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Protest gegen sexuelle Gewalt
«Der Vergewaltiger bist du»

«Ein Vergewaltiger auf deinem Weg»: Die Performance der Chileninnen Dafné Valdes, Sibila Sotomayor, Lea Càceres und Paula Cometa gelangte zu Weltruhm.
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Wie viele ausserhalb von Chile kennen diese Namen? Dafné Valdes, Paula Cometa, Sibila Sotomayor, Lea Cáceres?

Das sind vier Frauen um die dreissig aus dem chilenischen Küstenort Valparaíso. Zwei Schauspielerinnen, eine Kostümdesignerin, eine Geschichtsstudentin und angehende Lehrerin. Soeben sind sie vom amerikanischen Nachrichtenmagazin «Time» unter die hundert einflussreichsten Personen des Jahres 2020 gewählt worden.

Denn die vier Chileninnen, die sich zum Künstlerinnenkollektiv «Las Tesis» zusammengeschlossen haben, schufen um den Jahresbeginn eine kraftvolle und mitreissende Performance gegen Machismo, Sexismus, sexuelle Gewalt, Feminizide, Übergriffe von Polizisten.

Diese Übel existieren weltweit; dass aber Las Tesis ausgerechnet von Lateinamerika ausstrahlen, dürfte kein Zufall sein. Denn einerseits sind lateinamerikanische Gesellschaften offen und demokratisch genug, um solche Proteste zuzulassen. Andererseits ist die Gewalt gegen Frauen in dieser Weltregion eine einzige Katastrophe.

«Un violador en tu camino» heisst die Performance, ein Vergewaltiger auf deinem Weg. Ursprünglich war sie als Element eines Theaterstücks konzipiert, in dem die vier Frauen feministische Thesen darstellen wollten, daher der Name der Gruppe. Doch nachdem der Sprechgesang mit Tanz zum ersten Mal in Valparaíso aufgeführt worden war, wiederholten Tausende Frauen die Aktion in Santiago de Chile, vor dem Obergericht, an Universitäten, vor dem Nationalstadion.

Vitalität und Kampfgeist

Die Massenaufführung besticht durch Vitalität und Kampfgeist. Viele Frauen sind schwarz gekleidet und haben die Augen verbunden, manche tragen bauchfreie Tops und kurze Röcke, und irgendwann zeigen sie alle auf denselben Punkt und rufen: «Der Vergewaltiger bist du!»

Wie meistens bei Liedern verliert der Text mit der Übersetzung an Durchschlagskraft, im spanischen Original ist er stark. «¡El estado opresor es un macho violador!» – «Der Staat, der unterdrückt, ist ein vergewaltigender Macho!» Bei den Performances in Paris, London, Berlin, New York und anderen Weltstädten blieben die Frauen meist beim Original.

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Laut einem Bericht der UNO aus dem Jahre 2018 liegen von den 25 Ländern mit den meisten Feminiziden 14 in Lateinamerika. 3800 Morde waren es 2019, und mit der Corona-Krise und den Lockdowns ist das Ausmass an häuslicher Gewalt noch schlimmer geworden.

In Brasilien stieg die Zahl der Feminizide zwischen März und April um über 20 Prozent, in Mexiko wurden in der ersten Jahreshälfte 2200 Frauen und Mädchen ermordet. Gerade 8 Prozent der angezeigten Vergewaltigungen enden in Chile mit einem Schuldspruch.

71 Chileninnen haben laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bei den sozialen Unruhen vor knapp einem Jahr Polizisten wegen Vergewaltigung oder sexuellen Übergriffen angezeigt.

11-Jährige muss gebären

Und was sagte der rechtskonservative Staatspräsident Sebastian Piñeira, als eine schwangere, von ihrem Stiefvater vergewaltigte 11-Jährige von der Justiz gezwungen wurde, ihr Kind zu gebären, weil Chile eines der strengsten Abtreibungsgesetze weltweit hat? Man müsse sich keine Sorgen machen, die Mutter sei erstaunlich reif, der Staat werde ihr helfen.

Das Erschütternde ist: Es hat schon in vielen lateinamerikanischen Ländern Frauenbewegungen gegen die Gewalt gegeben, und mancherorts wurden die Gesetze unter ihrem Druck verschärft. Bloss hat es bisher nicht viel genützt.

Las Tesis erinnern an die russische Punkband Pussy Riot, deren Mitglieder 2012 wegen eines angeblich blasphemischen Auftritts verhaftet worden waren. So ist es deren bekannteste Exponentin Nadya Tolokonnikova, die die vier Chileninnen im «Times Magazin» würdigt.

Dass die Frauen während der Performance Kniebeugen machen, erinnere an die Polizeipraxis, Verhaftete auf dem Posten nackt auszuziehen und zu überprüfen, ob sie etwas in der Scheide versteckt hätten. «Ich habe das auch tun müssen, nichts ist widerlicher», schreibt Tolokonnikova. Und: «Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Schwesternschaft. Fickt euch, Weinsteins der Welt. Wir haben eben erst begonnen.»