Neofaschisten kapern Corona-DemoDer Sturm auf Rom
Forza Nuova surft auf der Welle der Impfgegner, ihre Anführer sind alte Bekannte: ehemalige Rechtsterroristen, ein Hooligan, der Besitzer einer Restaurantkette. Nach den Ausschreitungen in Rom sinniert das Parlament über eine Auflösung der Partei.
Alles war organisiert, auch Plan B. Die Neofaschisten von Forza Nuova, die am Samstag im Zentrum Roms nach einer Kundgebung von Impfgegnern eine wüste Strassenschlacht mit der Polizei austrugen, hatten eigentlich vorgehabt, den Palazzo Chigi anzugreifen, den Sitz des italienischen Ministerpräsidenten an der Piazza Colonna. Die Via del Corso hinunter, vorbei an verwunderten Touristen und Römern beim Shopping. Inspiriert waren sie wohl vom Mob, der im vergangenen Januar in Washington D.C. den Capitol Hill stürmte. Doch es gab kein Durchkommen.
Und so besannen sie sich ihres Plans B und marschierten stattdessen zum Hauptquartier der CGIL, des grössten Gewerkschaftsbunds im Land. Dort verwüsteten sie die Büros, zerstörten Computer und Möbel, rissen Bilder von den Wänden. Ein politisch und historisch hoch symbolischer Akt, der diese kleine Partei von Nostalgikern, die sich während der Pandemie nach und nach in die Szene der «No Mask», «No Vax» und «No Green Pass» eingenistet hat, nun richtig prominent macht.
«Squadrismo», sagen die Italiener zu solchen Aktionen, die sie an den Urfaschismus erinnern, abgeleitet vom Wort «squadra», in diesem Fall prügelnde Banden und Milizen. Benito Mussolini setzte sie ein, um seine Gegner einzuschüchtern oder zu bestrafen.
«Faschisten des dritten Jahrtausends»
Die Spitzenleute von Forza Nuova sind nun verhaftet worden, und die Linke fordert ihre Auflösung mit einer Motion im Parlament (Lesen Sie dazu den Kommentar: Die Kinder des Duce). Forza Nuova gibt es seit 1997. Gegründet wurde die Partei von Roberto Fiore, einem alten Bekannten des italienischen Rechtsextremismus, heute 62 Jahre alt. Er führte den Marsch zur CGIL an. In den bleiernen 1970er-Jahren des Terrorismus gehörte Fiore Terza Posizione an, einer subversiven bewaffneten Gruppe. Er wurde dafür auch verurteilt, floh aber nach London. Die Briten wollten ihn nicht an Italien ausliefern. Fiore wurde zum erfolgreichen Immobilienmakler und wartete ab, bis das Urteil verjährt war.
1999 war es so weit, Fiore kehrte in die Heimat zurück und diente sich den parlamentarischen Rechtsparteien an. Bei den Wahlen blieb Forza Nuova immer unter 1 Prozent, zuweilen deutlich. Fiore sass mal eine Weile im Europaparlament, er ersetzte dort Alessandra Mussolini, eine Enkelin des Duce. In den vergangenen Jahren bekam Forza Nuova Konkurrenz von den «Faschisten des dritten Jahrtausends» – so beschreiben sich die Mitglieder der ebenfalls ausserparlamentarischen Partei Casa Pound. Mit der Mobilisierung an der Seite der Impfgegner und der Verschwörungstheoretiker rechnete sich Fiore aus, die Rivalen etwas in die Schranken zu weisen.
Je lauter, desto sichtbarer
Giuliano Castellino, 45 Jahre alt und Chef der römischen Sektion von Forza Nuova, nannte die Linie einmal «strategisch», die Chance der Partei auf maximale mediale Aufmerksamkeit. Je lauter, desto sichtbarer. Der Zorn der Impfgegner ist ein Vehikel. Castellino selbst wurde neulich dabei erwischt, wie er mit dem angeblich so verhassten Green Pass ins Stadion ging, zu einem Fussballspiel der AS Roma, seinem Lieblingsverein.
Früher war er ein Chef der Curva Sud, der Südkurve im Olympiastadion. Jetzt gibt er gern den Tribun gegen die angebliche «Gesundheitsdiktatur», am Wochenende stand er wieder auf der Bühne der «No Pass». Dabei hätte er sein Zuhause gar nicht verlassen dürfen: Castellino ist wegen körperlicher Gewalt gegen Journalisten und gegen einen Polizisten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden, er trägt eine elektronische Fussfessel, muss sich jeden Morgen bei der Polizei melden. Doch da stand er wieder auf der Bühne vor Tausenden von Menschen und rief auf zum Widerstand.
Auch wieder dabei war Luigi Aronica, 65, bekannt unter dem Namen «Panther aus Moteverde», so heisst ein römisches Viertel. Einem Beamten, der ihn festhalten wollte, raunte er zu: «Du weisst wohl nicht, wer ich bin, ich sass 20 Jahre im Knast.» Es waren 18 Jahre, wegen Terrorismus. Aronica gehörte in den dunklen Siebzigern den Nuclei Armati Rivoluzionari an, einer neofaschistischen Terrorgruppe.
Ausserdem mit dabei: Biagio Passaro, 45 Jahre alt, Besitzer einer Kette von Pizzerias und Anführer jener Wirte, die sich gegen den Shutdown der Gaststätten in den virulentesten Phasen der Pandemie aufgelehnt hatten. Passaros Gruppe heisst «Io apro», Ich öffne. Den Sturm auf den Sitz der Gewerkschaft zeigte er live auf seinem Facebook-Profil, dann kam die Polizei.
Die Gefahr unterschätzt
Und nun? Die CGIL erfuhr viel Solidarität. Vor ihrem Sitz versammelten sich viele Menschen und sangen «Bella Ciao», das berühmte Partisanenlied. Sie intonierten auch den Slogan «Ora e sempre: Resistenza». Jetzt und für immer: Widerstand. Gemeint ist der Widerstand gegen die Faschisten. Auch Premier Mario Draghi schaute vorbei. Für kommenden Samstag ruft die Gewerkschaft zu einer grossen antifaschistischen Kundgebung in Rom auf.
Auch die Parteien verurteilten den Angriff auf den Gewerkschaftssitz, jedoch mit markanten Nuancen. Der rechten Lega von Matteo Salvini war vor allem daran gelegen, Innenministerin Luciana Lamorgese zu kritisieren, obschon sich die auch selbst kritisierte: Man habe die Gefahr unterschätzt, sagte sie.
Zweideutig fiel die Reaktion von Giorgia Meloni aus, der Chefin der postfaschistischen Fratelli d’Italia, Italiens einziger Oppositionspartei. Sie verurteile die Gewalt, sagte sie. «Doch ich kenne das Muster dahinter nicht.» Tatsächlich nicht? Die Postfaschisten mochten sich noch nie von den Neofaschisten distanzieren.
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