Der kranke Gletscher
Giuseppe Conte trug den Fall des abrutschenden Gletschers Planpincieux nach New York zum UNO-Gifpel.
Seit einigen Wochen rutscht ein grosses Stück, etwa 250'000 Kubikmeter Eis, Richtung Tal. Und zwar dramatisch schnell, jedenfalls für einen Gletscher. Im Schnitt sind es 35 Zentimeter pro Tag, mit Spitzen von siebzig Zentimetern. Zuweilen lösen sich mit donnerndem Knall Fragmente aus der Masse. Im Val Ferret kennt man dieses Geräusch. Der Planpincieux auf 2700 Metern ist ein spezieller Gletscher, er zerrinnt nicht einfach, er bricht auseinander.
Die Sorge ist nun, dass das rutschende Stück bald in einem Block niedergeht. Zumal dann, wenn die Temperaturen nicht bald stark sinken und wieder alles gefriert - für den Winter. Italiens Premierminister Giuseppe Conte trug den Fall des Planpincieux nach New York zur Generalversammlung der Vereinten Nationen. «Es kann uns nicht gleichgültig sein, dass ein Gletscher am Mont Blanc zu kollabieren droht», sagte Conte in seinem Beitrag zur Klimadebatte. «Das muss uns aufrütteln und mobilisieren.» So wurde der Planpincieux über Nacht zum Mahnmal.
Da hilft auch Dynamit nicht
Einige Strassen im Tal sind schon gesperrt worden, besonders gefährdete Häuser und Hütten wurden geräumt. Der Bürgermeister von Courmayeur, Stefano Miserocchi, lud die Bewohner der Gegend zu einer öffentlichen Dorfversammlung ein. Es ging ihm vor allem darum, den Alarmismus etwas einzudämmen. «Der Gletscher», sagte er, «wird nicht auf Courmayeur fallen, der Mont Blanc stürzt nicht ein, die Bevölkerung riskiert nichts.»
Aber ein Radar ist eine gute Sache. Sobald er dann einmal eine plötzliche Beschleunigung registrieren sollte, würde der italienische Zivildienst sofort warnen. Vorgesehen ist auch, dass alle Anwohner eine Kurznachricht auf ihr Handy erhalten würden. Früher massen sie die Bewegungen des Planpincieux mit Fotos im Zeitraffer, die man nebeneinander legte. Das ging ganz gut, wenn die Sonne schien. Bei Nebel funktionierte die Methode aber nicht, und Nebel gibt es da oben ziemlich oft.
Italienische Experten gehen davon aus, dass es in dreissig Jahren auf dieser Höhe, also unter 3500 Meter über dem Meeresspiegel, keine Gletscher mehr geben werde. Im Falle des Planpincieux sei nicht die Frage, ob er verschwinde, sondern nur noch wann und wie genau.
Trotziger Fatalismus
Diskutiert wurde schon die Möglichkeit, dass mit gezielten Sprengungen kleine Teile kontrolliert zu Tal gebracht werden könnten. Doch Fachleute sagen, in diesem Fall sei das nicht möglich. Auf unstabilem Boden wie jenem des «kranken Gletschers» sei Dynamit kein Mittel. Ausserdem sei völlig unklar, was nach einer Sprengung alles passieren könnte.
Wie so oft, wenn die Italiener mit der Wucht ihrer schönen und zuweilen bedrohlichen Natur konfrontiert werden, etwa mit Erdbeben und Vulkanausbrüchen, setzt da und dort auch diesmal sorgloser, fatalistischer Trotz ein. Es werde überdramatisiert, heisst es, man kenne diesen Gletscher, seine Launen und sein Donnern. Die Zeitung «Corriere della Sera» hat die Bewohner jenes Hauses befragt, das von allen Häusern im Val Ferret das exponierteste ist. Der Besitzer sagte: «Ich habe das Privileg, in einem der schönsten Täler der Welt zu leben. Die Risiken nehme ich gerne in Kauf.»
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