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Kommentar zur Zerreissprobe der FDP
Die bilateralen Verhandlungen stehen vor dem Durchbruch

Ignazio Cassis, Bundesrat, waehrend der Delegiertenversammlung der FDP Schweiz, am Samstag, 19. Oktober 2024, im Centro Sportivo Nazionale in Tenero. (KEYSTONE/Ti-Press/Alessandro Crinari)
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Die FDP-Delegierten gönnten sich am Samstag einen Ausflug nach Tenero, ins schöne Tessin. In der Heimat ihres in letzter Zeit eher glücklosen Aussenministers Ignazio Cassis berieten sie über das Flüchtlingswesen. Und sie zelebrierten dabei Einigkeit in ihrer neuen Härte. Doch all der entschlossenen Reden zum Trotz kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die ganze Veranstaltung ein Ablenkungsmanöver war. Eigentlich hätten die Frauen und Männer der FDP über das Verhältnis der Schweiz zur EU debattieren müssen, denn da droht der einstmals staatstragenden Partei gerade eine Zerreissprobe.

Warum? Weil die bilateralen Verhandlungen mit der EU in der Schlussphase sind und bis Ende Jahr endlich abgeschlossen sein sollen. Was dabei herauskommt, ist mehr oder weniger klar, nämlich das, was schon vor 15 Jahren auf dem Tisch lag. Es wird einen Teil des Schweizer Rechts geben, über das nicht mehr autonom in unserem Land entschieden wird, sondern in Brüssel. In den Bereichen, die zu den bilateralen Verträgen gehören, muss die Schweiz künftig Änderungen im europäischen Recht «dynamisch» nachvollziehen.

«Dynamisch» heisst, die Schweiz berät die Gesetze im Parlament, es kann ein Referendum geben, aber das Volk kann nicht mehr Nein sagen, sonst darf die EU uns mit Sanktionen bestrafen. In vielen Bereichen ist das völlig unproblematisch und wird schon heute freiwillig praktiziert, in anderen führt das EU-Recht zu bürokratischen Leerläufen. Aber zu den bilateralen Verträgen gehören auch heikle Bereiche wie die Zuwanderung und der Lohnschutz. Vor allem aber soll der Europäische Gerichtshof künftig darüber entscheiden können, ob wir die dynamische Rechtsangleichung korrekt vollzogen haben.

Für Christoph Blocher und seine SVP ist das alles des Teufels. Er und seine Partei werden darum einem solchen Abkommen nie zustimmen. Lange gab es auch Widerstand von links, vor allem von den Gewerkschaften. Die hatten Angst um die flankierenden Massnahmen, die den Lohnschutz garantieren und dank der vielen Kontrollen und Abgaben auch einen schönen Teil der Einnahmen der Gewerkschaften und die Löhne ihrer Kader finanzieren. Sie wollten darum als Ersatz für den Lohnschutz mehr Gesamtarbeitsverträge, die möglichst allgemein verbindlich sein sollen. Auch sie garantieren für ihre Klientel den Lohn und den Gewerkschaften neue Zwangsabgaben und damit die Mittel, ihren Kadern weiter gute Löhne zahlen zu können.

Die Arbeitgeber verweigerten zwar in den letzten Jahren jeglichen Kompromiss in dieser Frage. Sie fürchteten um das liberale Arbeitsrecht der Schweiz. Doch nun zeichnet sich offenbar eine Einigung ab, die Gewerkschaften bekommen ihr Zückerchen. So zumindest werden die Aussagen von Boris Zürcher, des scheidenden Chefs des Bundesamts für Arbeit, interpretiert, die er letzte Woche in der NZZ machte. «Ich sehe, dass die Sozialpartner eine Lösung wollen», sagte er da.

Einigung mit der EU, Einigung im Inland, damit kommt beim Thema Europa, das alle lieber aussitzen würden, die Stunde der Wahrheit näher. Nun müssen alle sagen, ober sie die neuen Bilateralen wollen oder nicht. Der Bundesrat ist gespalten, und wie Recherchen zeigen, trifft er sich Anfang November zur Klausur, um eine Einigung zu finden. Irgendwie werden die sieben Damen und Herren einen Weg finden müssen, wie sie dem Verhandlungsergebnis mindestens offiziell zustimmen können. Denn ein nochmaliger Verhandlungsabbruch wie vor drei Jahren ist undenkbar. Der Gesichtsverlust wäre zu gross.

Damit kommt das Paket ins Parlament, und dort müssen die Parteien sich offenbaren. Die SVP wird Nein sagen, die SP Ja, die Mitte wohl auch. Einzig die FDP weiss nicht, was sie tun soll. Ihr Aussenminister gibt keine Interviews, ihre Parlamentarier gehen nicht einmal mehr in die «Arena», sondern schicken die Grünliberalen vor, wie sich am Freitag zeigte. Die FDP muss irgendwann Ja sagen, weil sie mit Cassis den zuständigen Bundesrat und mit Finanzministerin Karin Keller-Sutter die wichtigste Bundesrätin stellen. Und sie noch immer die Wirtschaftsverbände dominieren, die offiziell immer wieder betonen, wie wichtig ein neues Abkommen – sie nennen es die «Bilateralen III» – für die Schweiz wäre. Aber die Basis will die Verträge nicht, darum steht die Partei, die in letzter Zeit fast alle Wahlen verloren hat, vor der Zerreissprobe. Wie unter diesen Umständen die Verträge beim Volk durchkommen sollen, bleibt offen.