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Sommerferien im Norden
Deutschlands ungewöhnlichste Insel

Protz- und Privatauto-freie Insel: Blick auf den Hafen von Vitte auf Hiddensee.

Karl Huck und Wiebke Volksdorf, Puppenspieler und Theaterdirektorin

Wiebke Volksdorf und Karl Huck im Marionetten- und Figuren-Haus Homunculus.

Sie sind in Bolivien aufgetreten, in Indien oder im Theater Stok in Zürich, aber ihr Herz gehört Hiddensee: Puppenspieler Karl Huck (61) und seine Frau Wiebke Volksdorf (44) setzen die künstlerische Tradition auf der Ostseeinsel fort.

Die Schriftsteller Joachim Ringelnatz und Gerhart Hauptmann, Stummfilm-Ikone Asta Nielsen oder Filmschauspieler Armin Mueller-Stahl verbrachten in verschiedenen Epochen manchen Sommer hier.

«Hiddensee ist ein guter Boden für Kunst. Bereits vor 100 Jahren wurde hier Theater gespielt», sagt Karl Huck. Das Ehepaar betreibt in einem ehemaligen Gewerbebau in Vitte die Seebühne Hiddensee. Hier finden Lesungen oder Kammerkonzerte statt, werden Filme gezeigt.

Einen Steinwurf weiter tritt Karl Huck im Homunculus fast jeden Abend mit Stab- und Handpuppen und Marionetten auf, momentan gibt er auf einer drehbaren Kleinstbühne den «Don Juan». Direktorin Wiebke sorgt für den perfekten Rahmen.

«Ich gehöre seit einem Vierteljahrhundert zum Inventar von Hiddensee», konstatiert Huck, der im früheren Ostberlin Schauspiel, Fachgebiet Puppenspiel, studierte und ein Meister seines Fachs ist. «Oft sagen die Gäste, wir gehörten eigentlich nach Paris oder New York», schmunzelt Wiebke Volksdorf.

Von den knapp 1000 Insulanern können die beiden Bühnen nicht leben. «Diese Insel, auf der man sein Auto nicht zeigen darf, zieht ein intellektuelles, naturverliebtes Publikum an, das wir mit unserer Kunst abholen», so Huck.

Im Homunculus sind die handgefertigten Puppen ausgestellt, die Huck so wunderbar zum Leben erweckt: Sindbad der Seefahrer, Pinocchio, Robinson Crusoe, Faust oder Rotkäppchen. Und über dem Arsenal thront ein dicker King-Kong-Schädel.

Seebühne und Homunculus bleiben ohne staatliche Subventionen. Die Rechnung geht nur auf, weil das Paar vieles selber macht. «Und oft buchen die Stammgäste schon fürs nächste Jahr», sagt die Chefin des maritimen Kleinkunsttempels, «Hiddensee ist für uns wirklich der beste Ort».

hiddenseebuehne.de

 Mathias Neubauer, Fuhrhalter und Landwirt

Mathias Neubauer mit einigen seiner 70 Pferde.

Hiddensee tickt anders: Unmöglich, hier auf die Schnelle ein Taxi zu rufen. Wer nicht mit dem Handkarren losziehen mag, bestellt ein 2-PS-Gefährt. «Wir können aber nicht einfach den Schlüssel im Zündschloss drehen», sagt Mathias Neubauer, «ein Pferdegespann braucht Vorlaufzeit».

Eineinhalb bis zwei Stunden benötigen Neubauer und seine Mitarbeitenden, bis der Planwagen oder die Kutsche abfahrbereit sind. «Wir holen am Morgen die Pferde von der Weide, füttern und tränken, putzen und striegeln sie, schirren an und spannen ein», erzählt der 50-Jährige, der 1992 von Rügen nach Hiddensee kam und in Kloster einen Pferdehof aufbaute.

Vor dem Planwagen laufen und traben gerade Antonia (6) und Hella (4), zwei Mecklenburger Kaltblüter, beide 800 Kilo schwer, Tendenz: zunehmend. Anfang 2023 erwarten die beiden Fuchsstuten Fohlen.

