Ferienprofis persönlich (9)Die Bundesstadt wird zur Bierhauptstadt
Nirgends ist die Dichte an Brauereien grösser als in Bern. Bier-Sommelière Anna Peyer bringt Interessierten auf einer Biertour das Getränk und Bier-Geschichten näher.
Treffpunkt ist vor dem Alten Tramdepot beim Bärengraben. Wie der Name besagt, wurden in den 130-jährigen Gemäuern einst die Wagen des Trams Bärengraben-Güterbahnhof abgestellt. Danach diente das Gebäude als Autogarage, später als Theaterdepot. Seit einem umfassenden Umbau 1998 ist das Alte Tramdepot ein Bier- und Speiselokal für bis zu 500 Gäste mit einer schattigen Gartenterrasse. Mitten im Gastlokal stehen grosse Kupferkessel, in denen Bier gebraut wird: Vier eigene Sorten sind immer im Angebot, eine fünfte wechselt ständig. Mit einem Ausstoss von 3000 Hektolitern im Jahr gehört das Tramdepot zu den mittelgrossen Bierproduzenten.
Inzwischen sind die zehn Teilnehmenden zu Anna Peyers Biertour eingetroffen. Im Alltag ist sie im Aussendienst der grössten Brauerei der Bundesstadt tätig, bei Felsenau. An manchen Mittwochabenden jedoch wird sie zur Geschichtenerzählerin. Anna redet vom Bier-Boom der vergangenen drei Jahrzehnte in der Schweiz und vor allem in Bern. 1990, am Ende einer langen Abwärtsspirale, gab es hierzulande noch 32 Brauereien. Danach, als das Bierkartell zerschlagen und der Markt geöffnet war, erhöhte sich deren Zahl bis 2019 auf 1141, um das 35-Fache.
Nicht weniger als 160 Brauereien befinden sich im Kanton Bern. Darunter gibt es ziemlich grosse wie Felsenau in der Stadt Bern, Egger in Worb oder Rugenbräu in Interlaken, aber vor allem sehr viele kleine.
Fünf Biere zum Degustieren
Wir setzen uns in den Biergarten und bekommen fünf Biere in Eindeziliter-Gläsern, schön auf einem Holzbrett arrangiert. Anna Peyer beginnt zu erzählen, vom Brauvorgang, von Malz, Wasser, Hefe und Hopfen. Sie erklärt, wie die fünf Biere ihre unterschiedliche Farbe, vom hellen Gelb bis zur dunklen Honignote, erhalten haben, wieso sie unterschiedlich riechen und schmecken, wodurch sich untergärige und obergärige Biere unterscheiden, und so weiter.
Dass die junge Frau zur Bierspezialistin wurde, war nicht vorgegeben. Nachdem Anna Peyer das Gymnasium vorzeitig verlassen hatte, machte sie eine Lehre als Malerin, jobbte nebenbei im Jugendkulturzentrum Gaskessel als Barfrau und absolvierte gleichzeitig auch noch die Berufsmatur. Bis vor zehn Jahren arbeitete sie im erlernten Beruf, bis sie bei einem unverschuldeten Unfall ein Schleudertrauma erlitt, was die körperliche Arbeit auf dem Bau unmöglich machte.
Zum Bier fand Anna im September 2011 bei einem innovativen Betrieb namens Erzbierschof, der in seiner besten Zeit Lokale im Liebefeld bei Bern, in der Berner Altstadt, in Zürich und Winterthur betrieb. «Das war ein visionäres Unternehmen, das Konzept war damals einzigartig», sagt sie. Der Erzbierschof war unter Bierkennern jahrelang ein Begriff. Doch 2017 war Schluss; die Firma ging pleite.
Inzwischen sind wir mit dem Zwölferbus hinauf zum Zytglogge gefahren und in die Rathausgasse eingeschwenkt, eine der Berner Ausgehmeilen, in der sich ein Lokal ans andere reiht.
Aktuelle Bier-Angebote auf der Tafel
Im Keller des Hauses Rathausgasse 53 setzen wir uns an einen langen Holztisch der Craftbeer-Bar On Tap. Auch On Tap braut eigenes Bier, wenn auch ausser Haus in der Brauerei Riot Act Brewing in Zollikofen. Was das On Tap aber vor allem bietet, sind zwölf Biere aus dem Zapfhahn sowie eine grosse Auswahl an Flaschenbieren.
Aus dem Hahnen fliessen einerseits Schweizer Spezialitäten – in unserem Fall ein Zwickel aus Martigny VS, ein Pale Ale von der Brauerei Blackwell in Burgdorf BE und ein Amber Ale aus Saignelégier im Jura, andererseits Spezialitäten aus aller Welt. Sobald ein Fass im On Tap leer ist, wird es durch ein anderes Bier ersetzt; auf einer elektronischen Tafel sind die zwölf aktuellen Angebote und ihre Preise angegeben.
Schräg gegenüber, im Biercafé Au Trappiste, Rathausgasse 68, werden sechs offene Biere ausgeschenkt. Eines, ein Gruitbier (Kräuterbier), ein von der Nordsee stammender Bierstil, ohne Hopfen gebraut, schmeckt wie ein flüssiger Kräutergarten, ein anderes aus Schweden trägt den poetischen Namen «Dancing in the Daylight». Neben den sechs wechselnden Bieren ab Zapfhahn führt das Au Trappiste 70 Gastbiere, 40 Biere auf der regulären Karte und 30 belgische Lambic.
Bier aus der Apotheke
Anna Peyer hat ihre Berufung gefunden und «mein Hobby zum Beruf gemacht», wie sie sagt. Sie hat sich bei Gastro Suisse sowie in Deutschland zur diplomierten Bier-Sommelière weitergebildet und dabei viel über die Herstellung von Bier, seine Geschichte, die Bierszene, aber auch den Alkoholismus gelernt. Die dreistündigen Biertouren, die von der Tourismusorganisation Bern Welcome zusammen mit der Firma Dub4you angeboten werden, führt sie als Nebenbeschäftigung und trägt so dazu bei, dass sich die Bundesstadt auch als «Bierhauptstadt» profilieren kann.
Vom Zytglogge fahren wir über die Kornhausbrücke hinauf ins Quartier Breitenrain. Auch das Barbière am Breitenrainplatz, ein gut frequentiertes Lokal in diesem gefragten Wohnquartier, serviert selbst gebraute Biere. Und wenn die erste Station auf unserer Biertour ein umgebautes Tramdepot war, dann ist die letzte eine umgebaute Apotheke. Bier boomt in Bern; das Barbière beweist dies endgültig.
Weitere Informationen zur Biertour von Bern Welcome: www.bern.com
Dieser Beitrag ist Teil einer Serie in Zusammenarbeit mit Primcom. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei Tamedia.
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