Krise in TurinDer Trainer schimpft: «Und die wollen für Juventus spielen?»
Der schlechteste Saisonstart seit 60 Jahren legt die Probleme beim italienischen Rekordmeister schonungslos offen. Und Massimiliano Allegri scheint seine Magie verloren zu haben.
Er war als Retter zurückgekehrt, triumphal und auch ein bisschen triumphierend. Nach zwei Jahren Ferien und vielen abgelehnten Jobangeboten. Von Massimiliano Allegri hiess es, er werde das verwirrte Juventus mit seiner schieren Anwesenheit und einigen klaren Ansagen wieder zurechtbiegen – wer, wenn nicht der pragmatische «Max», Meistertrainer und Feldherr?
Der Toskaner kennt das Ambiente, er coachte Juve schon einmal, von 2014 bis 2019. Es gab in jener Zeit fünf Titel in Folge, erspielt mit meist zynischem, aber unerhört solidem Fussball. Zweimal war man auch nahe dran am Henkelpott der Champions League. Mochte der «Allegrismo» auch nicht ganz so fröhlich gewesen sein, wie es sein Name suggeriert: Er garantierte Punkte, Titel, Glorie.
Nun, zumindest der Traum der Urplötzlichkeit von Allegris Aura ist schon mal wacker zerzaust.
Ein Hauch von Vorentscheidung im Spätsommer
Nach vier Spieltagen steht Juve in der Serie A auf dem 18. Platz, dem drittletzten, mit zwei Punkten. Dahinter kommen noch das punktgleiche Cagliari und der punktlose Aufsteiger Salernitana. So schlecht war «Madama», wie man den Verein auch nennt, seit 1961 nicht mehr in eine Saison gestartet. Seit sechzig Jahren also.
Nicht auszudenken, was los wäre in der grossen weiten Welt der verwöhnten Juventini, verteilt über das ganze Land, wenn man nun auch im Mittwochspiel gegen La Spezia nicht gewinnen würde. Tabellenführer Napoli ist zehn Punkte entrückt, ein Hauch von Vorentscheidung im Spätsommer schon. Trotz Allegri, dem Ergebnisfetischisten.
In den sozialen Medien zirkuliert ein Video, das den Trainer am Sonntag nach dem Unentschieden gegen die AC Milan beim Verlassen des Spielfelds zeigt, aufgenommen von einem Fan: «Verdammte Scheisse», hört man ihn sagen, «und die wollen für Juventus spielen.»
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Gemeint waren einige seiner Spieler, die nicht auf der Höhe seiner Erwartungen und des Standings des Vereins gewesen sein sollen – einer im Besonderen, ein italienischer Halbheiliger und Himmelsstürmer seit der gewonnenen EM: Federico Chiesa (23), rechter Flügel der Azzurri. Chiesa war erst zum Schluss eingewechselt worden und soll sich dann nicht genug angestrengt haben. Nicht so, wie man das von einem Angestellten der Juve erwarten darf, verdammte Scheisse.
Später, bei der Pressekonferenz, sagte Allegri, er habe das Spiel vercoacht: «Die Auswechslungen waren falsch.» Doch was sich zunächst wie ein mea culpa anhörte, ohnehin nicht sein Genre, war im Grunde nur eine doppelt nachgereichte Ohrfeige für die Eingewechselten.
Der gesamte Marktwert von Allegris Startformation gegen Milan lag deutlich unter jenem auf der Bank.
Allegri ist bekannt dafür, dass er Jungstars piesackt und gerne mal übergeht, damit sie lernen, wie schwer Hierarchie und Tradition wiegen. Auch der niederländische Innenverteidiger Matthijs de Ligt und die schwedische Offensivkraft Dejan Kulusevski spielen bisher keine sehr prominente Rolle im Denken Allegris. De Ligt (22) war für 85 Millionen Euro und ein Jahressalär von 12 Millionen zur Juve gekommen, als «Topplayer» also, wie die Italiener solche Herrschaften nennen. Auch die Dienste von Kulusevski und Chiesa kosteten eine Menge Geld. Alle drei zusammen: 170 Millionen, geparkt auf der Ersatzbank. Der gesamte Marktwert von Allegris Startformation gegen Milan lag deutlich unter jenem auf der Bank.