Neubauers Hauptkundschaft sind Tagestouristen: Eine Viertelmillion setzt pro Jahr mit den Fähren von Stralsund oder Rügen über. Die einstündige Rundfahrt im Pferdewagen auf der lang gestreckten Insel kostet in der Gruppe zehn Euro pro Passagier. «Wir halten von April bis Oktober meistens sechs Wagen fahrbereit», erzählt Neubauer, «und während der Ferienzeit kommen viele Gäste zum Reiten.»

Neben 70 Zug-, Reit- und Jungpferden besitzt Neubauer 450 Schafe, eine Kreuzung zwischen dem Grauwolligen Pommerschen Landschaf und einer Fleischrasse. Hirte Falk zieht mit der Herde durch Hiddensees Heide. Die Schafe halten das Gras kurz und verhindern die Verbuschung auf dem nährstoffarmen, sandigen Terrain.

Pferde und Schafe statt Autos: Stinkende Motoren sind auf Hiddensee unerwünscht, dafür sind das nostalgische Klappern der Hufe, die Rufe der Kutscher und der beruhigende Geruch von Pferdeäpfeln auf den Strassen allgegenwärtig.

hiddensee-kutschfahrten.de

Henry Engels, Bernsteinfischer

Sandra und Henry Engels in ihrem Bernstein- und Souvenir-Geschäft.

Die Möwen! Ohne die dreisten Schreihälse würde die Beute von Henry Engels deutlich geringer ausfallen. Der 54-Jährige ist Hiddensees einziger professioneller Bernsteinfischer. Wenn er bei Sturm zur Westküste eilt und einen aufgeregten Schwarm Möwen über der Gischt sieht, weiss er: Bernstein ist im Anzug.

Die bis zu 50 Millionen Jahre alten transparenten Harzklumpen stecken im Gewirr von Seetang, Altholz, Krebsen und toten Fischen, das der Sturm landwärts treibt. «Die See lässt den Bernstein erst los, wenn der Wind abflaut», sagt Engels, der sich auch im tiefsten Winter in den Taucheranzug zwängt und im eiskalten Wasser Schätze sucht, wie es schon sein Vater getan hat. Gattin und Geschäftspartnerin Sandra wartet am Ufer mit Heissgetränk und Frotteetuch, bevor sie die Beute in die Werkstatt in Kloster bringen.

Die Gäste, die von Mitte März bis Mitte November bei den Engels Souvenirs, Mitbringsel, Schmuck oder Kunstwerke aus Treibholz und Bernstein kaufen, können den Meister vom Laden aus durch eine Glaswand in Aktion sehen, wie er schleift, poliert und die braunen, cremefarbigen oder hellen Kleinode zum Glänzen bringt. Manche schliessen geheimnisvolle Pflanzen- oder Insektenteile ein.

Henry und Sandra arbeiten während der Saison jeden Tag. Wenn ein (Schweizer) Kreuzfahrtschiff auf der Reise von Berlin über Rügen nach Stralsund in Hiddensee anlegt, sperren sie den Laden am Abend nochmals auf.

Engels ist überzeugt, dass Bernstein heilende Wirkung hat. Scharlatanen und Pendlerinnen, die das Blaue vom Himmel verheissen, misstraut er aber. «Der Wert von Bernstein hat sich in den letzten Jahren vervielfacht», sagt der Kunsthandwerker, «die Chinesen sind wild drauf.»

Wo schwemmt das Meer die schönsten Bernsteine an? «Geschäftsgeheimnis», schmunzelt Henry Engels. «Die See sortiert den Bernstein, unten in Vitte findet man eher die kleinen Stücke, hier oben in Kloster die grösseren.» Und wann wird sich der Vorrat erschöpfen? Der Schatzsucher von Hiddensee sagt: «Nie. In der Ostsee ruhen noch Millionen von Tonnen Bernstein.»

bernstein-werkstatt-hiddensee.de

Die Reise wurde unterstützt vom Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern.