Kommentar zum Umgang mit TraumataDie Schatten des Krieges sind lang
Der Genozid von Srebrenica liegt 25 Jahre zurück. Die Überlebenden kämpfen bis heute mit den Folgen. Was wir daraus lernen sollten.
Es sei jeweils im Juli, wenn die Tage schwer würden, erzählten Senada Halilovic und Muhizin Hasanovic dieser Zeitung (lesen Sie hier mehr über ihre Geschichten). Jedes Jahr erinnert sie diese Zeit daran, was damals, im Sommer 1995, in Srebrenica, Bosnien-Herzegowina, geschah. Beide verloren Angehörige im Genozid. Es war das schlimmste Kriegsverbrechen seit Ende des Zweiten Weltkrieges, in dem bosnisch-serbische Einheiten über 8000 bosniakische Männer und Jungen systematisch töteten.
Halilovic und Hasanovic haben überlebt. Heute wohnen sie in der Schweiz, leben ein scheinbar normales Leben – sie arbeiten, haben Familie, Kinder. Doch über das Erlebte zu sprechen, fällt ihnen bis heute schwer.
Rund die Hälfte aller Geflüchteten, die in der Schweiz ankommen, ist traumatisiert, schätzen Fachleute. Ein bedeutender Anteil der aus Bosnien-Herzegowina zugewanderten Personen etwa leidet an schwerwiegenden Gesundheitsproblemen, konstatieren Fachleute, die in einem Bericht des Bundes zu Wort kommen. Die psychischen Erkrankungen würden dabei depressive Störungen oder posttraumatische Belastungsstörungen betreffen.
Wir vergessen oft, dass 25 Jahre keine lange Zeit sind, um traumatische Kriegserlebnisse zu verarbeiten.
Das Schweizerische Rote Kreuz betreibt in der Schweiz mehrere Ambulatorien für Folter- und Kriegsopfer. Die Zahlen zeigen, dass dort bis heute Personen aus Bosnien-Herzegowina und anderen Ländern des Balkans in Behandlung sind. Auch ist bekannt, dass selten nur die traumatisierte Person selbst betroffen ist. Intergenerationales Trauma lautet der Fachbegriff dafür, dass Erlebnisse beziehungsweise deren Folgen über Generationen hinweg weitergegeben werden können.
Die Geschichten von Senada Halilovic und Muhizin Hasanovic zeigen zudem, dass nach der Flucht nicht plötzlich eine neue, unbelastete Normalität eintritt. Wie viele andere Geflüchtete, die vor und nach ihnen in die Schweiz kamen, haben sie Dinge gesehen und erlebt, die nicht in einen friedlichen Alltag passen wollen, die sie bis heute verfolgen.
Jahrelang mussten die beiden warten, bis ihre seit dem Krieg vermissten Angehörigen gefunden wurden und sie sie beisetzen konnten. Auch 25 Jahre nachdem ein Krieg in Bosnien offiziell geendet hat, ist es für einige Personen nicht möglich, an ihre alten Heimatorte zurückzukehren. Unter anderem aus Angst, weil sie das politisch-nationalistische Klima nicht ertragen, weil es rechtliche Angelegenheiten rund um Grundstücke oder Verbrechen gibt, die bis heute nicht geklärt sind.
Wenn Halilovic und Hasanovic von Toleranz und Frieden sprechen, meinen sie keine Floskeln.
Die Gesellschaft um sie herum kriegt von alldem oft wenig mit, und wenn, bleibt vieles schlicht unvorstellbar. Trotzdem wird von Geflüchteten erwartet, dass sie sich möglichst schnell integrieren, Deutsch lernen, arbeiten, wenn es der Status zulässt.
Und auch wenn sich Organisationen und Einzelpersonen mit Geflüchteten für deren Anliegen einsetzen, stellen Experten seit Jahren immer wieder fest, dass Personen mit Traumata aufgrund von Krieg, Folter und Flucht in der Schweiz nicht ausreichend behandelt werden. Unter anderem gibt es zu wenig spezialisierte Therapieplätze.
Wir sollten aus Geschichten wie jenen von Senada Halilovic und Muhizin Hasanovic lernen, dass wir Geflüchtete, egal, aus welchem Land, nicht wie eine Last, die es möglichst günstig und schnell zu verteilen oder gar wieder loszuwerden gilt, behandeln können. Sondern wie Mitmenschen, deren Geschichte bei uns in der Schweiz Platz haben soll und denen wir mit entsprechenden Mitteln Rechnung tragen sollen – sozial, finanziell, politisch, im Zwischenmenschlichen wie bei Behörden, im Gesundheitswesen, in der Schule.
Gerade für die Kinder von heute hoffen Senada Halilovic und Muhizin Hasanovic, dass sie nie ein Srebrenica werden erleben müssen. Und wenn Halilovic und Hasanovic von Toleranz und Frieden sprechen, meinen sie keine Floskeln, um damit eine naive Vorstellung einer Gesellschaft zu skizzieren. Sie sehen darin eine Notwendigkeit, um das zu verhindern, was ihnen zugestossen ist. Wir sollten ihnen gut zuhören.
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Lesen Sie hier die Geschichten von Senada Halilovic und Muhizin Hasanovic.
Hier finden Sie unser Interview mit Emir Suljagic.
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