Russischer KremlgegnerDeutsche Regierung bestätigt Nervenkampfstoff bei Nawalny
Alexej Nawalny wurde offenbar vergiftet. Das haben Untersuchungen eines speziellen Labors ergeben. Moskau kritisiert das Vorgehen aus Berlin.
Bei dem in Deutschland in Behandlung befindlichen russischen Regierungskritiker Alexej Nawalny wurde nach Angaben der Bundesregierung «der zweifelsfreie Nachweis» eines chemischen Nervenkampfstoffes aus der Nowitschok-Gruppe erbracht. Das deutsche Aussenministerium hat wegen der neuen Untersuchungsergebnisse über eine Vergiftung von Nawalny den russischen Botschafter einbestellt. Auf Veranlassung der Berliner Charité, wo Nawalny derzeit behandelt wird, hatte ein Spezial-Labor der deutschen Bundeswehr eine toxikologische Untersuchung anhand von Proben Nawalnys durchgeführt.
«Ihm wurde dabei nochmals unmissverständlich die Aufforderung der Bundesregierung übermittelt, die Hintergründe dieser nun nachweislichen Vergiftung von Alexej Nawalny vollumfänglich und mit voller Transparenz aufzuklären», sagte Aussenminister Heiko Maas am Mittwoch in Berlin. «Wir verurteilen diesen Angriff auf das Allerschärfste. Umso dringlicher ist es nun, dass auch in Russland die Verantwortlichen ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden. Wir werden nun auch unverzüglich die Partner in der EU und der Nato auf den dafür vorgesehenen Kanälen informieren», kündigte Maas an. Gemeinsam werde in den nächsten Tagen beraten, «wie wir in Europa angemessen reagieren. Wir werden auch im Lichte dessen entscheiden, wie Russland sich verhält.»
Merkel: Russland muss Anschlag aufklären
Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte Russland auf, den Gift-Anschlag aufzuklären. Nawalny sei einem Verbrechen zu Opfer gefallen und habe zum Schweigen gebracht werden sollen, sagte Merkel. «Wir erwarten, dass die russische Regierung sich zu diesem Vorgang erklärt. Es stellen sich sehr schwerwiegende Fragen, die nur die russische Regierung beantworten kann und muss», führte sie weiter aus. «Die Welt wird auf Antworten warten.»
Danach werde man zusammen mit den EU- und Nato-Partnern und «im Lichte der russischen Einlassungen» über eine angemessene gemeinsame Reaktion entscheiden. Das Verbrechen richte sich gegen die Grundwerte und Grundrechte, für die Deutschland eintrete.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat die nachgewiesene Vergiftung als abscheulichen und feigen Akt kritisiert. «Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden», forderte von der Leyen am Mittwoch auf Twitter. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe sie informiert, dass Nawalny mit einem Nervengift angegriffen worden sei.
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Die US-Regierung hat sich «zutiefst beunruhigt» gezeigt. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats im Weissen Haus, John Ullyot, teilte am Mittwoch auf Twitter mit: «Alexej Nawalnys Vergiftung ist vollkommen verwerflich.» Ullyot kündigte an, die USA würden mit Verbündeten und der internationalen Gemeinschaft zusammenarbeiten, um die Verantwortlichen in Russland zur Rechenschaft zu ziehen – «wohin auch immer die Beweise führen». Die Russen hätten das Recht, ihre Ansichten friedlich und ohne Angst vor Vergeltung zu äussern.
Auch Grossbritanniens Premier Boris Johnson meldete sich. «Es ist ungeheuerlich, dass eine chemische Waffe gegen Alexej Nawalny eingesetzt wurde», schrieb er am auf Twitter. «Wir haben die tödlichen Konsequenzen von Nowitschok hier in Grossbritannien aus erster Hand erlebt», hiess es in Johnsons Statement.
