Missbräuchliche NutzungDie meisten CBD-Öle sollen ungeniessbar werden
Die in der Alternativmedizin beliebten Öle aus der Hanfpflanze werden offenbar immer öfter missbräuchlich geschluckt, um eine berauschende Wirkung zu erzielen. Dem wollen die Behörden jetzt einen Riegel schieben.
Ob Stress, Schmerzen oder Angst- und Schlafstörungen: CBD-Öle gelten als das neue Wundermittel gegen fast alles. Tatsächlich gibt es in Internetforen und in naturheilkundlichen Fachblättern viele positive Erfahrungsberichte.
Auch Pierre Mueller (Name geändert) schwört auf ein Öl mit dem Wirkstoff Cannabidiol (CBD): Er kauft es ganz legal in der Apotheke und tröpfelt es bei Bedarf mit einer Pipette unter die Zunge. «Das hilft mir bei Stress und erleichtert das Einschlafen», sagt der 50-jährige Informatiker aus der Westschweiz. «Ich spüre keine Nebenwirkungen, und das Öl macht auch nicht abhängig – für mich ist das eine gute Option.»
Künftig sind die meisten Öle ungeniessbar
Umso erstaunter war Mueller, als er kürzlich im Fernsehen einen Bericht sah, wonach «CBD-haltige Duftöle» in der Schweiz künftig «vergällt» werden sollen – das heisst: Die Öle dürfen bald nur noch verkauft werden, wenn sie ein Vergällungsmittel enthalten, das sie ungeniessbar macht für den oralen Gebrauch. Ganz ähnlich wie beim Brennsprit, der ebenfalls vergällt wird, damit er nicht als Alkohol genossen werden kann.
Gemäss der jetzt im Bundesblatt publizierten Verfügung soll die neue Regelung nach einer Übergangsfrist von sechs Monaten rechtskräftig werden, falls keine Beschwerden eingehen.
Zunehmender Missbrauch
Grund der Verschärfung: CBD-Duftöle werden offenbar zunehmend missbräuchlich auch eingenommen. CBD ist zwar nicht psychoaktiv, die Öle dürfen aber bis zu einem Prozent des psychoaktiven Tetrahydrocannabinols (THC) enthalten. «Das ist zu gering, um eine Rauschwirkung zu erzeugen», stellt Biochemiker und Cannabis-Experte Jürg Gertsch klar. Es sei deshalb ein Irrglaube, dass man sich mit CBD-Ölen «high» machen könne.
Neben der missbräuchlichen Einnahme hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auch festgestellt, «dass CBD-haltige Produkte, die zur Einnahme vorgesehen sind, als Produkte verkauft werden, die unter das Chemikalienrecht fallen, um die Anforderungen des Heilmittel- oder Lebensmittelrechts zu umgehen», schreibt BAG-Sprecherin Simone Buchmann auf Anfrage.
Dazu muss man wissen: Die meisten CBD-Öle fallen unter das Chemikalienrecht und sind deshalb in keinem Fall zum Einnehmen bestimmt. Und jene Produkte, die zum Schlucken sind – dazu gehört auch Pierre Muellers Schlaf-Öl – unterliegen dem Heilmittel- oder Lebensmittelrecht, wo die Anforderungen an Qualität und Sicherheit höher sind als im Chemikalienrecht. Ob auch Muellers Öl in Zukunft vergällt wird, ist freilich noch unklar. Wenn nicht, dürfte es aber eine Frage der Zeit sein, bis sein Schlaf-Öl von der Zulassungs- und Kontrollbehörde Swissmedic geprüft wird.
Enttäuschung in der Hanfbranche
Die neue Regelung dürfte folglich auch einschneidend sein für die florierende Hanfbranche. Der Verband der Schweizer Cannabis-Industrie IG Hanf nimmt die Verfügung denn auch «mit Bedauern» zur Kenntnis, wie Vizepräsident Thomas Bär mitteilt. Es handle sich um einen «unverhältnismässigen Entscheid». Das Missbrauchs- und Gefahrenpotenzial werde seitens Behörden «völlig übertrieben» dargestellt. «Nach unserem Kenntnisstand ist bis heute kein Fall bekannt, bei dem jemand nach der Einnahme CBD-haltiger Öle einen gesundheitlichen Nachteil davongetragen hätte.»
Für Wissenschaftler Jürg Gertsch ist der Behördenentscheid dagegen «notwendig und überfällig». Auch wenn CBD keine psychoaktive Wirkung habe, gebe es doch noch viele Fragezeichen. «Das ist kein Zuckerwasser.» Bei chronischen Überdosierungen könne es zum Beispiel zu Leberschäden kommen.
«Heilpflanze mit Potenzial»
Gertsch deutet das Vorgehen der Behörden aber nicht als Verbotskultur, sondern vielmehr als «positives Signal» dafür, dass der Staat offen ist gegenüber Cannabis und ihn vermehrt auch zugänglich machen will – aber eben besser kontrolliert als bisher. Als Wissenschaftler ist auch Gertsch überzeugt vom Nutzen der Heilpflanze Cannabis: «Gerade die CBD-Produkte haben Potenzial, sie könnten bald als rezeptfreie Arzneimittel breite Anwendung finden.»
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