Drei Wochen in der Tour-BlaseDie Aussenwelt ist weit weg für sie
Für die Fahrer hat sich der Alltag an der Tour durch Corona nicht so stark geändert. Wie schaut es aber mit den Helfern aus, die nicht ganz so behütet ihren Aufgaben nachgehen müssen?
Die Fahrer müssten sich vorkommen wie Gäste in einem Fünfsternhotel. Für jeden der 176 arbeiten bei den 22 Teams mindestens 3,75 Helfer – total umfassen die Teamblasen je 30 Personen, davon 8 Fahrer. Wie erlebten Helfer diese von Covid-19-Massnahmen bestimmte Tour de France?
Kim Rokkjaer, Koch, Trek-Segafredo: «Wodka zur Desinfektion»
«Ich bin derzeit ‹medium rare›. Aber bald werde ich ‹well done› sein. Nach der Tour habe ich eine Woche Pause, dann geht es weiter mit dem Giro d’Italia und von dort direkt weiter zur Vuelta – sieben Wochen am Stück.
Der einzige Unterschied wegen Corona in meinem Tagesablauf ist, dass ich nicht selber einkaufe. Wie viele Equipen haben wir eine Person, die alle Einkäufe erledigt und sich wegen des ständigen Kontakts mit anderen Leuten ausserhalb der Teamblase bewegt. Unsere Frau reist einen Tag vor uns, hinterlässt mir meine Bestellungen im Hotel. Darunter leidet etwas meine Spontaneität. Ich mag es, aus dem aktuellen Angebot etwas zu kochen. Wenn ich selber auf dem Markt bin und da hat es schöne Hummer im Angebot, kaufe ich auch einmal solche für die Fahrer – das geht jetzt nicht.
Die Hygienemassnahmen sind nichts Neues für mich. Wenn ich in eine Hotelküche komme, schaue ich zuerst immer den Geschirrspüler an. Ist der nicht gepflegt, desinfiziere ich Geschirr und Besteck. Früher wurde ich manchmal belächelt, wenn ich dafür auch einmal Wodka verwendete, Desinfektionsmittel war damals noch nicht in jedem Hotel üblich.»
Geert Vanparys, Busfahrer, Team CCC: «Fast nackt ohne Maske»
«Anfänglich war es schon komisch, ständig die Maske zu tragen. Doch man gewöhnte sich schnell daran. Mittlerweile fühle ich mich fast nackt, wenn ich das Zimmer ohne verlassen will. Wie wenn ich das Handy nicht bei mir habe.
Als Busfahrer bin ich für die Navigation des Teams ausserhalb des Rennens verantwortlich. Vom Hotel zum Start, dann zum Ziel, von dort zum nächsten Hotel. Da muss ich mir wirklich sicher sein, dass die anderen Autos mir folgen. Zugleich bin ich Putzfrau. Jeden Abend reinige ich den Bus aussen und innen. Für die Ledersitze der Fahrer nahm ich früher einen nassen Lappen, heute einen Alkoholspray. Ebenfalls bin ich für die Wäsche der Fahrer verantwortlich. Diese wird in der Waschmaschine unten im Bus gereinigt. Da kommen nur die Kleider der Fahrer hinein, zudem wird alles mit dem Tumbler getrocknet.
Am Start und im Ziel ist es an der Tour viel entspannter als sonst, weil nur die Leute in den Teamblasen zugelassen sind. Aber auch die Teams sind sehr distanziert zueinander. Gespräche mit anderen Leuten vermisse ich schon. Zumindest in den Hotels finden sie statt, mit den Angestellten.»
Paul Navin, Pfleger, Team EF: «Zeitaufwendiger, weniger Erholung»
«Unser Team war sehr proaktiv, wir hatten von Beginn weg unsere eigenen Corona-Massnahmen. Wir haben unsere Teamblase bereits im zehntägigen Trainingslager in Andorra vor der Tour etabliert. Für uns Soigneure bedeutet das: Wir sind viel länger unterwegs als sonst. Ausserdem sind die Reisen zeitaufwendiger, weil wir versuchen, Flüge zu vermeiden, und viel mehr mit dem Auto machen. Einzelne Teammitglieder sind sogar seit Anfang August ununterbrochen unterwegs. Aber ich beklage mich nicht: Wir konnten uns ja während der Rennpause ausruhen.
In den Hotels gab es die grössten Veränderungen. So haben wir mehrfach im Freien gegessen, weil es keinen Saal gab, wo wir separat von anderen Gästen speisen konnten. Beim Frühstück war es da ein paar Mal ziemlich frisch. Zugute kommt uns auch, dass das Team entschieden hat, dass alle Mitglieder ein Einzelzimmer erhalten. Normalerweise teilen wir uns immer Zimmer. So hat man zumindest diese Rückzugsmöglichkeit und kann sich etwas besser erholen.»
Philippe Maertens, Pressechef, Team Lotto-Soudal: «Einfacher wegen Corona»
«Die Arbeit an der Tour ist für mich einfacher – wegen Corona. Normalerweise warten am Start und im Ziel 10 bis 30 Journalisten vor dem Teambus. Nun sind wir für uns. Klar macht es das für die Medien schwieriger. Aber es gibt eine Mixedzone, zumindest am Start funktioniert das gut. Da nehmen sich die Fahrer Zeit. Im Ziel ist es schwieriger. Die Fahrer sind müde und rollen direkt zum Bus. Ihnen dort zu erklären, sie müssten zurück zu den Medien, das ist ziemlich schwierig …
Ich versuche, den Journalisten mit Ton- und Videoaufnahmen zu helfen, das ist für sie auch angenehm. Aber ich hoffe sehr, dass es nicht für immer so bleibt. Das Menschliche geht komplett verloren, es ist pures Business – wie mit allen Aspekten derzeit.
Vor den Covid-19-Tests waren wir schon nervös – kurz vor der Tour hatte es bei Lotto-Soudal zwei nicht negative Fälle gegeben. Deshalb wurde teamintern auch noch ein zusätzlicher Test durchgeführt.
Der grösste Unterschied für mich ist die Zahl der Leute am Strassenrand. Im September fehlen alle Touristen. Es fühlt sich an, als wären wir an der Vuelta.»
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