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Schlägereien und Raketenbeschuss
Der Entwarnung an der Corona-Front folgt in Israel die Gewalt

Die schlimmsten Zusammenstösse seit langem: Arabische Jugendliche werfen in Jerusalem Steine und Feuerwerkskörper.  
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Rund um den Gazastreifen heulen wieder die Sirenen, Raketenbeschuss treibt die Bewohner in die Bunker. Durch Jerusalem wabert der Gestank von fauligem Wasser, mit dem die Polizei die Demonstranten auseinandertreibt. Jeden Abend kommt es rund um das Damaskustor zu Strassenschlachten. Nach einem Jahr der relativen Ruhe, die das Coronavirus auch über diesen Konflikt gestülpt hatte, ist die Gewalt zurück in der Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern. Und es gibt reichlich Potenzial zur Eskalation.

Einen einzelnen Auslöser für das Auflodern der Flammen gibt es nicht. Gefährlich ist der Gewaltausbruch vielmehr in der Summe einzelner Vorkommnisse. So sieht sich die arabische Bevölkerung von Ostjerusalem provoziert durch die Entscheidung der israelischen Polizei, ausgerechnet im heiligen Monat Ramadan den Platz vor dem Damaskustor in der Altstadt zu sperren. Schliesslich gehört es zur Tradition, sich nach dem Iftar, dem Mahl zum Fastenbrechen, dort auf den Stufen zu treffen. Auf die Absperrgitter und Polizeikohorten reagieren arabische Jugendliche nun mit Steinen und Feuerwerkskörpern.

Wut wegen «Tiktok-Terrorismus»

Dazu kommt noch ein neues Phänomen, das sogleich mit dem kraftvollen Ausdruck «Tiktok-Terrorismus» belegt wurde. In diesem sozialen Netzwerk waren in jüngster Zeit Videos zu sehen, in denen junge Araber sich stolz dabei zeigten, wie sie in Jerusalem ultraorthodoxe Juden verprügelten. Für radikale israelische Gruppen wie Lehava war das ein Anlass für Rachefeldzüge.

Vorläufiger Kulminationspunkt war letzte Woche ein Marsch in Richtung Damaskustor, zu dem Lehava die gewaltbereiten Anhänger aufgerufen hatte. Das Motto: «Die Wiederherstellung der jüdischen Würde». In Sprechchören wurde «Tod den Arabern» gerufen. Weil auf arabischer Seite zeitgleich zur Verteidigung gegen die «Siedler-Schläger» aufgerufen wurde, folgte eine Nacht der Gewalt, wie sie Jerusalem seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Der Rote Halbmond meldete mehr als hundert Verletzte auf palästinensischer Seite. Die Polizei, die sich dem Vorwurf stellen muss, mit weit grösserer Härte gegen arabische als gegen jüdische Demonstranten vorzugehen, nahm auf beiden Seiten Dutzende fest.

Der Polizei wird vorgeworfen, mit mehr Härte gegen arabische als gegen jüdische Demonstranten vorzugehen: Festnahmen in Jerusalem. 

Das dröhnendste Echo auf die Jerusalemer Gewalt kam aus dem Gazastreifen. 36 Raketen in Richtung der umliegenden israelischen Gemeinden wurden allein in der Nacht zum Samstag gezählt, ein paar weitere folgten im Verlauf des Wochenendes. Zum Beschuss bekannten sich palästinensische Gruppen, die zum bewaffneten Arm der Fatah und zur Volksfront zur Befreiung Palästinas gehören. Rückendeckung bekamen sie sogleich von einem Sprecher der in Gaza herrschenden Hamas, der betonte, dass das gesamte Volk die Palästinenser in Jerusalem unterstütze.

Israels Armee reagierte mit dem Beschuss von Hamas-Einrichtungen. Ungewöhnlicherweise kam noch am Schabbat die Spitze des Sicherheitsapparats zusammen. Verteidigungsminister Benny Gantz warnte, bei weiterem Raketenbeschuss werde «Gaza hart getroffen, wirtschaftlich und militärisch». Premierminister Benjamin Netanyahu wies die Sicherheitskräfte an, sich «auf alle Szenarien vorzubereiten».

Netanyahu, der bei der Regierungsbildung zu scheitern droht, könnte sich als Mann inszenieren, der Israels Sicherheit wiederherstellt.

Der Gewaltausbruch fällt in eine hochsensible Zeit, in der Kräfte auf beiden Seiten versucht sein könnten, Vorteile aus einer Eskalation zu ziehen. So könnte sich Netanyahu, der in Israel gerade bei der Regierungsbildung zu scheitern droht, wieder einmal als der Mann inszenieren, der mit harter Hand Israels Sicherheit wiederherstellt.

Auf der anderen Seite befinden sich die palästinensischen Rivalen Fatah und Hamas im Wahlkampf zur geplanten palästinensischen Parlamentswahl am 22. Mai – und müssen sich folglich beide als Verteidiger Jerusalems zeigen. Am Ende könnte die Gewalt dem bedrängten Präsidenten Mahmud Abbas sogar noch einen weiteren Grund für eine Verschiebung der Wahlen liefern.