Migration in DeutschlandDie CDU will das Recht auf Asyl abschaffen
Bedrängt von der AfD, setzen die deutschen Christdemokraten zum Befreiungsschlag an: Kontingente sollen den individuellen Anspruch auf Asyl ersetzen.
Seit Monaten werfen die deutschen Regierungsparteien den Christdemokraten vor, sie kritisierten nur, machten aber keine eigenen Vorschläge. Zumindest für eine der grössten politischen Herausforderungen unserer Zeit – die Regulierung der Migration – trifft dies nun nicht mehr zu.
Thorsten Frei, rechte Hand von CDU-Parteichef Friedrich Merz im Bundestag, nannte Anfang der Woche in einem Gastbeitrag für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» die europäische Asylpolitik eine «Lüge» und schlug einen spektakulären Ausweg vor.
Deutschland und die EU kennten zwar einen individuellen Rechtsanspruch auf Asyl, so Frei, verwendeten in Wahrheit aber alle Kraft darauf, dass möglichst wenige Menschen dieses Recht auch wahrnehmen könnten. Dies sei nicht nur heuchlerisch, sondern auch unmenschlich, weil es dazu führe, dass faktisch nur junge starke Männer Chance auf Asyl in Europa hätten.
Kontingente von 300’000 bis 400’000 Menschen aus notleidenden Ländern sollen in Europa gerecht verteilt werden.
Frei schlägt eine radikale Lösung vor: Das individuelle Recht auf Asyl will er abschaffen, das heisst, niemand könnte in Europa mehr einen Asylantrag stellen. Wer trotzdem käme, verlöre nicht nur jede Aussicht auf Schutz, sondern auch jeden Anspruch auf Sozialhilfe. Im Gegenzug würde die EU jährlich Kontingente von 300’000 bis 400’000 Menschen direkt aus notleidenden Ländern aufnehmen und danach in Europa gerecht verteilen.
Deutschland ist seit 2015 zum Hauptaufnahmeland für Asylsuchende in Europa geworden. Dieses Jahr erwartet es gegen 300’000 Asylanträge; aus Afghanistan oder Syrien nimmt Deutschland mehr Menschen auf als alle anderen europäischen Länder zusammen. Dies überfordert aber zusehends die Kommunen, die Geflüchtete unterbringen sollen. Und der Eindruck, die Kontrolle über die Migration wieder zu verlieren, trägt zum momentanen Höhenflug der AfD bei.
Kritik aus allen anderen Parteien – selbst aus der AfD
Den offenkundigen Problemen zum Trotz wurde der Vorschlag der CDU einhellig verworfen, von den Regierungs- wie von den Oppositionsparteien. Sozialdemokraten, Grüne und Liberale nannten Freis Pläne «realitätsfremd», «nicht umsetzbar», «populistisch» oder «geschichtsblind», die Linkspartei «verfassungswidrig» und «gefährlich». Selbst die AfD äusserte sich ablehnend: Sie ist zwar wie die CDU gegen den Anspruch auf Asyl, aber auch gegen Kontingente.
Rechtsgelehrte wendeten ein, der Schleifung des individuellen Anspruchs auf Asyl stünden derzeit deutsches, europäisches und Völkerrecht entgegen: unter anderen Artikel 16a des deutschen Grundgesetzes (1949), die allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (1948) und die Genfer Flüchtlingskonvention (1951). Das Recht auf Asyl war vor allem eine Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg, den Deutschland begonnen hatte und der weltweit zu Millionen von Flüchtlingen führte.
Was tun mit den Menschen, die trotzdem kämen?
Fachleute für Migration geben zu bedenken, dass Kontingente das Problem der irregulären Migration keineswegs lösen, sondern die humanitäre Lage noch verschärfen würden. Viele Menschen, die bei Kontingenten nicht zum Zug kämen, würden sich trotzdem auf die gefährliche Reise nach Europa begeben. Sie zurückzuschaffen, wäre unter dem neuen Regime nicht einfacher als unter dem heutigen. Und sie mittellos auf der Strasse vegetieren zu lassen, würden sowohl deutsche wie europäische Gerichte aus humanitären Gründen verhindern.
Angesichts der geballten Kritik wollten selbst manche in der CDU den Vorschlag aus den eigenen Reihen zuletzt nur noch als «Denkanstoss» verstehen. Das Lösungsprinzip «Tabula rasa» ist normalerweise das Privileg von Populisten. Eine konstruktive Debatte über die konkreten Herausforderungen entsteht so eher nicht.
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