Mark Selby in der KritikDer Vampir, der alles aussaugt
Der Brite wird zum vierten Mal Weltmeister im Snooker – doch wegen seines Spielstils gibt es leise und laute Beschwerden.

Es gab dann doch einen, der etwas Nettes über Mark Selby gesagt hat, wobei: Als echte Eloge auf den vierfachen Weltmeister gingen Shaun Murphys Worte auch nicht durch. 18:15 hatte Selby am Montagabend den Final der Snooker-WM gewonnen, es war sein vierter Titel nach 2014, 2016 und 2017; und Gegner Murphy war, wie so viele vor ihm, an Selbys Art und Weise des effizienten und unerbittlichen Snooker-Spiels gescheitert. Natürlich sei Selby der verdiente Sieger, daran liess Murphy keinen Zweifel. «Unglücklicherweise kenne ich ihn, seit wir neun Jahre alt sind», fuhr er fort. Er sei ja gut ins Spiel gekommen, alles sei prima gelaufen: «Aber dann hat er den harten Modus eingeschaltet.»
Der harte Modus also, es ist diese spezielle Form der Hochachtung, die Selby entgegengebracht wird. Sein Spiel ist zweifellos sehr erfolgreich: Mit nun vier Weltmeistertiteln gehört er zu den ganz Grossen, er ist mit John Higgins gleichgezogen, nur Stephen Hendry (sieben Mal), Ray Reardon, Ronnie O'Sullivan and Steve Davis (alle sechs Mal) haben die WM noch häufiger gewonnen.
«Ich habe ein wenig den Respekt vor ihm verloren»
Die Herzen fliegen Selby aber nicht gerade zu: Judd Trump, der Weltranglistenerste, spielt herrlich draufgängerisch. Ronnie O'Sullivan streut wie kein anderer diese genialen Momente ein. Einer wie Murphy wird von den Fans geliebt, wenn er sein Kämpferherz auspackt. Aber Selby? Der brachte spätabends seine Tochter mit ins Studio der BBC und sorgte so für einen rührenden Moment.

Am Tisch war ihm dergleichen nicht geglückt, in den Tagen zuvor hatte sich manch einer über die unattraktive Spielweise des Mannes aus Leicester beklagt. Am heftigsten Stuart Bingham, sein Gegner im Halbfinal. Bingham hatte viel Zeit auf seinem Stuhl verbracht, um Selby zu betrachten, wie dieser überlegte, einen Stoss ansetzte, abbrach, weiter überlegte, um den Tisch herum ging, wieder ansetzte, erneut abbrach. «Für manche Stösse hat er mehr als drei Minuten gebraucht und dann hat er den Spielball einfach nur an eine Rote gelegt», beklagte sich Bingham, der letztlich 15:17 verlor: «Das war ein bisschen zu viel des Guten.»
«Er saugt alles Leben und alles Adrenalin aus dir»
Es gab tatsächlich einen Frame, der dauerte geschlagene 54 Minuten, ehe Selby seinen Gegner schliesslich zermürbt hatte. 54 Minuten für 15 rote und ein paar farbige Kugeln, das ist an sich kaum möglich, zum Vergleich: O'Sullivan hat den Tisch mal in fünf Minuten und acht Sekunden in einem Rutsch komplett leergespielt. Doch Selby nahm sich viel Zeit, einmal wurde er vom Referee ermahnt, er möge doch endlich seinen Stoss ausführen.
Besonders hart für die Gegner: Begehen sie in diesem Nervenspiel einen klitzekleinen Fehler, nutzt Selby diesen unerbittlich aus. «Ich habe ein wenig den Respekt vor ihm verloren», ätzte Bingham. «Mark ist wie ein Snooker-Vampir», sagte auch der siebenmalige Weltmeister Hendry: «Er saugt alles Leben und alles Adrenalin aus dir.»
Murphy hat die Sache differenzierter betrachtet, für ihn ist Selby «der beste Allrounder», den er je gesehen habe. Selby ist zweifellos stark im Breakbuilding, noch besser in den Safeties, den sicher abgelegten Bällen am Tischende. Die langen Kugeln kann er sowieso. «Er ist wie Granit, in allen Bereichen», sagte Murphy. Ganz besonders hob Murphy eine Fähigkeit hervor. «Was er hat, mehr als alle anderen, ist diese Geduld», sagte Murphy. Wenn Selby erkennt, dass er nicht sofort, aber vielleicht in zehn Stössen in eine gute Situation am Tisch kommt, dann hält er das aus. Das bringt wenige Highlight-Videos auf YouTube, aber grosse Titel.
Selby hat die Depressionen überwunden
Selby hat zwar die Sache mit dem Vampir aufgegriffen («vielleicht wegen meiner Eckzähne»), sich ansonsten aber nicht gross zu den Vorwürfen geäussert. Er ist ja vor allem froh, wieder da zu sein: Nach seinem WM-Titel 2017 war er in ein mentales Loch gefallen, berichtete selbst von Depressionen. «Ich hatte dunkle, dunkle Jahre», sagte Selby, «meine Familie weiss, was ich durchgemacht habe.» Sein Dank ging auch an Trainer Chris Henry: «Ich war zerbrechlich, hatte nicht das Selbstvertrauen. Er hat es mir zurückgegeben.»

Zu den Kuriositäten des Finals gehörte, dass es im voll besetzten Crucible Theatre ausgetragen wurde. Die WM war in der Pandemie zum Pilotprojekt erkoren worden – die nächsten Wochen werden zeigen, ob sich Menschen in der Halle angesteckt haben. Denkwürdig war es auch, weil Trainer Henry gleich zwei Schützlinge im Endspiel untergebracht hatte. Er betreut Selby, noch etwas länger Murphy, der sich im ersten Interview nach dem Match ebenfalls an den gemeinsamen Coach wandte. «Danke für alles», sagte Murphy und legte im Scherz nach: «Morgen schmeisse ich dich raus.»
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