Der nachhaltige Preis der NobelsMathis Wackernagel erfand den ökologischen Fussabdruck
An der Universität von Kalifornien Berkeley wurde der gebürtige Basler am Mittwochnachmittag von den Nobel-Nachkommen geehrt.

- Mathis Wackernagel erhielt den neuen Preis des Nobel Sustainability Trust.
- Sein ökologischer Fussabdruck-Rechner wird weltweit akzeptiert und genutzt.
- In Kolumbien erhielt er kürzlich zwei bedeutende Auszeichnungen für seine Arbeit.
- Er betont die Notwendigkeit von Nachhaltigkeit aufgrund schwindender Ressourcen.
Der Nachhaltigkeitsforscher Mathis Wackernagel erhält den erstmals vergebenen Preis des Nobel Sustainability Trust. Erfahren habe ich das von unserer Primarlehrerin. Irène Sury ist 94 Jahre alt. Ihr Augenlicht wird immer schwächer, aber ihr Sinn für Dringlichkeit ist immer noch ausgeprägt. Also hat sie mich telefonisch zu erreichen versucht, und als das misslang, Juri, einen anderen Klassenkameraden, gebeten, mir ein Mail zu schreiben.
Irène, Mathis und Juri waren ziemlich genau vor einem Jahr auch an unserer bislang letzten Klassenzusammenkunft. Mathis Wackernagel war damals nicht extra wegen dieses Treffens von Oakland, Kalifornien, nach Basel gekommen. Würde ihm schlecht anstehen, denn er ist – zusammen mit seinem damaligen Doktorvater William Rees – der Erfinder des ökologischen Fussabdrucks.
Mit dem von ihnen entwickelten Rechner kann Jahr für Jahr festgestellt werden, ab welchem Tag im Jahr ein Land mehr Ressourcen braucht, als ihm nachhaltig zur Verfügung stehen. Der sogenannte Overshoot Day der Schweiz wurde vom Global Footprint Network dieses Jahr für den 27. Mai berechnet.
Wir müssten also fast zweieinhalb Schweizen haben, um all das, was wir hier von der Natur nutzen, zu regenerieren. Also jettet er nicht unvernünftig hin und her, sondern verbindet Reisen in die Schweiz mit anderen Terminen. Und von denen gibt es viele.
Zwei Auszeichnungen in Kolumbien
Zuletzt, Ende Oktober 2024, war Wackernagel in Kolumbien. Dort wurde ihm der «Gran Cruz con Placa de Oro» überreicht und tags darauf der «Orden de la Democracia Simón Bolívar». Beides in Anerkennung für seine Berechnungen zur Biokapazität.
Die Auszeichnungen – weltweit – für seine Arbeit als «Umweltaktivist», wie er gerne bezeichnet wird, häufen sich. War es 2012 der Grosse Binding-Preis in der Schweiz und der mit 300’000 Franken ausgestattete Blue Planet Prize in Japan, kamen seither der World Sustainability Award (2018) und ein Ehrendoktor der schottischen Universität Stirling (2022) dazu. Den Ehrendoktor der philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Uni Bern erhielt er 2007.
Studiert hat Mathis Wackernagel, geboren 1962, zuerst an der ETH Zürich, wo er sich zum Ingenieur ausbilden liess. Anschliessend erwarb er einen Doktortitel in Stadt- und Regionalplanung an der University of British Columbia in Vancouver. Seit er 26 Jahre alt ist, lebt er nicht mehr in der Schweiz. Seine erste Station im Ausland war Dänemark, es folgten Finnland, Kanada, Costa Rica, Mexiko und schliesslich die USA.
Bei unserer Klassenzusammenkunft letztes Jahr tauchte er mit dem Velo seines längst verstorbenen Vaters auf. Sein Elternhaus im Basler Gellertquartier ist nicht weit weg vom Park, in dem wir uns trafen. Auffällig war an diesem Novembertag 2023 sein buntes Hemd. Der knallige, kalifornische Stil?
