Kommentar zum Verbot von MemorialDer Kreml will die stalinistischen Verbrechen schönreden
Russland löst die Menschenrechtsorganisation Memorial auf. Das Urteil zeigt: Wer die Geschichte der Sowjetunion kritisch betrachtet, wird zum Schweigen gebracht.
Das Gericht hat gesprochen. Im Grunde aber hat die Richterin nur ausgesprochen, was die Generalstaatsanwaltschaft gesagt und der Kreml praktisch vorweggenommen hat mit seiner harschen Vorverurteilung von Memorial. Das Verbot der international angesehenen Organisation ist leider keine Überraschung mehr gewesen, sondern eine Bestätigung. Die Folgen sind ohnehin weitreichend.
Der russische Staat geht schon seit langem gegen seine Kritiker vor; das Gesetz über die Registrierung als «ausländischer Agent» ist dabei ein relativ neues Werkzeug, das er zunehmend schärft und auf grössere Gruppen anwendet. Schon die Frage, ob Memorial, das sich vor allem um die Aufarbeitung von stalinistischen Verbrechen kümmert, damit auch «politisch tätig» ist, lässt sich nach Gusto dehnen und ebenso gut bestreiten.
Ja, Memorial hat sich der Etikettierung als «Agent» immer wieder entzogen, dafür hat die Organisation eine Vielzahl von Bussgeldern bezahlt. Jetzt aber bezahlt sie mit dem radikalen Verbotsurteil dafür, dass sie sich in die Geschichtsdeutung des Staates einmischt. Der möchte verhindern, dass an der immer wohlwollenderen Betrachtung der sowjetischen Vergangenheit gerüttelt wird.
«Der Staat macht seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht Mut, er nimmt ihnen Mut.»
Für die Zivilgesellschaft ist dies ein schwerer Schlag. Wie sollen kritische Aufklärung, bürgerliches Engagement entstehen, wenn selbst eine derart anerkannte Organisation wie Memorial so leicht zerschlagen werden kann? Der Staat macht seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht Mut, er nimmt ihnen Mut.
Zugleich ist dieses Verbot eine schwere Niederlage für den letzten Präsidenten der vor 30 Jahren aufgelösten Sowjetunion, Michail Gorbatschow. Er hatte in seiner Abrechnung mit dem System einst Glasnost gepredigt, mehr Transparenz auch bei der Aufarbeitung der Vergangenheit. Heute hat der Kreml daran kein Interesse. Gorbatschow hat nicht ohne Grund das Verfahren kritisiert; aber vergeblich.
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