«Vogue Italia» auf ErfolgskursDer Juve-Fan an der Spitze des Modemagazins
Die «Vogue Italia» war in den letzten Monaten oft ausverkauft. Das liegt an ihrem Chefredaktor Emanuele Farneti – er ist Jurist, Fussballfan und meidet Partys, wenn immer möglich.
Es gibt 26 «Vogue»-Chefredaktoren und -redaktorinnen auf der Welt. Die bekannteste heisst Anna Wintour, neuerdings gefolgt von Edward Enninful, der als erster Schwarzer vor rund drei Jahren die britische Ausgabe übernahm. Hierzulande kennt man noch Christiane Arp, die Chefin der «Vogue Deutschland», vielleicht die französische Diva a. D. Carine Roitfeld.
Doch in letzter Zeit erregt ständig jemand ganz anderes Aufsehen: Emanuele Farneti. Klingelt nichts? Das liegt womöglich daran, dass weniger er selbst von sich reden machte, sondern das Heft, das er verantwortet – die italienische «Vogue». Im Januar war dort kein einziges Foto in der gesamten Ausgabe zu sehen. Titelblätter und Modestrecken waren ausschliesslich illustriert worden, um auf das Nachhaltigkeitsproblem der Branche aufmerksam zu machen, die für jedes Fotoshooting irren Aufwand mit zig Flügen und grossem Gepäck betreibt.
Im April erschien ein komplett weisses Cover
Auf dem Februar-Cover hielt ein Model eine Steintafel mit Bankverbindung in der Hand – das Allerheiligste im Hochglanzgeschäft war kurzerhand als Spendenaufruf für das vom Hochwasser gebeutelte Venedig zweckentfremdet worden. Beides Aktionen, die es so in der Modewelt noch nie gegeben hatte. Beide erreichten eine Aufmerksamkeit, wie sie nicht nur die «Vogue» nur noch selten erlebt.
Dann kam Corona. Und dann legten die Italiener erst richtig los. Denn während die meisten Modemagazine im März stur ihre bereits fertig produzierten Ausgaben mit den neuen Frühjahrstrends vom Hof schafften, warf Farneti fast die gesamte Planung über den Haufen. Im April erschien daraufhin die schon jetzt legendäre «Copertina bianca», ein komplett weisses Cover . Ausdruck der totalen Zurückhaltung, aber auch Hoffnung auf einen Neuanfang, wie im Editorial zu lesen war. Innen erzählten Designer Alessandro Michele (Gucci) und Pierpaolo Piccioli (Valentino) aus der Isolation, statt der üblichen Modestrecken hatte man Fotografen, Models und andere Persönlichkeiten um Momentaufnahmen aus dem Lockdown gebeten.
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Im Juni gab es dann zwar wieder so etwas wie Mode zu sehen, allerdings gezeichnet von Kinderhand. Krakelige Bilder von Zwei- bis Zehnjährigen, entstanden in der häuslichen Quarantäne. Die «Vogue»-Leserin, die bei Kleidern für 5000 Euro nicht mal mit der Wimper zuckt, war zu Tränen gerührt. Zum Vergleich: Noch auf der Mai/Juni-Ausgabe der französischen «Vogue» warben die Schwestern Bella und Gigi Hadid für ein Mode-Spezial «zum Träumen». Die amerikanische Ausgabe hatte Wonder Woman Gal Gadot auf dem Cover. Überschrift: «Es war einmal in der Mode». Besser konnte man den Anachronismus der Zunft, obgleich unfreiwillig, nicht auf den Punkt bringen.
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«Wir Italiener haben ja sowieso den Ruf, alles auf die letzte Minute zu machen. In diesem Fall hat es uns zur Abwechslung geholfen, schnell zu reagieren», sagt Emanuele Farneti diplomatisch im Rückblick auf die vergangenen Monate. Der Mann in blauem Anzug und hellblauem Chambray-Hemd sitzt in seinem Büro in der Mailänder Innenstadt, dabei müsste er – würde es mit rechten Dingen zugehen – eigentlich gerade im Stau zur Prada-Schau stecken. Schliesslich ist Ende September, Fashion-Week-Wahnsinn. Aber nichts ist wie früher, die meisten Schauen finden digital statt, eine ganze Branche sucht nach Antworten auf die grossen Zukunftsfragen.
«Wie bleiben wir relevant?»
