zu einem Gegenvorschlag provozierte.

Die Fronten sind also schon abgesteckt. Geht es nach Deutschland und Frankreich, sollen die Mittel als nicht rückzahlbare Hilfen fliessen. Die vier Länder mit Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz an der Spitze warnen vor der «Schuldenunion durch die Hintertür» und wollen die Gelder nur als Kredite gewähren. Aber das Prinzip, dass Brüssel erstmals in grossem Umfang Geld aufnehmen und dabei den EU-Haushalt als Sicherheit einsetzen kann, stellen selbst die Kritiker des deutsch-französischen Vorschlags nicht infrage.

Von der Leyen zwischen den Fronten

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird sich zwischen den beiden Fronten positionieren, also eine Mischung aus Hilfen und rückzahlbaren Krediten vorschlagen. Das Verhältnis wird 60 zu 40 Prozent oder 70 zu 30 Prozent lauten. Keine Eurobonds oder Corona-Bonds zwar, denn alle Mitgliedsstaaten würden entsprechend ihrem Anteil an der gemeinsamen Wirtschaftsleistung für die Gelder haften, aber doch ein Schritt Richtung gemeinsame Schuldtitel.

Wenn die Kommissionspräsidentin den Wiederaufbaufond bei den Mitgliedsstaaten und im EU-Parlament im Sommer oder spätestens im Herbst durchbringt, könnte Ursula von der Leyen dies nach der vielen Kritik an ihrer Amtsführung in der Corona-Krise als grossen Erfolg verbuchen.

Es geht um Solidarität, aber auch um Eigeninteresse.

Dabei dürfte in den Hintergrund rücken, dass Merkel und Macron ihr kräftig geholfen haben. Die deutsche Kanzlerin hat sich dabei vor allem auf den französischen Präsidenten zubewegt, der seit seinem Amtsantritt lange vergeblich für eine stärkere Integration der Eurozone und für mehr europäische Souveränität geworben hat. Beides hat Angela Merkel nun aufgegriffen: «Der Nationalstaat allein hat heute keine Zukunft.» Die Aussergewöhnlichkeit der Krise erfordere aussergewöhnliche Schritte, begründete die Bundeskanzlerin die Kehrtwende hin zur gemeinsamen Verschuldung.

Verschwende nie eine gute Krise, sagen Zyniker. Andere sprechen von einem Hamilton-Moment. Damit ist eine entscheidende Etappe in der Gründungsgeschichte der USA gemeint, als 1790 der amerikanische Finanzminister Alexander Hamilton durchsetzte, dass der Zentralstaat die Schulden der Bundesstaaten übernahm, und dafür erhebliche finanzpolitische Kompetenzen gewann. Ob der Vergleich stimmt, werden erst Historiker in grösserer zeitlicher Distanz beurteilen können. Derzeit ist allerdings explizit nicht vorgesehen, dass Altschulden übernommen werden.

Gefahr für den Euro und den Binnenmarkt

Auch ist noch offen, ob die Mitgliedsstaaten sich einstimmig auf einen Kompromiss einigen können. Dabei ist die Höhe des Betrags weniger wichtig als das Signal, die Südeuropäer nicht allein zu lassen. In der Eurokrise hatte sich Deutschland noch auf der Seite der anderen Nordeuropäer befunden und sich gegen Solidarität gesträubt. Die Corona-Krise hat den Graben zwischen Nord- und Südeuropa nun weiter vertieft. Eine Gefahr für den Euro und den Binnenmarkt, von dem die Nordeuropäer mit ihren exportorientierten Volkswirtschaften besonders profitieren.

Es geht um Solidarität, aber auch um Eigeninteresse. Die Bundeskanzlerin dürfte zudem das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Kopf haben, das längerfristig die Europäische Zentralbank in ihrer Rolle als Feuerwehr der Eurozone einschränken könnte. Die Euronotenbank hat die Mitgliedsstaaten schon länger gedrängt, mehr Verantwortung im Krisenmanagement zu übernehmen.

Eine Brücke zwischen Nord- und Südeuropäern

Die Gruppe der «Frugalen», so nennen sich die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden, muss jetzt ohne Deutschland auskommen. Für Merkel war die Kehrtwende auch möglich, weil anders als in der Schuldenkrise die Verheerungen der Pandemie nicht selbstverschuldet, sondern alle Mitgliedsstaaten betroffen sind.

Anders als Deutschland haben Italien, Spanien oder Griechenland aber allein nicht den Spielraum, Unternehmen mit grosszügigen Staatsbeihilfen zu retten oder Konjunkturprogramme anzustossen. Gemeinsam mit Frankreichs Emmanuel Macron hat Merkel die Brücke zwischen Nord- und Südeuropäern gebaut. Angetrieben durch die Sorge, dass ohne Solidarität die Eurozone auseinanderbrechen könnte.