Aus dem Leben eines HochstaplersDer Kranführer, der es mit einer Lüge ans British Open schaffte
Maurice Flitcroft sah ein Golfturnier im Fernsehen und wollte darauf auch bei den Profis mitspielen. Das Problem: Er war blutiger Anfänger.

Er will berühmt werden. Er will sein Glück finden. Deshalb bestellt er sich beim Versandhandel ein halbes Schlägerset. Und besorgt sich in der Bibliothek einen Ratgeber für erfolgreiches Golfspiel. Und ein paar Monate später startet er beim British Open. Das ist die Geschichte von Maurice Flitcroft.
Flitcroft, geboren 1929 in Manchester, lebt mit seiner Familie in Barrow-in-Furness an Englands Westküste. Er verkauft Schuhcreme und Glace, versucht sich als Songschreiber und Maler, tourt mit einer Akrobatikgruppe durchs Land und ist Kranführer bei einer Schiffswerft. Dann fängt er im Alter von über 40 Jahren an, Golf zu spielen.
Gerade noch hat er das Wandern für sich entdeckt, hat Schuhe, gute Socken und einen Kompass gekauft und will auch schon bald mit Bergsteigen beginnen. Doch dann sieht er im Oktober 1974 im Fernsehen ein Golfturnier und ist beeindruckt, dass die Spieler einzeln vorgestellt und dann beim Abschlag gezeigt werden. «Und es gab dazu diesen Jingle, bumm ba de bumm, ba de bumm», hat Flitcroft dem «Guardian» erzählt. «Ich fand das wunderbar und dachte, dass es grossartig wäre, wenn ich auch Teil davon sein könnte.»
Nachdem der Briefträger die Schläger geliefert hat, spielt FIitcroft am Strand und auf dem örtlichen Sportplatz. Im eigenen Garten locht er in Dosen ein, die er im Boden eingegraben hat. «Ich stellte fest, dass ich das Spiel liebte und ziemlich schnell Fortschritte machte.» Er übt jeden Abend und im Sommer 1975 bald auch tagsüber, weil er arbeitslos geworden ist.
Manchmal springt er über Zäune und schleicht sich auf richtige Golfplätze, um ein Loch zu spielen, für reguläre Runden fehlt ihm das Geld. Irgendwann fühlt er sich bereit, richtig mitzumachen. Er meldet sich fürs British Open 1976 an.
Für die Startgebühr muss er seine Ehefrau fragen
Das geht nicht einfach so. Zuerst muss seine Ehefrau einverstanden sein, die 30 Pfund Startgebühr zu investieren. Und dann braucht es eine Lüge, um es an den Start zu schaffen. Weil er über kein Handicap verfügt, gibt Flitcroft im Anmeldeformular an, Profigolfer zu sein. Es läuft alles brieflich. Ein paar Wochen später flattert die Bestätigung ins Haus. Flitcroft ist Teilnehmer beim Open.
Nie hat er 18 Löcher auf einem Golfplatz gespielt, bis er zur Qualifikation antritt. Sein Morgen beginnt schlecht. Er biegt mit dem Auto falsch ab und kommt so spät, dass es nur noch für einen Schluck Tee aus der mitgebrachten Flasche reicht, aber nicht mehr zu Übungsschlägen. Als er auf Bahn 1 zum Abschlag ansetzt, fliegt der Ball sehr hoch. Und sehr kurz.
Die (richtigen) Profis Jim Howard und Dave Roberts sind mit Flitcroft auf der Runde. Howard sagt Jahre später zur BBC: «Als er den ersten Schlag in den Himmel setzte und der Ball nach ungefähr 20 Metern wieder auf dem Boden landete, dachten wir, das sei den Nerven geschuldet.» Ein paar Schläge später rufen Howard und Roberts die Turnierleitung, damit Flitcroft aus dem Rennen genommen wird.

