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Psychologie in der Politik
Die Bösen sind immer die anderen

Frauen identifizieren sich stärker mit ihrem politischen Lager als Männer: Frauenmarsch gegen die Regierung Trump in New York City. 
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Selbst unschuldige Fragen provozieren gelegentlich heftige Reaktionen. Wie so oft lässt sich das in hoch konzentrierter Form in den Empörungsreaktoren beobachten, die irgendjemand vor langer Zeit einmal mit dem irreführenden Namen «soziale Medien» versehen hat.

Eine prototypische Eskalation von der Frage zum Wutausbruch verläuft dort ungefähr so: Irgendjemand postet eine Position zu einem politisch explosiven Thema. Die geäusserte Position zeichnet sich durch eine gewisse Radikalität aus, insofern als sie für weniger Involvierte nicht sofort verständlich ist und eben Nachfragen provoziert: Wie ist das gemeint? Was genau steckt hinter gewissen Begriffen? Die Befragten reagieren dann gerne mit selbstgerechter Empörung: Es sei nicht ihre Aufgabe, die Fragenden aufzuklären, diese ignoranten Idioten sollten sich selbst auf die Socken machen, um sich zu informieren.

Solche kleinen Szenen lassen sich als Beispiel dafür lesen, wie gespalten zumindest die Nutzer der sozialen Medien sind. Letztlich steckt hinter der Reaktion der Befragten die Haltung, dass alles, was nicht eine bedingungslose Zustimmung zu ihrer Position auslöst, einem Affront gleichkommt – als wäre es ein Beweis dafür, dass alle Gegenstimmung von Niedertracht, von Boshaftigkeit und Verblendung motiviert ist.

Frauen reagieren anders

Nun sollte niemand die sozialen Medien mit dem sogenannten echten Leben verwechseln. Und doch verdeutlichen die digitalen Wutkammern, was auch im analogen Leben stattfindet: Es stehen sich zunehmend unversöhnliche politische Lager gegenüber, die aus jedem kleinsten Anlass dankbar übereinander herziehen. Die Politikwissenschaftlerinnen Heather Ondercin und Mary Lizotte haben das gerade in einer grossen Stichprobe für die USA nachvollzogen und die Ergebnisse im Fachblatt «American Politics Research» publiziert. Darin zeichnen die Forscherinnen für den Zeitraum von 1980 bis 2016 nach, wie sich die Animosität der politischen Lager in den USA stetig verschärft hat.

Zudem präsentieren sie einen überraschenden Befund: Unter Frauen ist demnach ein etwas stärkeres Ausmass an affektiver Polarisierung zu finden als unter Männern. Der Grund dafür liege darin, dass «Frauen festere Lageridentitäten pflegen», schreiben die Wissenschaftlerinnen. Frauen identifizieren sich demnach eher und stärker mit einer politischen Seite als Männer, die sich etwas häufiger als politisch unabhängig bezeichneten, sagen Ondercin und Lizotte.

«Frauen sind im Vergleich zu Männern gegenüber Anhängern der politischen Gegenseite etwas feindseliger.»

Heather Ondercin und Mary Lizotte, US-Politikwissenschaftlerinnen

Aus anderen Studien ist bekannt, dass Frauen sich tatsächlich stärker über Gruppenidentitäten definieren als Männer und auch einen etwas ausgeprägteren In-Group-Bias pflegen – sie bevorzugen also die Mitglieder des eigenen Lagers oder der eigenen Gruppe gegenüber anderen. Natürlich, das muss stets betont werden, handelt es sich bei solchen Befunden um Durchschnittswerte, aus denen sich keine Aussagen über Einstellungen und Verhalten von Individuen ableiten lassen.

Zudem, auch das sei betont, sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern wie fast immer gering. Interessant sind sie dennoch, sind sie doch antiintuitiv, Lagerdenken wird ja eher Männern unterstellt. Der Polarisierungs-Geschlechter-Gap zeigte sich laut Ondercin und Lizotte in den 1990er-Jahren und weitete sich bis in die gegenwärtige Phase der zunehmend unversöhnlichen Gegnerschaft der Demokraten und Republikaner in den USA aus. Im Vergleich zu Männern sind «Frauen gegenüber Anhängern der politischen Gegenseite heute etwas feindseliger», schreiben die Wissenschaftlerinnen.

Zorn der Selbstgerechten

Auch der Vergleich zwischen den Anhängern der beiden grossen US-Parteien überrascht. Der Unterschied in der affektiven Polarisierung zwischen Anhängern und Anhängerinnen der Demokraten ist grösser als zwischen den Frauen und Männern, die den Republikanern zugeneigt sind. Ganz grundsätzlich lässt sich über die USA derzeit gewiss sagen: Unabhängig vom Geschlecht finden sich dort die Anhänger beider Lager gerade gegenseitig ziemlich blöd. «Politische Polarisierung bedroht zunehmend den Fortbestand demokratischer Institutionen», schreibt ein Team um Michael Schwalbe und Lee Ross in einer kürzlich im Fachblatt PNAS erschienenen Studie.

Darin zeichnen die Psychologen der Stanford University nach, welches Denken hinter dem Begriff affektive Polarisierung eigentlich steckt. Analysen der Debatten des US-Präsidentschaftswahlkampfes aus dem Jahr 2016 zeigten, dass es nicht darauf ankam, was die Kandidaten sagten, sondern nur, wer etwas von sich gab.

Das eigene Lager hat demnach fast immer recht, fast egal, was da gesagt wird. Die anderen hingegen sind verblendet: Ihre Meinungen und Aussagen werden als Ergebnis von Boshaftigkeit und Dummheit abgekanzelt. Da schenken sich beide Seiten nichts, und auch das haben Studien immer wieder gezeigt: Ihre Sicht auf die Dinge beziehungsweise die sogenannte Realität biegen sich die Anhänger quer durch das politische Spektrum so zurecht, wie es ihnen gerade passt.

Dahinter steckt die allzu menschliche Annahme, dass man selbst einen halbwegs objektiven Blick auf die Welt pflegt, wie sollte es auch anders sein? Und wenn sich dann jemand erdreistet, diese Sicht anzuzweifeln oder auch nur nachzufragen, wie das genau gemeint ist, bekommt er den Zorn der Selbstgerechten zu spüren.