Aus dem Schatten KabilasDer Präsident des Kongos will nicht länger Marionette sein
Félix Tshisekedi regiert seit 2019. Doch erst jetzt scheint er tatsächlich der Staatschef zu sein.
Die Liste der Gratulanten war fast so lang wie die der 25 Provinzen der Demokratischen Republik Kongo. Diplomaten aus Japan, Griechenland, den USA und anderen Staaten übersandten dem kongolesischen Präsidenten Félix Tshisekedi vor kurzem ihre herzlichsten Glückwünsche. Es entstand der Eindruck, als sei der 57-Jährige gerade neu ins Amt gekommen. Dabei regiert er bereits seit 2019.
Doch es wirkt tatsächlich so, als beginne Tshisekedi erst jetzt richtig damit, Präsident des flächenmässig elftgrössten Landes der Welt zu sein, das zugleich so arm und reich ist. Das über so viel Kobalt und Kupfer verfügt, das aber genauso reich ist an bewaffneten Gruppen, die vor allem den Osten des Landes terrorisieren.
Lange galt Tshisekedi nur als eine Marionette im Spiel der vielen Interessen. Bei der Wahl Ende 2018 landete er in Wahrheit mit weniger als 20 Prozent nur auf Platz zwei. Sein mächtiger Vorgänger Joseph Kabila, der nicht mehr antreten konnte, hievte ihn ins Amt – unter der Bedingung, dass er weiter im Hintergrund die Fäden ziehen durfte. Das klappte lange.
Tshisekedi wurde seinem Ruf gerecht, ein freundlicher, aber auch nicht besonders schlauer Zeitgenosse zu sein. Vorgänger Kabila überliess ihm nicht einmal den Präsidentenpalast, blieb einfach dort wohnen. Im Parlament hatte er sich durch Wahlfälschung eine Zweidrittelmehrheit gesichert, nichts schien ohne ihn zu gehen.
Parlamentspräsidentin und Premier ausgewechselt
Ende vergangenen Jahres aber begannen sich die Dinge zu ändern. Tshisekedi und seine Leute hatten offenbar in mühseliger Kleinarbeit Hunderte Abgeordnete des anderen Lagers auf ihre Seite gezogen. Plötzlich war vieles möglich: Erst wurde die Parlamentspräsidentin abgesägt, dann der Premierminister.
Tshisekedi ernannte neue Verfassungsrichter, der Chef der Wahlkommission kam ins Gefängnis, das Kabinett wurde verkleinert, und der Präsident kündigte an, das Land solle künftig einen grösseren Anteil an den Einkünften aus den Rohstoffen behalten.
Der neue Premier Jean-Michel Sama Lukonde war zwei Jahre der Chef des staatlichen Rohstoffkonzerns Gécamines, der lange vor allem ein Selbstbedienungsladen der Elite war. Jetzt sollen viele dubiose Verträge mit internationalen Partnern neu verhandelt werden, die Vorgänger Kabila abgeschlossen hatte und von denen er vermutlich persönlich profitierte. Kabila hat sich auf seine Farm in der Provinz zurückgezogen. (Lesen Sie auch den Artikel «Kabila wollte mit Schweizer Hilfe das Finanzsystem unterwandern».)
Wie Tshisekedi den Umschwung geschafft hat, ist nicht ganz klar. Er hat manchen Abgeordneten mit Neuwahlen gedroht, wenn sie nicht in sein Lager wechselten, oder mit einer Korruptionsuntersuchung. Ganz ohne eine kleine Belohnung wird die Sache aber wohl nicht abgelaufen sein. Es wird von Ablösesummen von etwa 10’000 US-Dollar gemunkelt.
«Der kongolesische Politiker ist der wankelmütigste Mensch, der je existiert hat», sagte der kongolesische Ex-Minister Félix Momat Kitenge dem «Economist». «Er hängt seine Fahne in den Wind.» Wie berechtigt ist also der Jubel der Diplomaten, die anlässlich der Bildung der neuen Regierung Ende April in einer Erklärung hofften, dass «die Regierung jetzt schnell auf die Erwartungen des kongolesischen Volkes eingeht»?
Der Osten des Kongo wird seit Jahrzehnten von mehr als 100 bewaffneten Gruppen terrorisiert.
Diese Erwartungen, das muss man sagen, hat der Präsident bei allen Fortschritten bereits enttäuscht. Seit Wochen demonstrieren im Osten des Landes Tausende gegen die Gewalt durch Milizen und die Tatenlosigkeit der UNO-Truppen und der Regierung. Sie forderten, der Präsident möge vorbeischauen und sich selbst ein Bild machen. Tshisekedi schickte aber nur seine Sicherheitskräfte, die einige Demonstranten festnahmen, andere verprügelten.
Der Osten des Kongo wird seit Jahrzehnten von mehr als 100 bewaffneten Gruppen terrorisiert, die um Rohstoffe und Einfluss kämpfen, einige werden von den Nachbarländern Uganda und Ruanda unterstützt. Millionen Menschen sind auf der Flucht.
Tshisekedi hat angekündigt, dass die kongolesische Armee aktiver eingreifen werde, und das Kriegsrecht ausgerufen. Die militärischen Erfolge sind aber bisher überschaubar. Es ist ein Konflikt, der nach Ansicht vieler Analysten militärisch nicht zu gewinnen ist.
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