Seit 1860 wird das Open gespielt. Kein Golfturnier ist älter. Und nie hat einer schlechter gespielt als Flitcroft. Doch eine reglementarische Möglichkeit, ihn während der ersten Runde zu stoppen, gibt es nicht.
«Es war kein totales Desaster», sagt Flitcroft zu seinem ersten Schlag, «der Ball hätte auch hoch in die Luft fliegen und beim Runterkommen jemanden am Kopf treffen können, doch das passierte nicht.» Nach dem Missgeschick verzichtet er auf den sogenannten Driver, mit dem sich der Ball im Idealfall besonders weit schlagen lässt, den er aber nicht wirklich im Griff hat. Er würde nun gern das Viererholz schwingen, denn damit habe er «tödlich genau» gespielt. Beim Open kann das Flitcroft nicht beweisen. Er hat diesen Schläger im Auto gelassen.
Als die Mutter von einem Reporter erfährt, dass ihr Sohn beim British Open gestartet ist, sagt sie: «Ja gut, irgendwo musste er anfangen.»
Bald spricht sich auf der Anlage herum, dass sich Verrücktes abspielt. Bald folgen zwei-, dreihundert Zuschauer Flitcroft. Sie erleben, wie er bis zum 18. Loch 121 Schläge braucht, 49 über Par – oder noch ein paar mehr, wie Howard vermutet. Einmal sei Flitcrofts Ball in die Sanddünen geflogen, und sie hätten nicht sehen können, wie viele Schläge er gebraucht habe, um wieder rauszukommen. Sie notieren für Flitcroft beim Par 5 eine 12.
Flitcrofts Spiel ist schwach. Aber seine Geschichte ist stark. Als die Mutter von einem Reporter erfährt, dass ihr Sohn beim British Open gestartet ist, sagt sie: «Ja gut, irgendwo musste er anfangen.»
Flitcroft prägt in den Tagen nach seiner Runde die Sportseiten der Zeitungen, er tritt im Fernsehen auf. Der Royal and Ancient Golf Club of St. Andrews, der nicht nur das Open organisiert, sondern unter dem Kürzel R&A weltweit die Golfregeln mitbestimmt, hat deutlich weniger Spass an der Aufregung. Er sperrt Flitcroft nach der ersten Runde nicht nur vom Open aus, sondern auch von allen Golfplätzen in Grossbritannien.

Flitcroft denkt aber nicht daran, das Golfen sein zu lassen. Er hat vor seinem ersten Open daran geglaubt, dass er ganz vorne mitspielen kann. Und er findet nach seinem ersten Open, dass die 121 Schläge seine Fähigkeiten als Golfspieler nicht gut wiedergeben. Deshalb will er es 1977 wieder versuchen.
Er erhält eine schriftliche Absage, weil er nicht beweisen kann, dass er entscheidende Fortschritte erzielt hat. Flitcroft hat nie verstanden, wieso R&A ihn jahrelang bekämpfte. Er habe nie im Sinn gehabt, die Organisation lächerlich zu machen. Er habe nur versucht, möglichst gut zu spielen.
1984 tritt er als Schweizer an
Und er hat versucht, möglichst oft zu spielen. 1978 schafft er es wieder an den Start. Es ist der erste von fünf Versuchen, mit gefälschtem Namen und verkleidet ans Open zurückzukehren. 1984 schafft er es als Gerald Hoppy, angeblich Profigolfer aus der Schweiz, 9 Löcher und 63 Schläge weit. Beim letzten Versuch 1990 wird er als Gene Paycheki vor dem Abschlag bei Bahn 3 gestoppt.
Flitcroft findet bis zum Lebensende, dass er alle Anlagen für eine gute Karriere gehabt hätte, «aber ich war nicht oft genug auf dem Golfplatz, um wirklich eine Chance zu haben».
Er wollte berühmt werden. Er wollte sein Glück finden. Er hat es ein bisschen geschafft. Flitcroft stirbt 2007 im Alter von 77 Jahren.

Fehler gefunden?Jetzt melden.