Jobcoach: Firmen buhlen um NachwuchsDer Image-Eiertanz auf Tiktok
Auf Social Media nach Talenten zu suchen, ist für Firmen heute fast schon Pflicht – aber oft eine Gratwanderung. Lohnt es sich trotzdem? Die Meinungen von drei Markenexpertinnen.
Der Nachwuchs fehlt. Zum Beispiel in Pflegeberufen. Was tun? Na, dahin gehen, wo sich die Jungen tummeln. Das scheinen sich zumindest viele Unternehmen und Institutionen zu sagen und präsentieren sich deswegen auf Tiktok. In lustigen, trashigen, unterhaltsamen und peinlichen Videos – wie die Teenager es eben auch tun.
Tiktok ist der Kanal für die Generation Z, die vielleicht wichtigste Zielgruppe für Firmen.
Mittlerweile dürfte Tiktok in der Schweiz 2 bis 3 Millionen User haben (weltweit: 1,7 Milliarden) und das Videoportal ist weiter auf dem Vormarsch. Vor allem ist Tiktok der Kanal für die Generation Z, die vielleicht wichtigste Zielgruppe für Firmen.
Es scheint logisch: Geworben wird, wo man möglichst viel Publikum ansprechen kann. Gemäss der Studie eines schwedischen Marktforschungsunternehmens informiert sich die Hälfte der Tiktok-Nutzerinnen und -Nutzer via App über Jobs, verschafft sich einen Eindruck vom Arbeitsalltag oder wäre zumindest dafür empfänglich.
Die eigene Welt von Tiktok
Die Vorteile für die Unternehmen sind offensichtlich: Sie können sich modern und nahbar geben, können Geschichten aus dem Alltag erzählen, Einblicke in die Arbeit bieten und die Unternehmenskultur nach aussen tragen. Das heisst: Idealerweise übernehmen das gleich die Mitarbeitenden und fungieren so als Botschafterinnen respektive Werbeträger. Wobei auch Zuschauende erreicht werden, die derzeit gar nicht auf Stellensuche sind. Imagepflege, Personalmarketing, Kontakt mit der Zielgruppe – alles möglich über Tiktok.
Ja nicht zu spiessig, aber auch nicht zu cringe.
Doch verwässert eine Firma nicht ihren Brand, wenn sie sich derart an der Zielgruppe orientiert? Immerhin wird Tiktok oft eine ganz eigene Tonalität nachgesagt, die nach kaum formulierbaren Regeln funktioniert. Tiktok spricht die Sprache der Jungen, ist fresh und nice. Kann das gut gehen, wenn Arbeitgeber ebenfalls auf fresh und nice machen? Und sich KMU in die Domäne der Teenager begeben?
Die Tipps im Web, die dabei helfen sollen, auf Tiktok anzukommen, belegen, dass das nicht ganz einfach ist: Nicht anbiedern, aber auch nicht langweilen. Ja nicht zu spiessig, aber auch nicht zu cringe. Wer zu stark provoziert, riskiert einen Shitstorm. Wer nicht authentisch sei, werde von der Community abgestraft. Wie ist das alles noch mit den Werten einer Firma vereinbar?
Was gezeigt wird, muss stimmen
«Walk the talk» sei diesbezüglich wichtig, sagt die Markenexpertin Lucia Malär, Dozentin für digitales Marketing an der Uni Bern. Also: Den Worten Taten folgen lassen. «Wenn wir uns auf Tiktok cool darstellen, dann sollten wir es in Wirklichkeit auch sein», so Malär. «Das heisst: ohne starre Hierarchien und bestenfalls mit Purpose, damit wir auch in der Realität für Junge eine attraktive Arbeitgebermarke sind.»
Man könne aber durchaus auf unterschiedlichen Kanälen unterschiedlich kommunizieren. Wichtig sei einfach, die essenziellen Merkmale der Markenidentität beizubehalten.
Das bestätigt auch Johanna Franziska Gollnhofer, assoziierte Professorin für Marketing an der Universität St. Gallen. Sich der Zielgruppe anpassen und trotzdem den eigenen Werten treu bleiben – das gehe. «Auch auf Tiktok», so Gollnhofer, «nur werden hier die Werte halt anders an die Zielgruppe vermittelt, zum Beispiel tanzend.» Tiktok spiele nach eigenen Regeln, «das tun andere Social Media-Plattformen wie Facebook und Instagram aber auch.»
Gemäss Gollnhofer müssen Marken das Spiel noch nicht perfekt beherrschen, um mitzumachen und zu profitieren: «Es geht um erste Lernschritte.» Bei den anderen Plattformen habe es sich auch gezeigt, dass es sich lohnt, eher früher als später dabei zu sein.
Die Marke als Fluidum
Tanzende Pflegefachpersonen? Passt das wirklich? «Ein Brand ist eine Art Fluidum», betont Marketingstratege Mike Schwede, der Unternehmen punkto Tiktok berät. «Das hat nichts mit Verwässern zu tun, sondern mit einer dynamischen Markenidentität.» Heisst: Die Marke passe sich dem Umfeld an, trete auf jedem Kanal anders auf, setze einen anderen Fokus, bleibe aber trotzdem authentisch. «So wie wir Menschen: Wir geben uns an einer Gala auch anders als zu Hause, ziehen uns anders an, bleiben aber immer wir selbst.»
Schwede gibt aber zu, dass es eine Gratwanderung sei. «Wenn die Polizei zum Song Jerusalema tanzt, dann schiesst sie schon etwas übers Ziel hinaus. Auch wenn ein Lehrling für eine Bank steif in die Kamera spricht und dabei den Text abliest, ist das eher zum Fremdschämen.» Aber auch diese Ausreisser brauche es, in diesem Lernprozess, in dem wir uns derzeit mit Tiktok befinden.
Die befragten Markenexpertinnen und Markenexperten sehen insgesamt mehr Chancen als Risiken.
Viel schlimmer findet Schwede, wenn Firmen auf Tiktok ihre Hochglanzspots posten: «Von einer Uhrenmarke will ich keinen teuren Werbespot sehen; passender wäre, wenn ein Uhrenmacher mir die Unruh erklärte.»
Selbst wenn es sich also seltsam anfühlt, wenn Schweizer Firmen lustige Trends auf Tiktok mitmachen und auf den ersten Blick nicht recht zur Marke passen will – die Rechnung scheint aufzugehen: Firmen wie Denner, Dosenbach, Implenia, Baloise, aber auch das Unispital Zürich stossen auf Tiktok auf viel Resonanz.
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Auch die befragten Markenexpertinnen und Markenexperten sehen insgesamt mehr Chancen als Risiken. Dem Engagement auf der chinesischen App steht insofern nichts im Weg. Und ob die Inhalte ankommen oder nicht – darüber entscheidet sowieso die Tiktok-Community.
Hier finden Sie Schwedes Ranking der erfolgreichsten Schweizer Firmen auf Tiktok.
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