Corona-Demo in Rapperswil«Der Polizist hat empathisch und freundlich reagiert»
Die St. Galler Polizei steht wegen ihres behutsamen Vorgehens am Wochenende in der Kritik. Hanspeter Krüsi, Sprecher der Kapo St. Gallen, nimmt Stellung – und erklärt, wie es zur Umarmungsszene kam.
Die Kantonspolizei St. Gallen hat die Menge, die am Wochenende in Rapperswil gegen die Corona-Massnahmen demonstrierte, einfach gewähren lassen. Das ist eine Kapitulation des Rechtsstaates.
Nein, natürlich ist es das nicht. Bei jedem Polizeieinsatz steht das rechtsstaatliche Prinzip der Verhältnismässigkeit im Vordergrund. Wir müssen uns immer überlegen: Wie sieht ein verhältnismässiger Einsatz aus angesichts der Situation, der wir gegenüberstehen? Ich gebe Ihnen ein Beispiel.
Bitte.
Wenn wir wegen eines Streits zwischen zwei Personen ausrücken müssen, werden die Uniformierten versuchen, zunächst an deren Vernunft zu appellieren. Wir könnten theoretisch auch sofort Tränengas oder Gummiknüppel einsetzen oder die Waffe ziehen. Es ist völlig klar, dass nur die erste Massnahme aufgrund der Situation verhältnismässig wäre. In Rapperswil war es vergleichbar.
Inwiefern?
Wir haben bewusst auf den Einsatz von Gewalt gegenüber den Demonstranten verzichtet. Diese haben sich grundsätzlich absolut friedlich verhalten, und da sind die staatlichen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Anders wäre es gewesen, wenn wir oder unbeteiligte Dritte angegriffen worden wären. Wir waren allzeit bereit, grösseren Schaden oder gar Verletzungen abzuwenden. Der Einsatz von Gummischrot oder Tränengas oder anderer Einsatzmittel wäre nicht angebracht gewesen. Dass die Kundgebung nicht bewilligt war, darauf haben wir übrigens vorgängig ganz klar hingewiesen.
Hätte die Polizei den Aufmarsch nicht verhindern können, bevor so viele Leute in Rapperswil aufmarschierten?
Der Grossteil der Teilnehmenden war völlig unauffällig gekleidet. Sie haben also schon mit Kontrollen und Wegweisungen durch uns gerechnet und sich entsprechend vorbereitet. Sie konnten von uns nicht von Spaziergängerinnen oder Spaziergängern unterschieden werden. Es sind dann aber binnen kurzer Zeit Hunderte von Demonstranten aus verschiedenen Richtungen auf den Fischmarkt geströmt. Das war offensichtlich organisiert. Alle diese Leute festzunehmen, deren Identität festzustellen und schliesslich eine Busse auszustellen, war bei rund 4000 Demonstrierenden gänzlich unmöglich.
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Eine Demonstrantin hat einen lachenden Polizisten umarmt und ihm eine Rose überreicht. Das war eine richtige Verbrüderungsszene.
Nein, von einer Verbrüderungsszene kann man nicht sprechen. Unser Mitarbeiter wurde überrumpelt. Was kann ein Polizist tun, wenn etwas derart Unerwartetes geschieht? Er kann die Demonstrantin wegstossen, er kann weggehen, oder er kann so reagieren, wie er es getan hat. Der Polizist hat empathisch und freundlich reagiert. Hätte er die Frau weggestossen, würden wir jetzt über rüpelhafte oder sogar unmenschliche Beamte ein Gespräch führen.
Es kam auch sonst der Eindruck auf, einige Polizisten hätten Sympathien für die Kundgebung.
Nein, unsere Mitarbeitenden hatten vor der Demonstration die Anordnung erhalten, nach derselben 3-D-Strategie vorzugehen, die wir seit Beginn der Pandemie anwenden. Dabei stehen Dialog und Deeskalation im Vordergrund und nicht das Durchsetzen um jeden Preis. Daraus auf Sympathien für die sich falsch verhaltenden Personen zu schliessen, trifft nicht zu.
Ein weiterer Vorwurf an die Polizei lautet, sie habe die Demonstranten nicht aufgefordert, eine Maske zu tragen. Obwohl das eigentlich vorgeschrieben wäre.
Dieser Vorwurf ist falsch. Wir haben viele Personen zu Covid-konformem Verhalten aufgefordert. Es ist aber äusserst schwierig bis unmöglich, mit Corona-Skeptikern zu diskutieren und sie zu einer Änderung ihres Verhaltens zu bewegen. Fast alle haben das Tragen einer Maske konsequent verweigert. Viele Teilnehmer der Kundgebung haben zudem ihre wahren Absichten verschwiegen oder geleugnet. Sie haben sich bei Personenkontrollen als normale Spaziergänger ausgegeben.
