Der neue Chef im Schweizer EishockeyZum Start ist er gleich als Schlichter gefragt
Stefan Schärer gehörte als Handballer zu den Besten im Land, doch sein weiterer Weg brachte auch Misserfolge. Nun erwartet den Quereinsteiger eine delikate Aufgabe im Eishockeyverband.
Er sei zu klein, beschied man Stefan Schärer, als er 16 Jahre alt war. Statt auf die Position des Regisseurs stellte man den jungen Handballer in einem Sichtungstraining für die U-Nationalmannschaft an den Flügel – die Position mit dem kleinsten Einfluss aufs Spiel. Die Degradierung sollte zum Schlüsselerlebnis werden für Schärer, der gerne den Leader gibt. Heute ist er der Präsident des Hockeyverbandes.
Statt ihn zu demotivieren, habe der fehlende Glaube an ihn als Sportler damals seinen Ehrgeiz geweckt, sagt er. «Ich wollte einfach gut werden, trotz beschränkter körperlicher Voraussetzungen.» Er sprang fortan nur noch auf einem Bein, um seine Sprungkraft zu stärken. Mit Erfolg: Schärer spielte über 200-mal für die Schweiz, nahm an der WM und Olympischen Spielen teil und feierte mit Amicitia Zürich und Pfadi Winterthur neun Meistertitel.
Weggefährten erzählen, dass Schärer schon als Spieler ein Leader war. «Er mochte es, die Richtung mit vorzugeben», sagt der ehemalige Nationaltrainer Arno Ehret. Mit ihm tauschte sich Schärer auch nach seiner Handballkarriere ab und zu aus. Die Eigenschaften des Spielers sah der Trainer auch später im Wirtschaftsmann Schärer. «Er wollte immer etwas bewegen und war auch bereit, ein gewisses Risiko einzugehen», sagt Ehret. Und: «Er konnte auch die Ellbogen ausfahren und seinen Platz behaupten.»
Nationalspieler, Präsident, CEO
Nur: Warum wird ein Handballer Präsident des Hockeyverbandes? «Ich hatte das Glück, zum richtigen Moment am richtigen Ort zu sein», sagt Schärer. Wie damals, als es darum ging, an den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta die Schweizer Fahne zu tragen. Der Tennisspieler und designierte Fahnenträger Marc Rosset verzichtete darauf, im olympischen Dorf zu wohnen, und stand somit nicht mehr zur Wahl. Diese fiel dann auf Schärer.
Für das Amt des Hockeypräsidenten sei er nun angefragt worden, sagt er. Der Verband suchte eine Person, die nicht aus dem Hockey kommt, nahe an der KMU-Wirtschaft ist und eine Sportvergangenheit hat. Eine Person wie Schärer. Der studierte Ökonom kennt sich in Wirtschaftsfragen aus. Er war CEO bei Immoscout und Moneyhouse und machte sich dann selbstständig. Am erfolgreichsten war sicherlich das Start-up Houzy, eine Plattform für Haus- und Wohnungsbesitzer. Im letzten November übernahmen die UBS und die Baloise die Mehrheit am Unternehmen. Schärer ist aber noch Verwaltungsratspräsident.
Als ehemaliger Handballer kenne er die Innensicht einer Mannschaft und als ehemaliger Präsident von Pfadi Winterthur auch das Vereinsleben. Doch sein Werdegang ist nicht nur von Erfolgen gezeichnet. In der Vereinshistorie von Pfadi Winterthur heisst es zum letzten Präsidialjahr unter Schärer: «Eine sportlich wie finanziell katastrophale Bilanz.»
Zuletzt scheiterte Schärer in der Wirtschaft. Sein Start-up Conreal, ein Proptech-Unternehmen, gibt es nicht mehr. Innerhalb von zwei Jahren wuchs das Unternehmen von null auf 50 Mitarbeitende, diese mussten entlassen werden. Schärer macht gescheiterte Deals und die geopolitische Lage dafür verantwortlich. «Ja, auf meinem Lebensweg gab es Misserfolge», sagt der dreifache Vater selbst.
Trotzdem verliert sein ehemaliger Geschäftspartner Christoph Meili kein schlechtes Wort über den neuen Hockeypräsidenten: «Die Zusammenarbeit mit ihm ist sehr fordernd, aber immer fair und auf Augenhöhe», sagt Meili. Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit seien Schärer sehr wichtig.
Direkter Kommunikator
Schärer spricht viel, schnell, und er sagt, was er denkt. Das komme wohl auch aus dem Spitzensport. «Da kannst du während des Spiels deinem Mitspieler ja auch nicht dreimal über den Hinterkopf streicheln und bitte, bitte sagen.» So war Schärer schon als Handballer. «Er konnte gegenüber Mitspielern seine Vorstellungen und Erwartungen klar formulieren. Mit dem einen oder anderen gab es deswegen auch intensive Diskussionen. Davor hat er sich nie gescheut», sagt sein alter Trainer Ehret.
Schärer war als Spieler ein Wortführer, er war Captain und später CEO – kurz, er war immer Chef. Um Macht gehe es ihm aber nicht. «Ich will Erfolg», sagt er. Wenn in einem Team nicht alle am gleichen Strick ziehen würden, werde er unangenehm. «Ich habe mich aber immer dem Team untergeordnet. Nur wenn ich das Gefühl hatte, dass das, was wir hier veranstalten, nicht zum Erfolg führt, habe ich das adressiert» – wie Granit Xhaka letzte Woche, als er öffentlich die Trainingsintensität in der Fussball-Nationalmannschaft kritisierte. «Das ging mir soeben auch durch den Kopf. Aber es war eine andere Zeit, und ich wäre wohl so clever gewesen, den Konflikt nicht auf diesem medialen Weg auszutragen», sagt Schärer.
Streitschlichten als Startaufgabe
In den nächsten Wochen muss der neue Präsident zeigen, wie er Konflikte moderieren kann. Er muss die Kluft zwischen dem Nationalmannschaftsdirektor Lars Weibel und den Ligavertretern schliessen. Weibel hat sich mehrfach öffentlich gegen die Erhöhung der Ausländerzahl ausgesprochen und mit der eigenmächtigen Absage des Prospect Camp der Nationalmannschaft den Zorn der Clubverantwortlichen auf sich gezogen. Nicht wenige forderten im Sommer seine Absetzung. Wird das nun die erste Amtshandlung von Schärer sein? «Nein. Einerseits müsste der Verwaltungsrat den Entscheid treffen. Andererseits machen Schnellschüsse im Sport meistens wenig Sinn. Dass Lars unglücklich kommuniziert hat, weiss er. Dass sich einige Leute auf den Schlips getreten fühlten, verstehe ich.»
Als erstes Ziel will der neue Präsident Ruhe in die Schnittstellenthematik reinbringen. «Irgendwann will ich zurückschauen und sagen: Diese Ziele hast du mitgestaltet», sagt Schärer. Er ist nun der Regisseur – wenn auch nicht auf dem Handballfeld.
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