Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Debatte um deutsche «Klima-Kleber»
«Der Flug in die Türkei wird der letzte unseres Lebens»

Wer sich öffentlich fürs Klima einsetzt, soll auch privat besonders vorbildlich handeln, finden viele: Polizisten tragen in Stuttgart Umweltaktivisten weg. 

Die Häme war riesig, als bekannt wurde, dass zwei deutsche Klimaaktivisten einen Gerichtstermin verpasst hatten, weil sie sich gerade in Südostasien aufhalten – sie waren per Langstreckenflug verreist. Doppelmoral! Heuchelei!, ereiferten sich die Kommentatoren auf den Newsportalen und in den sozialen Medien.

Die beiden jungen «Klima-Kleber», die mit der Protestgruppe «Letzte Generation» in Deutschland Strassen blockiert hatten, versuchten zu erklären und zu relativieren. Sie seien in Thailand und nicht auf Bali, wie die Zeitungen erst fälschlicherweise geschrieben hatten; und sie seien auch nicht mal eben schnell dorthin «gejettet», wie die Schlagzeilen ebenfalls suggeriert hatten, sondern befänden sich bereits seit vier Monaten dort.

Das Nichterscheinen im Prozess wegen einer Strassenblockade sei zudem mit dem Gericht abgesprochen gewesen – von «Schwänzen» könne also nicht die Rede sein, führten Luisa S. (22) und ihr Freund Yannick S. (24) im Beitrag in der Berliner Zeitung «taz» weiter aus. 

Möglich, dass nun mit den beiden Umweltaktivisten besonders hart ins Gericht gegangen wird. 

Ihre Entscheidung, ausgerechnet in die ferne Destination Thailand zu verreisen, sei «natürlich diskussionswürdig», räumen sie ein. Doch damit sei ein langjähriger Traum von Luisa S. in Erfüllung gegangen. Auf dem Landweg nach Südostasien zu reisen, sei unmöglich, dafür herrschten «gerade zu viele grausame Konflikte in dieser Welt», etwa der russische Angriffskrieg, der syrische Bürgerkrieg oder die Machtergreifung der Taliban. Auch der Weg über die Meere sei nicht praktikabel.

Bei der Rückreise würden sie nun aber ihre Route anpassen und nur bis in die Türkei fliegen und von dort auf dem Landweg nach Deutschland zurückkehren. «Der Flug in die Türkei wird der letzte unseres Lebens.» 

Welle der Empörung ebbt nicht ab

Doch die Stellungnahme vermochte die Netz-Community nicht zu besänftigen, im Gegenteil. Von «Möchtegern-Weltrettern» war die Rede. Ein Leser forderte stellvertretend für viele andere: «Umweltschützer, die ernst genommen werden wollen, fliegen nicht in die Ferien.»

Die deutsche Protestgruppe «Letzte Generation» hat mit ihren provokativen Aktionen – sie klebten sich auf Strassen fest und bewarfen ein Kunstgemälde mit Kartoffelbrei – viele Menschen verärgert. Möglich also, dass nun mit den beiden Umweltaktivisten besonders hart ins Gericht gegangen wird. Trotzdem ist die Frage gerechtfertigt, inwiefern der öffentliche Einsatz fürs Klima zu einem konsequent ökologischen (Privat-)leben verpflichtet. Anders gefragt: Welche als Umweltsünden taxierten Verhaltensweisen – Flugreisen, Fleischkonsum, Autobesitz et cetera – liegen für Aktivisten im Privaten drin, ohne dass die Glaubwürdigkeit der gesamten Bewegung leidet? 

Cécile Bessire, Mediensprecherin von «Renovate Switzerland», verzichtet auf Flugreisen: «Als mir klar wurde, wie ernst die Klimakrise ist, wurde mir dies zu einer Selbstverständlichkeit.»

Cécile Bessire ist die Sprecherin der Schweizer Umweltbewegung «Renovate Switzerland», einer Art Schwestergruppe der deutschen Formation «Letzte Generation». Auch Bessire hat sich im vergangenen Herbst gemeinsam mit anderen auf Schweizer Strassen geklebt. Die Kritik an ihren beiden deutschen Mitstreitern hält sie für unangemessen.

«Mit welchem Recht verlangt man von Bürgerinnen und Bürgern, sich für ihr Privatleben und das ihrer Angehörigen zu rechtfertigen, nur weil sie für das Recht auf eine Zukunft kämpfen?», schreibt sie auf Anfrage. Sie sei «entsetzt», dass man sich über solche Themen aufrege. «Währenddessen setzen die wahren Schuldigen der Klimakrise – etwa Regierungen, die ihre Klimaziele nicht einhalten, oder Öl- und Gasfirmen – weiterhin ungestraft CO₂ frei.» 

Ruf nach politischem Handeln

Bessire appelliert an die Verantwortung der Politik: «Wann werden Regierungen aufgefordert, sich für ihre klimatische Untätigkeit zu rechtfertigen?» Damit verweist sie auf das gleiche Argument wie zuvor die «Letzte Generation» und die beiden jungen Aktivisten: Nicht das (klimapolitisch engagierte) Individuum solle zur Rechenschaft gezogen werden, vielmehr müsse die Politik die Rahmenbedingungen für die grossen Veränderungen setzen. Man dürfe deshalb auch keine höheren Ansprüche an Klimaaktivisten haben, was einen konsequenten nachhaltigen Lebensstil betreffe, findet Bessire. 

Salopp formuliert: Solange in Ländern wie China jedes Jahr Milliarden von Tonnen Kohlendioxid in die Luft gepustet werden und Flugreisen billig sind, ist man als Individuum einigermassen fein raus. 

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Entlässt man da den einzelnen Bürger, die einzelne Bürgerin nicht vorschnell aus der Verantwortung? Zumal die Negativschlagzeilen über die deutschen Klimaschützer auch auf die Schweizer Bewegung abfärben und Sympathien kosten dürften. Doch die Sprecherin von «Renovate Switzerland» will von öffentlicher Kritik nichts wissen: «Die Sympathisanten von ‹Renovate Switzerland› distanzieren sich von Schuldzuweisungen und Verurteilungen.» Man müsse zusammenstehen, «um die Klimanotlage zu bewältigen und von der Regierung zu verlangen, dass sie uns schützt». 

Für sich persönlich hat die Bielerin, die ihren Job als Logopädin gekündigt hat und seither Vollzeit und unbezahlt für das Klima arbeitet, eine Antwort auf die Frage gefunden, ob Langstreckenflüge für eine Klimaschützerin drinliegen: nein. Sie sei «schon lange» nicht mehr geflogen: «Als mir klar wurde, wie ernst die Klimakrise ist, wurde mir dies zu einer Selbstverständlichkeit.»