Mordprozess gegen junge AmerikanerDer rätselhafte Mord an einem Carabiniere treibt Italien um
Ein Gericht in Rom verurteilt zwei Studenten aus San Francisco zu lebenslangen Haftstrafen für den Mord an einem Beamten. Trotz des klaren Schuldspruchs bleiben viele Ungereimtheiten.
Zwei Jahre, fünfzig Verhandlungstage mit Schutzmasken, ein Schuldspruch trotz Pandemie. In Rom ist das Urteil in einem viel beachteten Mordprozess gegen zwei junge Amerikaner gefallen, und wenn nun niemand wirklich Genugtuung verspürt in dieser Geschichte, dann hat es damit zu tun, dass sie insgesamt traurig und dramatisch ist. Und ziemlich mysteriös.
Es passierte in einer Sommernacht 2019, zwischen Trastevere und Prati, zwei zentralen Vierteln Roms. Finnegan Lee Elder, damals 19, und sein Freund Gabriel Natale Hjorth (18), beide aus San Francisco, haben den Tag mit Sightseeing zugebracht. Hjorth kennt die Stadt gut, er ist halber Italiener, seine Grosseltern haben ein Haus am Meer bei Rom. Elder ist zum ersten Mal da, er hat Drogenprobleme.
Gemahlenes Aspirin statt Kokain
Sie beschliessen, sich Kokain zu beschaffen. Ein Vermittler mit Velo bringt sie zu einem Dealer in einer Seitengasse, und der verkauft ihnen statt Kokain ein Häufchen gemahlenes Aspirin. 1 Gramm für 80 Euro, schlecht verpackt. Die jungen Männer riechen den Betrug, doch das Geld ist weg. Sie klauen den Rucksack des Mittlers, als Pfand, und fliehen. Der ruft auf sein Handy an, das in der gestohlenen Tasche liegt, und schlägt einen Deal vor: den Rucksack gegen 80 Euro. Die Amerikaner legen eine Schippe drauf: das Geld und ein Gramm Koks. Sie einigen sich.
Der Vermittler ruft nun auch die Carabinieri an und meldet den Diebstahl. Man beschliesst, dass die Polizisten den Rucksack zurückholen – «Operation Wiederbeschaffung». So beginnt der zweite Teil der Geschichte, der tödliche.
Polizisten kommen ohne Dienstwaffe
Es ist jetzt 3 Uhr früh, ein Treffpunkt beim Hotel der Kalifornier ist ausgemacht. Zwei Carabinieri in zivilen Kleidern gehen hin – ohne Dienstwaffe, was dem Protokoll widerspricht. Sie melden ihrer Wache auch nicht, dass sie ihre Einsatzzone verlassen. Als am Treffpunkt statt des Mediators mit dem Velo zwei Männer aus der Dunkelheit treten, beginnt schnell ein Handgemenge mit den Amerikanern.
Elder hat ein Messer mitgebracht, die Klinge ist 16 Zentimeter lang, er sticht damit elfmal auf den 35-jährigen Mann ein, mit dem er kämpft. Mario Cerciello Rega, Unteroffizier der Carabinieri, stirbt kurz darauf. Elder und Hjorth werden später in ihrem Hotel festgenommen.
Der Fall ist schnell sehr gross in den Medien, auch wegen der vielen Ungereimtheiten. Warum, fragt man sich, hat der Mittler die Carabinieri angerufen? Ist er vielleicht ein Informant der Polizei? Oder ist er womöglich gar Mitglied einer unseligen Bande, der auch Beamte angehören?
Die Fotos von Cerciello Regas Hochzeit sind noch frisch, sie stehen jetzt in allen Zeitungen. Der italienische Staat ehrt den Polizisten als Helden, der im Dienst sein Leben liess. Zur Bestattung in Somma Vesuviana, seiner Heimatgemeinde bei Neapel, kommen viele Würdenträger der Republik. Auch Matteo Salvini von der rechten Lega reist an, der Innenminister nutzt den Fall für seine politische Propaganda.
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Die jungen Amerikaner behaupten, die Carabinieri hätten sich nicht als Carabinieri zu erkennen gegeben. Die Dienstmarken? Hätten sie ihnen nicht gezeigt. Der Einsatzkollege des getöteten Polizisten beteuert das Gegenteil, beweisen kann er es aber nicht. Zweimal im Verlauf der Ermittlungen wird er sich selbst widersprechen, in zentralen Punkten.
Dann kommt ein Video an die Öffentlichkeit, das Hjorth beim Verhör auf der Wache zeigt: mit Handschellen und verbundenen Augen. Aufgenommen hat es ein Polizist, der dabei war. Die Empörung ist gross: so etwas in Europa?
«Marios Integrität ist nachgewiesen, nach all diesen bösen Verdächtigungen.»
Nun, nach fünfzig Verhandlungstagen und 13-stündiger Beratung der Richter, sind die beiden jungen Amerikaner zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden. Elder als Mörder, Hjorth als Mittäter. Die Verteidigung hatte für beide auf Notwehr plädiert. Die Witwe des Opfers war an jeder Gerichtsverhandlung dabei gewesen. Nach dem Urteil stellte sie sich weinend vor die Fernsehkameras, schwarz gekleidet. «Marios Integrität ist nachgewiesen», sagte sie, «nach all diesen bösen Verdächtigungen.»
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