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Meinung

Analyse zur Pandemie in Nahost
Der Hass ist stärker als Corona

Auseinandersetzungen trotz Pandemie: Ein 15-jähriger Palästinenser wurde Mitte März bei Zusammenstössen zwischen israelischen Soldaten und Palästinensern getötet.
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Das Coronavirus unterscheidet nicht zwischen Palästinensern und Israelis. Es macht nicht halt an Mauern und Grenzzäunen. Dass die medizinische Krise nur zusammen gelöst werden kann, das schien zu Beginn der Pandemie beiden Seiten klar.

Israel bildete palästinensische Ärzte in der Pflege von Covid-Kranken aus und schickte medizinische Güter in die besetzten Gebiete und den Gazastreifen. Die UNO – die gegenüber Israel sonst schnell den Mahnfinger erhebt – lobte die Zusammenarbeit als «beispiellos» und als möglichen «Schritt hin zu Frieden».

Während die Zahl der Neuinfizierten sinkt, wird der Ton wieder schärfer.

Seit Mitte März befinden sich sowohl Israel wie auch die Palästinensergebiete im Lockdown. Doch während die Zahl der Neuinfizierten sinkt, wird der Ton wieder schärfer. Die Hamas hat kürzlich in Gaza palästinensische Aktivisten verhaftet, weil sie sich mit Israelis über die Folgen der Corona-Pandemie ausgetauscht hatten. Und die Autonomiebehörde wirft israelischen Soldaten vor, sie würden im Westjordanland absichtlich Erreger verbreiten.

Dabei wurden die rund 5 Millionen Palästinenser vom Coronavirus bislang weitgehend verschont. Die Weltgesundheitsorganisation WHO verzeichnet rund 342 Fälle und 2 Tote. Demgegenüber starben in Israel über 200 Menschen, bei 15’500 Fällen.

Lockdown in Gaza: Polizisten sorgen für die Einhaltung der Massnahmen zur Eindämmung des Virus.

Während Israel über moderne Spitäler und gut ausgebildetes medizinisches Personal verfügt, würde ein richtiger Ausbruch in den Palästinensergebieten das marode Gesundheitssystem schnell überfordern. Im dicht besiedelten Gazastreifen stehen für 2 Millionen Palästinenser nicht einmal 90 Beatmungsgeräte zur Verfügung. Es fehlt an Schutzkleidung, Masken, Desinfektionsmitteln.

Dazu kommen die desaströsen Auswirkungen des Lockdown auf die Wirtschaft. Schon vorher waren im Westjordanland und in Gaza bis zu vier von zehn Menschen arbeitslos. Jetzt sind die Läden grösstenteils geschlossen, die Restaurants leer. Die Mehrheit der in Israel arbeitenden Palästinenser verliert wegen der geschlossenen Grenzen ihr Einkommen. In die Palästinensergebiete fliessen sonst durch die Grenzgänger rund 330 Million Dollar pro Monat – knapp ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung.

Die besetzten Palästinensergebiete befinden sich schon lange im Dauer-Lockdown.

Die Schliessung des öffentlichen Lebens stellt für viele in Europa einen massiver und ungewohnten Eingriff in die Grundrechte dar. Demgegenüber befinden sich die besetzten Palästinensergebiete im Dauer-Lockdown. «Wir lebten schon vorher in einem Freiluft-Gefängnis», sagt eine Bekannte aus Bethlehem. Es gibt Hunderte von Checkpoints, mobile Kontrollen, Mauern und Zäune, die das Reisen und Arbeiten erschweren. Das Westjordanland verlassen dürfen die wenigsten Bewohner – viele haben noch nie das nur wenige Kilometer entfernte Mittelmeer gesehen.

Meterhoher Beton: Die sogenannte Sicherheitsmauer trennt in Bethlehem das Palästinensergebiet von israelischem Siedlungsgebiet.

Und die Aussichten sind düster. Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu hat es trotz einem Korruptionsprozess und gescheiterten Wahlen geschafft, eine Regierung zu bilden. Zwar muss das höchste Gericht noch entscheiden, ob Netanyahu Premier bleiben darf. Laut Rechtsexperten ist ein Urteil gegen ihn aber unwahrscheinlich. Das nächste Traktandum für das neue Kabinett wäre dann: die Annexion der Westbank und des Jordantals. Das scheint radikale Siedler zu ermuntern. Attacken und Brandanschläge auf Palästinenser nahmen in jüngster Zeit zu.

Die Autonomiebehörde hat gedroht, bei einer Annexion des Westjordanlandes alle bilateralen Abkommen mit Israel aufzukünden. In diesem Fall wäre die relative Ruhe seit dem letzten Krieg in Gaza 2014 wohl endgültig vorbei.

Die Hoffnung, dass sich die pragmatische Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinensern zu Beginn der Corona-Pandemie zu einer friedlichen Annäherung auswachsen könnte – sie hat sich verflüchtigt.