Beziehungen könnte noch mehr belastet werden
Das Untersuchungsergebnis könnte die ohnehin schon schwer angeschlagenen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland sowie anderen westlichen Staaten noch einmal massiv erschüttern. Ein Nervengift der Nowitschok-Gruppe wurde auch bei der Vergiftung des ehemaligen russischen Doppelspions Sergej Skripal und seiner Tochter Julia im britischen Salisbury 2018 verwendet. Die beiden überlebten nur knapp.
Als Reaktion hatten zahlreiche westliche Staaten russische Diplomaten ausgewiesen. Auch diesmal strebt die Bundesregierung ein abgestimmtes Vorgehen der westlichen Verbündeten an. Das machten der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, und Verteidigungs- Staatssekretär Gerd Hoofe in einer gemeinsamen Unterrichtung von Bundestagsabgeordneten nach Teilnehmerangaben deutlich.
Dass Berlin über Moskau so verärgert ist, liegt unter anderem auch an dem Mord an einem Tschetschenen mit georgischer Staatsbürgerschaft im Kleinen Tiergarten in der Nähe des Berliner Regierungsviertels. Er hatte vor knapp einem Jahr eine Krise in den deutsch-russischen Beziehungen ausgelöst. Die Bundesanwaltschaft erhob Mitte Juni Anklage gegen den mutmasslichen Täter, der in Untersuchungshaft sitzt. Sie geht davon aus, dass er mehr als einen Monat vor der Tat von «staatlichen Stellen der Zentralregierung der Russischen Föderation» beauftragt wurde. Der Prozess soll am 7. Oktober beginnen.
Zustand des Patienten immer noch ernst
Nawalny, der am 20. August auf einem Flug in seiner Heimat plötzlich ins Koma gefallen war und zunächst in Omsk untersucht wurde, wird auf Drängen seiner Familie in der Charité behandelt. Die deutschen Ärzte gingen nach einer Auswertung von klinischen Befunden bereits davon aus, dass Nawalny vergiftet wurde. Die russische Regierung hatte die Einschätzung der Berliner Charité, dass Nawalny vermutlich vergiftet wurde, als vorschnell bezeichnet.
Der Gesundheitszustand des russischen Patienten ist nach Angaben der Berliner Charité weiterhin ernst. Die Symptomatik der nachgewiesenen Vergiftung sei zwar zunehmend rückläufig. Nawalny werde aber weiterhin auf einer Intensivstation behandelt und künstlich beatmet. Mit einem längeren Krankheitsverlauf sei zu rechnen. Langzeitfolgen der schweren Vergiftung seien weiterhin nicht auszuschliessen.
Kritik aus dem Kreml
Russland hat das Vorgehen Deutschlands bei den Ermittlungen im Fall Nawlany scharf kritisiert. «Laute öffentliche Erklärungen werden bevorzugt», teilte das Aussenministerium in Moskau russischen Agenturen zufolge am Mittwoch mit. «Die vorhandenen gesetzlichen Mechanismen zur Zusammenarbeit werden völlig vernachlässigt.»
Auch der Kreml äusserte sich zu dem Fall. Putins Sprecher, Dmitri Peskow, betonte jedoch, dass Moskau auf die Erklärung aus Berlin zum jetzigen Zeitpunkt nicht «qualifiziert reagieren» könne. Russland sei bereit zu einer Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden, bekräftigte er. Die Generalstaatsanwaltschaft in Moskau habe bereits eine offizielle Anfrage geschickt, diese sei jedoch nicht beantwortet worden. Auch die Ärzte in Moskau und Omsk hätten einen Austausch von Daten angeboten. Auch darauf gab es Peskows Darstellung nach keine Reaktion.
«Wenn das wahre Ziel noch immer eine gründliche Untersuchung durch die Strafverfolgung unter Teilnahme medizinischer Organisationen ist, worauf wir entschieden bestehen, dann rufen wir unsere Partner zu einer vollen Zusammenarbeit und zum Informationsaustausch auf», teilte auch das Aussenministerium mit.
SDA/REUTERS/fal
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