Wegen Juves DominanzDer Serie A drohen Langeweile und finanzielle Probleme
Juventus strebt den zehnten Titel in Folge an. Darüber würden sich aber die wenigsten freuen, denn eine langweilige Liga lässt sich schlecht vermarkten.
«Numero 10» hängt wie ein Fluch über der neuen Saison der Serie A, auch wenn man das bei Juventus Turin etwas anders sehen dürfte. Und unter den angeblich elf Millionen Juventini. Gewänne Juve auch diese Meisterschaft, wären es zehn Titel in Folge, eine so langweilig runde Zahl, dass es den hoffnungsfrohen Vermarktern des Calcio bange wird. Von ihnen muss gleich ausführlich die Rede sein.
Aber natürlich ist «Nummer 10» das wahrscheinlichste Szenario, da kann die «Gazzetta dello Sport» noch lange von der «mysteriösesten Meisterschaft der Geschichte» schreiben. Man will sich eben auch in den Redaktionsstuben ein bisschen bei Laune halten.
Ausser Inter Mailand scheint kein Team fähig zu sein, bis zuletzt mit den Turinern mitzuhalten, nicht auf den ersten Blick. Vielleicht noch die AC Milan? Zlatan Ibrahimovic hängt nach langem Vertragspoker eine Saison an. Bei sieben Millionen Euro hat man sich gefunden, eine stolze Summe mit 38. Als er in Mailand landete, liess er sich feiern wie ein Überraschungstransfer.
Die Serie A – das neue Altersheim Europas
Überhaupt ist die Serie A zu einer Art Altenresidenz für angetagte ausländische Stars geworden. Ausser Napoli, das für 70 Millionen Euro den erst 21 Jahre alten nigerianischen Stürmer Victor Osimhen von Lille verpflichtete, sind die meisten Posterboys der Vereine nicht mehr ganz so jung. Pedro Rodríguez, der grosse «Pedrito», Ex-Barça und Ex-Chelsea, unterschrieb jetzt mit 33 bei der AS Roma. Franck Ribéry, 37, beginnt bei Fiorentina seine zweite Saison.
Man bemüht sich um wohlklingende Namen, die man billig haben kann und die anderswo nicht mehr erwünscht sind. Arturo Vidal etwa, 33, der beim FC Barcelona nicht mehr ins Konzept passt, flirtet noch mit Inter. Und Luis Suárez, auch 33, selbes Schicksal wie Vidal, verhandelte lange mit Juventus, das ihn auch schon zum Italienisch-Examen schickte für eine schnelle Einbürgerung – vorerst ohne Folgen.
Und dann ist da noch ein gewisser Cristiano Ronaldo, der nach seiner jüngsten «Tristezza» über die verspielte Champions League Juve nun noch eine Chance gibt, sich auf sein Niveau hochzuschwingen. Er ist 35.
Kann Pirlo auch coachen?
Immerhin gibt bei Juventus jetzt ein Trainer taktische Anweisungen, den er nur schon für dessen verflossene Klasse als Spieler schätzen muss: Andrea Pirlo, der «Maestro» – als Coach ist er allerdings ein totaler Anfänger. Eigentlich hätte Pirlo die U-23-Mannschaft übernehmen sollen, den Trainerschein hatte er eben erst gemacht.
Die Berufung des Samtfusses mit der trägen Stimme für die erste Mannschaft kam dann wie ein Donnerschlag über Italiens Fussball. Nun wollen alle wissen, ob Pirlo es schafft, Juve ein neues, modernes, freudvolles Spiel beizubringen. Das ist das einzige wirklich grosse Mysterium dieser Saison, um es mit der «Gazzetta» zu sagen, sportlich wenigstens.
Wirtschaftlich geht es nicht weniger als ums Überleben. Die Serie A war schon vor der Pandemie hoch verschuldet: 3,7 Milliarden Euro waren es im Sommer 2019. Corona riss noch ein grösseres Loch in die Kassen. Juventus, der mit Abstand am besten geführte Club im Land, steht plötzlich mit 90 Millionen Euro Verlust da, sein Umsatz schrumpfte deutlich.
