Tierexperiment im JuraDie Armee lässt Pferde durch die Luft fliegen
Pferde so sicher und komfortabel wie möglich retten: Dieses Ziel verfolgen Tierärzte der Universität Zürich und die Schweizer Armee mit einem gemeinsamen wissenschaftlichen Projekt.
Den Super-Puma hört man von weit her knattern. Noch ist die Fracht, die unter dem Helikopter schwebt, nur ein kleiner Punkt. Beim Näherkommen bekommt die Silhouette Konturen. Vier Pferdebeine baumeln aus einer Art Sack heraus. Beim Landeanflug fliegen die Piloten eine kleine Schlaufe. Der füllige, über 600 Kilogramm schwere Tierkörper schwingt sanft nach links und rechts. Dann bringen die Piloten ihren Super-Puma zum Stillstand und lassen ihre «Fracht» nach unten gleiten.
Ein Dutzend Tierärzte und Tierpfleger kümmern sich auf der Festwiese des nationalen Pferdefestes «Marché-Concours» in Saignelégier um das Tier. Einmal mit den Hufen auf dem Boden, lässt sich das Pferd ins Grüne fallen. Erst als der Helikopter in Richtung Landeplatz schwebt, steht es von selbst auf. Jetzt werden dem Pferd das Transportnetz abgenommen, der sogenannte Flughalfter vom Kopf gezogen und die lärmdämmenden Wattenbausche aus den Ohren geklaubt. Jemand entnimmt dem Pferd sogleich eine Blutprobe. Dann trottet es mit seinen Pflegern vom Platz.
Eine Dreiviertelstunde kreiste das Pferd am Freitag bei maximal 140 Kilometern pro Stunde über den jurassischen Wäldern. Es ist einer der letzten Flüge in einem wissenschaftlichen Projekt der Schweizer Armee und der Klinik für Veterinärmedizin des Unispitals Zürich. «Es geht darum, den Transport und die schnelle Evakuierung von verletzten Pferden zu einem Tierspital zu trainieren, die Abläufe zu optimieren und ein standardisiertes Rettungsprotokoll zu erstellen», führt Stéphane Montavon, Cheftierarzt der Schweizer Armee, aus.
Zwar würden private Helikopterunternehmen schon heute Pferde, aber auch Kühe oder Rinder retten, aber die Tiere seien nie länger als zehn Minuten in der Luft, so Montavon. Mit einer Flugzeit von 45 Minuten könne man die medizinische Versorgung beschleunigen. Das sei entscheidend, denn das Zeitfenster von der Verletzung eines Tiers bis zur medizinischen Notversorgung betrage maximal vier Stunden, sagt der Cheftierarzt der Armee.
Dem Tier gehe es «absolut perfekt», weiss Montavon. Die Körpertemperatur betrage 37,7 Grad und sei damit exakt gleich hoch wie vor dem Start. Auch der Pulsschlag des Tiers sei mit 32 Schlägen pro Minute absolut normal. Schon während des Flugs war das Tier mit einem Elektrokardiogramm überwacht und die Körpertemperatur kontrolliert worden.
«Es zieht einem schon das Herz zusammen, wenn man ein gesundes Pferd für ein Wissenschaftsprojekt an einen Helikopter bindet und in die Luft schickt.»
Ein Tierarzt war mit einem Eurocopter, einem zweiten kleineren Helikopter, neben dem Super-Puma geflogen und bekam die Daten per Bluetooth auf einen Computer übermittelt. Wären die Werte zu hoch oder zu tief gewesen, wäre das Tier sofort abgesetzt und versorgt worden.
«Es zieht einem schon das Herz zusammen, wenn man ein gesundes Pferd für ein Wissenschaftsprojekt an einen Helikopter bindet und in die Luft schickt», sagt Anton Fürst, der Direktor der Klinik für Pferdechirurgie an der Universität Zürich. Auch für die Berufspiloten der Armee sei der Einsatz mit lebendigen Tieren alles andere als alltäglich. Aber um verletzte oder von einem Unwetter bedrohte Pferde optimal retten zu können, müsse man mit gesunden Tieren herausfinden, was am besten funktioniere, betont Tierarzt Fürst.
Was die Pferde während des Fluges empfinden, kann auch er nicht sagen. Nur in einem ist er sich sicher: «Sie realisieren nicht, dass sie fliegen, sondern spüren den Druck auf dem Bauch und den Wind.» Um die Tiere so gut wie möglich zu schützen, beruhigt Anton Fürst sie vor dem Abflug mit starken Medikamenten, schränkt ihr Sichtfeld ein und schiebt schalldämmende Watte in die Ohren.
Es bleiben Rätsel
Nach diversen Testflügen bleiben einige wenige Rätsel. «Bei zwei Pferden war die Körpertemperatur zu tief, und wir wissen nicht, warum», sagt der Tierarzt. Was ihn aber beruhigt: Die Herzfrequenzen blieben stets normal, und auch das im Blut gemessene Stresshormon Cortisol wies nie einen zu hohen Wert aus.
Zudem halten die Pferde ihre Köpfe aufrecht. Ohnehin würde eine Halterung verhindern, dass die Köpfe nach unten kippen. Andernfalls könnten Venen im Hals abgedrückt und die Sauerstoffzufuhr blockiert werden, was lebensgefährlich wäre. Am Donnerstag musste ein Flug abgebrochen werden. Eine Sicherheitsmassnahme, weil es viel Wind gab.
«Wenn das alles vorbei ist, treffen wir uns zu Bier und Wein», ruft Anton Fürst seiner Equipe zu. Vor dem Fest, gibt es allerdings noch einen Höhepunkt. Tierarzt Fürst schickt gleich drei Pferde gleichzeitig in die Luft. Vom Boden betrachtet, sehen sie aus wie ein Dreiergespann ohne Wagen. Doch wichtiger ist: Die Pferde reisen sicher und landen komfortabel. Experiment gelungen.
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