4000 unmaskierte Leute in den engen Gassen von Rapperswil – das ist auch epidemiologisch nicht harmlos.
Diese Situation als «harmlos» zu bezeichnen, wäre sicher falsch.
Eben.
Das haben wir aber auch zu keiner Zeit getan. Die Demonstration hätte nur aufgelöst werden können, wenn wir entsprechenden Druck ausgeübt hätten. Wenn auf grosse Menschenmenge Druck ausgeübt wird, löst dies unweigerlich Gegendruck aus. Damit steigt die Gefahr einer Eskalation rasant. Teilnehmende der Demonstration, unbeteiligte Dritte und auch unsere Mitarbeitenden hätten sich grösseren Gefahren für deren Gesundheit ausgesetzt. Mit dem von uns gewählten Vorgehen wurde das Risiko von Infektionen reduziert, nicht zusätzlich gesteigert. Eine grossflächige Verbreitung des Virus hätte bei einer gewaltsamen Räumung des Platzes sicher eher stattgefunden als bei deren friedlichem Ablauf.
Die St. Galler Kapo gerät nun auch politisch unter Druck. Haben Sie damit gerechnet?
Nein, politisch kommen wir nicht unter Druck. Unser Vorgehen war mit den politisch verantwortlichen Personen abgestimmt. Dass wir von einem Teil der Gesellschaft kein Lob ernten, war uns von Anfang an klar. Die Gesellschaft ist gespalten. Und die Polizei steht mittendrin. Es ist falsch, wenn die Gesellschaft glaubt, die Polizei löse dieses gesellschaftliche Problem.
In sozialen Medien feiern Corona-Skeptiker St. Gallen nun als Kanton, in dem man demonstrieren und Polizisten umarmen darf, ohne dass etwas passiert.
Das nehmen wir so nicht wahr. Und es trifft nicht zu, dass nichts passiert. Unsere Einsatztaktik werden wir nicht nach der Stimmung in den sozialen Medien festlegen. Wir wissen, was korrekt ist und was getan werden muss. Bei jeder künftigen Veranstaltung wird sich die Frage der Verhältnismässigkeit erneut stellen. Wir können und wollen bildlich gesprochen nicht mit Kanonen auf Spatzen schiessen. Übrigens freut es uns, dass wir auch Lob für unseren besonnenen, verhältnismässigen Einsatz erhalten.
Wie viele Personen wurden in Rapperswil verhaftet und gebüsst?
Es gab 2 Festnahmen und 45 Wegweisungen, aber keine Bussen.
In der Stadt St. Gallen gab es an Ostern ebenfalls Demonstrationen. Dort lautete der Vorwurf, die Polizei habe eher zu hart durchgegriffen. Wollten Sie vermeiden, dass in Rapperswil erneut dieser Eindruck entsteht?
Diese Ereignisse sind polizeilich absolut nicht vergleichbar. Der entscheidende Unterschied ist, dass in St. Gallen zu Gewalt aufgerufen worden war und es auch gewalttätig wurde. Es wurden Sachbeschädigungen und Angriffe gegen Polizistinnen und Polizisten verübt. Da darf die Polizei auch mit anderen Massnahmen reagieren als bei einer friedlichen Demonstration.
Die Vorstellung, dass es nun im Kanton St. Gallen jedes Wochenende zu solchen Demonstrationen kommt, muss doch für Sie ein Albtraum sein.
Warum soll es dazu kommen? Wir haben unsere Arbeit gemacht, und so wird es auch künftig sein. Es ist doch viel wahrscheinlicher, dass sich die Covid-Skeptiker an einem neuen, anderen Ort versammeln werden. Das ist eine Bewegung, die sich möglichst an vielen verschiedenen Orten zeigen will. Dafür spricht auch der bisherige Verlauf der Demonstrationen in der Schweiz.
Würden Sie im Nachhinein etwas anders machen?
Nein, in derselben Situation würden wir wieder gleich handeln. Wir wollten in Rapperswil die Demonstration in geordneten Bahnen verlaufen lassen. Dieses Ziel haben wir erreicht. Ich muss mich nun seit drei Tagen permanent erklären. Ich bin froh, mich nicht für verletzte Demonstranten, Polizisten, Passanten oder für Sachbeschädigungen rechtfertigen zu müssen.
Gibt es schon Gesuche für neue Demonstrationen im Kanton St. Gallen?
Davon habe ich keine Kenntnis.
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