«Im Gegenteil», sagt er, «als ich in den USA ankam, musste ich mir für Businessauftritte erst mal ein paar graue Hosen ankaufen. Meine bunten waren etwas zu viel.»
Die Wurzeln in Basel
Sein Baseldeutsch ist immer noch astrein. Sein Lachen ist mir immer noch vertraut. Obwohl mittlerweile mehr als 50 Jahre vergangen sind, seit wir gemeinsam mit Legos spielten, Schiffe bauten oder in der Nähe des Basler Galgenhügels beim Bau der Autobahn neugierig nach menschlichen Überresten gruben – und tatsächlich Knochen fanden.
Es erstaunt Mathis Wackernagel nicht weiter, dass Irène Sury die Auslöserin für meinen Anruf bei ihm ist und ich nun mehr über den «Nobel Sustainability Award for Leadership in Implemention» wissen will. «Sie ist eben eine Aktivistin», lacht er.
Wir erinnern uns stets an alle die Exkursionen, die wir während unserer Primarzeit – 1969 bis 1973 – unternommen haben. Erhellend, augenöffnend, spannend. Die Klasse mit 36 Schülerinnen und Schülern führte Irène Sury ganz allein. Viele von uns haben noch Kontakt untereinander.
Mathis ist bestimmt unser Überflieger, denn niemand sonst hat (bislang) die Aufmerksamkeit der Nobel-Familie geweckt, aber dank seiner Bescheidenheit spüren wir das nie. Dieser spezielle Nobel-Preis biete ihm noch einmal eine grössere Plattform, um auf unseren Umgang mit Ressourcen und das Nachdenken über Kapazitäten aufmerksam zu machen, sagt er.
«Das langfristige Überleben der Menschheit hängt davon ab, wie viel wir davon verstehen, was auf uns zukommt», sagt Wackernagel. «Dann können wir auch besser entscheiden. In jedem Szenario des Klimawandels steht fest, dass es weniger Ressourcen geben wird.» Er hat denn auch für die drei w eine andere Interpretation als World Wide Web. Er verwendet sie für was wird wertvoll? «Diese Frage ist für alle Menschen weltweit gleich wichtig.»
Voller Mülleimer oder leerer Kühlschrank?
Dass er vermehrt im globalen Süden unterwegs ist, speziell in Südamerika, erklärt er so: «Länder, die noch genügend Kapazitäten haben, können freier denken. Die anderen, auch die Schweiz, werden zunehmend von der Angst gesteuert.» Den Fokus auf den Klimawandel alleine schätzt er, durchaus selbstkritisch, als falsch ein. «Ein Arzt hat mir gesagt: Der überfüllte Mülleimer macht uns weniger Sorgen als der leere Kühlschrank.» Will heissen: Der Klimawandel ist zu abstrakt, die Aussicht, bald zu wenig Wasser, Essen oder Atemluft zu haben, ist greifbarer.
Als ich ihn frage, wie er das alles aushält, wenn er doch sieht, wohin die Reise der Menschheit geht, sagt Mathis: «Mir geht es gut. Ich gebe mich nicht auf für die Welt.» Preise und Ehrungen böten ihm aber die Legitimation, auf die Nachhaltigkeit aufmerksam zu machen, «als etwas Notwendiges – nicht etwas Nobles».
Dass manche Klimaschützer schon fast mit religiösen Eifer zur Sache gehen, fällt ihm auch auf. «Aber wir brauchen keine moralischen Worte. Sie helfen uns nicht weiter.» Handkehrum zitiert er den amerikanischen Schriftsteller und Politaktivisten Upton Sinclair: «It is difficult to get a man to understand something, when his salary depends upon his not understanding it.» Zu Deutsch: Es ist schwierig, jemandem Verständnis abzubringen, wenn sein Einkommen davon abhängt, dass er es nicht versteht.
Zur Preisverleihung fuhr Mathis, so hat er es mir erklärt, mit dem Velo. «Im schicken Anzug?» – «Nein, den habe ich in einem Köfferchen dabei.»
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