Nachruf auf Fritz GerberDer Schreinersohn, der Roche an die Weltspitze führte
Er sanierte die Zurich-Versicherung, dann brachte er den Basler Pharmariesen mit der Genentech-Übernahme in die erste Liga. Mit 91 Jahren ist Fritz Gerber verstorben.
Vergangene Woche bekam Roche hohen Besuch: Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder schauten sich das Forschungs- und Entwicklungslabor der Diagnostiksparte im bayerischen Penzberg an, wo Covid-19-Antikörpertests entwickelt werden.
Ohne einen Mann wäre all dies nicht möglich gewesen: Es war Fritz Gerber, der als Roche-Chef 1997 mit der Übernahme der deutschen Boehringer Mannheim den Basler Pharmariesen auch in der Diagnostik an die Weltspitze katapultierte. Am Sonntag ist Gerber im Alter von 91 Jahren verstorben, wie Roche bestätigte.
«Einmalig ist sicher, dass Fritz Gerber die Vertrauensperson unserer Grosseltern, unserer Eltern, aber auch meiner Generation war», erklärte André Hoffmann, Sprecher der Roche-Familienaktionäre, gegenüber dieser Zeitung. «Die Bedeutung der Ära Gerber für unser Unternehmen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.»
Das Triumvirat der Macht
Zusammen mit Ex-Credit-Suisse-Chef Rainer E. Gut und Ex-Nestlé-Chef Helmut Maucher prägte Gerber die Schweizer Industrielandschaft in den 90er-Jahren massgeblich.
Dabei wollte Gerber eigentlich nie Chef von Roche werden. Nach einem Jurastudium und einem kurzen Abstecher ins Beamtenleben beim Seco war der Sohn eines Schreinermeisters 1958 bei der Zürich Versicherungs-Gesellschaft eingestiegen und hatte sich dort als Sanierer einen Namen gemacht. 1977 wurde er Präsident und übernahm – wie damals noch üblich – auch die operative Führung.
Im Oktober 1977 bestellte ihn Stardirigent Paul Sacher, der damals die Interessen der Roche-Familienaktionäre vertrat, ins Baur au Lac ein. Gerber – im Rang eines Oberst – kam gerade vom Militärdienst und betrat im Kampfanzug das Nobelhotel. «Herr Gerber, Sie müssen Präsident des Verwaltungsrats werden», bat Sacher, wie es Karl Lüönd in seiner Gerber-Biografie «In wachsenden Ringen» beschrieb.
Doch Gerber wollte erst nicht – wegen seines Topjobs bei der Zurich, willigte dann aber ein, da er auch die Zurich weiterführen durfte. Das doppelte Mandat wäre heute unvorstellbar, sorgte aber auch damals schon für hitzige Debatten. Am Ende präsidierte Gerber die Zurich bis 1995, Roche noch bis 2001.
«Eigentlich hatten wir keine Ahnung, wo wir das Geld verdienten oder verloren.»
Gerber hatte allen Grund zu zögern, denn Roche war damals in einer beklagenswerten Verfassung. Die Führung war unfähig, auf das Giftgasunglück der Roche-Fabrik im italienischen Seveso angemessen zu reagieren. Britische Zeitungen nannten Roche die «meistgehasste» Chemie- und Pharmafirma. Roche hatte sich zudem auf dem Erfolg der Bestseller Valium und Librium ausgeruht. Die Pipeline mit Neuentwicklungen war leer. Ferner hatte der Konzern eine komplizierte Doppelstruktur, bei der das US-Geschäft autonom handelte. Daher gab es auch keine vernünftige Rechnungslegung. «Eigentlich hatten wir keine Ahnung, wo wir das Geld verdienten oder verloren», erinnerte sich Gerber an die Anfänge.
Das Ticket für die Zukunft
Er mistete aus: Die alte Führung musste gehen, die Strukturen wurden gestrafft: Gerber fokussierte mit Roche auf die profitablen Bereiche wie Pharma, Diagnostik, Vitamine und Duftstoffe (die spätere Givaudan). Randgeschäfte wie Kosmetik (Pantene) oder Maschinenbau wurden verkauft.
Gerber hatte damals eine Machtfülle, die heute unvorstellbar wäre: Präsident von Roche und der Zurich, Verwaltungsrat bei Nestlé, der Credit Suisse, einziger Europäer im Board von IBM.
Mit dem Verkaufserlös sicherte er Roches Ticket für die Zukunft: 1990 übernahmen die Basler für damals unerhörte 2,1 Milliarden Dollar die Mehrheit am kalifornischen Biotech Genentech – damit legte Gerber den Grundstein für Roches führende Marktstellung bei Krebsmitteln. Noch heute zählen die von Genentech entwickelten Mittel Avastin, Herceptin und Mabthera zu den Bestsellern.
Gerber hatte damals eine Machtfülle, die heute unvorstellbar wäre: Präsident von Roche und der Zurich, Verwaltungsrat bei Nestlé, der Credit Suisse, einziger Europäer im Board von IBM. «Das alles schaffte er nur, weil er wie kaum ein Zweiter in der Lage war, auf ein Problem zu fokussieren», erzählt ein langjähriger Wegbegleiter. Sein Managementstil galt auch als «unerbittlich», doch «man wusste, woran man war». Auch gegenüber den Roche-Familienaktionären bedingte er sich Handlungsfreiheit aus.
Auch dank seiner Kunstsammlung schätzt die «Bilanz» sein Vermögen auf 500 bis 600 Millionen Franken.
So soll er sein Gehalt einzig mit Familiensprecher Paul Sacher ausgehandelt haben – auf Vorschlag Gerbers. 5 Millionen Franken soll sein Gehalt schon in den frühen 90ern betragen haben. Er hatte nicht nur eine Nase für das Geschäft, sondern auch für Kunst: «Fritz Gerber sammelte Warhols, als der noch unbekannt war», so ein Wegbegleiter. Auch dank seiner Kunstsammlung schätzt die «Bilanz» sein Vermögen auf 500 bis 600 Millionen Franken.
Folgenreiches Vitaminkartell
1999 legte sich ein Schatten auf seine Laufbahn, als in den USA Preisabsprachen beim Verkauf von Vitaminen ruchbar wurden. Die Episode kostete Roche rund 5 Milliarden Dollar, zwei Roche-Manager mussten ins Gefängnis. Gerber hat stets abgestritten, von den Machenschaften etwas gewusst zu haben – was aber ebenso kein gutes Licht auf den Konzernchef wirft.
Neben der Kunst begeisterte sich Gerber für Musik. Zu seinem 70. Lebensjahr gründete er die Fritz-Gerber-Stiftung für begabte junge Musiker. Auch als Sportmäzen versuchte er sich: Gemeinsam mit seinem Freund Rainer E. Gut versenkte er Millionen bei GC.
«Bis zu seinem Tod war er mir ein wertvoller Gesprächspartner – angesichts unserer doch grossen Altersdifferenz keine Selbstverständlichkeit», sagt Roche-Verwaltungsrat Hoffmann.
Mit 91 Jahren starb Fritz Gerber am Sonntag an den Folgen eines Hirnschlags.
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