Magazine hatten schon vorher mit sinkenden Auflagen und schwindenden Einnahmen zu kämpfen, für 2020 wird mit einem Anzeigenrückgang um 33 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gerechnet. Vor allem der Condé-Nast-Verlag, der Vogue herausgibt, ist längst nicht mehr die Gelddruckmaschine von früher. Ex-Dior-Chef-Designer und Neo-Prada-Co-Designer Raf Simons sprach kürzlich in einem Interview davon, dass sich Modemarken bereits auf eine Zeit ganz ohne Magazine einstellen. «Niemand weiss, wie die Welt von morgen aussieht», sagt Farneti achselzuckend. Die entscheidende Frage sei mehr denn je: «Wie bleiben wir relevant?»
Seinem Gefühl nach suchen die Leute seit Corona wieder nach Informationen aus verlässlichen Quellen, etwa nach echten Wissenschaftlern statt Pseudoexperten. «Das Gleiche könnte für die Mode gelten», meint der 45-Jährige. Er habe gar nichts gegen Instagrammer. «Aber auch die traditionellen Marken haben eine Zukunft – wenn sie gut und kreativ gemacht sind.» Zumindest seine Januar- und Aprilhefte waren seit langem wieder restlos ausverkauft. Aktuell liegt die Auflage bei 93’700 Exemplaren, rund 15’000 mehr als diejenige der deutschen «Vogue».
Seine Vorgängerin war schon mutiger als ihre Kolleginnen gewesen
Dabei war Farnetis Einstieg vor dreieinhalb Jahren alles andere als einfach. Seine Vorgängerin hiess Franca Sozzani, und die Fussstapfen dieser zierlichen Frau mit den langen blonden Haaren waren gigantisch. Früh hatte sie verstanden, dass eine «Vogue» in italienischer Sprache international nur mithalten konnte, wenn sie vor allem durch ihre Bildsprache kommunizieren würde.
Inhaltlich ging sie dabei um Längen mutiger und visionärer vor als viele Kollegen: Die Modestrecken ihres Hoffotografen Steven Meisel thematisierten Schönheits-OP-Wahn und Ölpest, die «Black Issue» aus dem Jahr 2008 mit ausschliesslich schwarzen Models musste fünfmal nachgedruckt werden. Nach 28 Jahren an der Spitze des Magazins verstarb sie Ende 2016 an Krebs. Selbst in der Redaktion hatten viele nichts von der Krankheit gewusst.
Die Reaktionen auf seine Ernennung waren, freundlich ausgedrückt, eher verhalten
«Ich weiss noch, wie eine Bekannte bei einem Abendessen klagte, Mailand sei ohne Franca nicht mehr dasselbe. Und das Heft könne sowieso niemand anderes machen», erzählt Farneti. Was damals keiner am Tisch ahnte: Er hatte für den Job bereits unterschrieben. Die Reaktionen auf seine Ernennung waren, freundlich ausgedrückt, eher verhalten. Nicht nur war der Neue männlich – damals noch die absolute Ausnahme in der «Vogue»-Welt –, vor allem war der zwar fantastisch aussehende, aber mitunter fast brav anmutende Mailänder in Pullover mit Hemd drunter kein klassischer «Modefuzzi».
Er arbeitete mal bei DER Sportzeitung Italiens
Bevor er bei verschiedenen Medien arbeitete – unter anderem bei der «Gazzetta dello Sport», sein Lieblingsverein ist Juventus Turin – und zuletzt die Magazine «AD» und «GQ» leitete, hatte er Jura studiert. Zu seinen Bekannten gehörten Designer wie Piccioli oder Unternehmer wie Diego Della Valle von Tod’s, aber Farneti hielt auf Events nicht Hof und lächelte nicht ständig mit irgendwelchen Leuten in die Kamera. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder. Sein Instagram-Account, wird manchmal gespottet, sei so «corporate», dass er sicher von den Redaktionspraktikanten betreut werde.
Natürlich brachte Farneti, abgesehen von seinem anderen Geschlecht, noch ein bisschen was mit: Während «Vogue»-Chefs wie Enninful oder Arp von Haus aus Stylisten sind, ist Farneti gelernter, man könnte auch sagen: gelebter Journalist. Seine Eltern lernten sich beim Wochenmagazin «Panorama» kennen, er sei quasi im Newsroom aufgewachsen, sagt Farneti.
Was er wie schon Sozzani schnell verstand: «Mode ist eine Sprache, mit der man alles Mögliche ansprechen kann.» Selbst mit einer «Vogue» lässt sich also so etwas wie aktueller Journalismus machen.
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