Und noch ist nicht klar, wann wieder zahlendes Publikum in die Stadien kommen darf. Vor Mitte Oktober jedenfalls nicht, das hat die Regierung bereits beschlossen. Und danach? 20 Prozent der jeweiligen Stadionkapazität?
Endlich mehr TV-Geld für die Serie A?
Dennoch passiert gerade ein «epochaler Wandel» im italienischen Fussball, so beschreiben es die Zeitungen, alle brauchen Ausdrücke der grossen Tage. «Der Calcio macht einen Sprung in die Zukunft», schreibt etwa der «Corriere della Sera».
Der Clubverband Lega Serie A (früher Lega Calcio) hat gerade eine Mediengesellschaft gegründet, sie soll das Produkt Serie A endlich besser verkaufen, überall in der Welt. Vor allem soll sie mehr Geld für die Fernsehrechte erwirtschaften. Im Moment kommen dafür nur 1,4 Milliarden Euro im Jahr zusammen, und nur 371 Millionen davon stammen aus dem Ausland.
Als Vergleich: Die englische Premier League und die spanische Liga nehmen mehr als doppelt so viel ein, etwa die Hälfte davon aus dem Ausland. Nun will man den Engländern und den Spaniern ein bisschen Marktanteile wegnehmen und gleichzeitig die deutsche Bundesliga und die französische Ligue 1 in Schach halten.
Der Zeitpunkt dafür scheint nicht der allerbeste zu sein, leere Stadien sind keine sehr reizvolle Kulisse. Zudem sind viele italienische Arenen alte Bolzbuden, die televisionär nicht viel hergeben. Doch als die Lega Serie A und ihr neuer Präsident Paolo Dal Pino, ein Manager aus der Kommunikationsbranche ohne besondere Affinität zum Fussball, das Terrain prüften, meldete sich zur Verwunderung aller eine lange Reihe potenter internationaler Fonds. Offenbar glauben sie an grosse Gewinnmargen – und an die dämmerfreie Strahlkraft prominenter Vereinsnamen, an die Traditionsaura von Juve, Inter, Milan, Napoli, Roma.
Die Millionen sollen aus dem Ausland kommen
Die Media Company, an der alle 20 Serie-A-Vereine beteiligt sind, beschloss nun kürzlich einstimmig, dass Investoren von aussen Kapital einschiessen und dafür 10 Prozent der Gesellschaft erhalten. Im Rennen sind zwei Investorengruppen mit je mehreren Fonds: CVC, Advent und FSI bieten 1,63 Milliarden Euro; von Bain und NB Renaissance gäbe es 1,35 Milliarden. Eine Sauerstoffzufuhr.
Dennoch war es ein mittleres Wunder, dass der Entscheid einstimmig fiel: Italienische Clubpräsidenten neigen zur Egomanie, in der Liga gab es über die Jahre hinweg groteske Gockelkämpfe.
Nun aber haben viele Vereine ausländische Besitzer: Inter gehört einem chinesischen Grosskonzern, Milan einem amerikanischen Hedgefonds, die Roma neuerdings einem mächtigen US-Autoverkäufer und Filmproduzenten, Fiorentina dem italo-amerikanischen Unternehmer Rocco Commisso, Bologna FC einem kanadischen Lebensmittelkonzern.
Bisher gaben die italienischen Vereine Hunderte Millionen dafür aus, dass Dritte für sie die TV-Rechte verkauften. Nun machen sie das selbst. Und wenn die Sender nicht genügend Geld bieten sollten für die Übertragung, ja, dann würde die Serie A wohl eine eigene digitale Plattform schaffen. Die nächste Ausschreibung, für 2021 bis 2024, steht kurz bevor.
Alles soll moderner werden. Für das Marketing sind Büros rund um den Globus geplant. Die ganze Welt, sie soll Serie A schauen wollen. Und darum wäre es gut, wenn mal nicht Juventus gewinnen würde, und die Langeweile.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.