Er spielt nun mal lieber mit Bewährtem als mit dem Kick der Zukunft, und das ist ein Problem: Juve hat in den vergangenen Jahren viel Geld in die Auffrischung des Kaders investiert. Zuletzt holte man auch noch Manuel Locatelli von Sassuolo, den der Ruf eines «neuen Tardelli» umschwirrt. Und Moise Kean, der entflogene Stürmer aus dem eigenen Nachwuchs, kam nach Wanderjahren in England und Frankreich zurück. Futures, würde man an der Börse sagen.
Allegri scheint aber damit noch nicht viel anfangen zu können – oder zu wollen. Gegen Milan spielten acht Akteure, die er schon aus seiner früheren Zeit bei Juve kannte, Durchschnittsalter: etwa 30. Und der älteste von allen, Giorgio Chiellini (37), gehörte zu den Besten. Das Team wirkt mental bereits ausgepowert. Die körperlichen Kräfte reichen höchstens für 45 Minuten, manchmal knapp für eine Stunde. Dann zieht man sich zurück, verschiebt das Baryzentrum des Spiels weit in die eigene Hälfte, der Ballbesitz sinkt unter 40 Prozent – und die Punkte fliegen weg, sieben insgesamt gingen schon verloren nach der Pause. Mal patzt der Goalie, mal schläft die Abwehr.
War er zu lange weg?
Das kennt man sonst nicht so von Juve. In den vier Meisterschaftsspielen gelang bisher nicht ein einziges Tor in der zweiten Halbzeit. Die «Gazzetta dello Sport» vermutet, Allegri sei vielleicht zu lange weg gewesen. Mit der Umstellung auf fünf Wechsel pro Spiel sei er noch überfordert. Von allen Trainern der grossen Vereine Italiens nützt er die neuen Möglichkeiten am wenigsten. Null Tore in vier zweiten Halbzeiten – das belegt die These recht plausibel.
Dabei galt Allegri mal als Coach mit Zauberhand: immer eine Karte im Ärmel, ein Tor im Hut. Dennoch trauert niemand Cristiano Ronaldo nach, der Weggang war nach ein paar Tagen abgehakt. Man konnte sich den Portugiesen ohnehin nicht mehr leisten. Gerade wies Juventus ein Rekordminus aus: 210 Millionen Euro verlor man in der vergangenen Saison. CR7 allein stand jeweils im Jahr mit 87 Millionen zu Buche. Natürlich ist das keine faire Rechnung, Ronaldo brachte auch viele Einnahmen. Doch die Buchhalter sehen nun vor allem den getilgten roten Betrag.
«Ich habe ein schiefes Mittelfeld», sagte Allegri neulich – da schwang ein Vorwurf an die Mannschaftsbauer in der Vereinsleitung mit.
Der Sturm scheint auch nicht das primäre Problem zu sein. Der Argentinier Paulo Dybala, den sie in der Heimat und in Italien «la joya» nennen, das Juwel, und der Spanier Alvaro Morata kombinieren schon ganz ansehnlich. Wenn Chiesa dann mal Allegris Züchtigung überstanden haben wird, könnte da eine Zirkustruppe wachsen mit schönen Nummern und vielen Toren. Juve leidet seit einigen Jahren vor allem am dünnen Mittelfeld: Es ist weder wirklich Damm gegen hinten noch Ideenfabrik nach vorne. Adrien Rabiot, Rodrigo Bentancur, Aaron Ramsey – das ist kein Casting für grosse Vorhaben. «Ich habe ein schiefes Mittelfeld», sagte Allegri neulich, da schwang ein Vorwurf an die Mannschaftsbauer in der Vereinsleitung mit. Meister wurde er früher mit Leuten wie Andrea Pirlo, Paul Pogba und Arturo Vidal.
Als Juve im Sommer Allegri holte, als Nachfolger des unglücklichen Trainernovizen Pirlo, war man so verzweifelt über den vierten Platz aus der Vorsaison, dass man dem Rückkehrer einen tollen Vertrag anbot. Dauer: vier Jahre. Jahreslohn: sieben Millionen Euro, netto. Und viel Mitspracherecht, ein bisschen wie ein Trainermanager in England. Damit er den Laden schnell herumreisst, sofort, über Nacht. Nun ja.
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