Wahlen in ChileDer chilenische Bolsonaro liegt vorn
Chiles Wähler sind gespalten wie nie. Der ultrarechte Präsidentschaftskandidat holt nur knapp mehr Stimmen als der ultralinke. Nun steht eine Stichwahl an.
Chiles Rennen um die Präsidentschaft hat sich endgültig in eine historische Richtungswahl zwischen links und rechts verwandelt.
Bei den Wahlen am Sonntag liegt nach Auszählung eines Grossteils der Stimmen der deutschstämmige Anwalt José Antonio Kast vorn. Der ultrakonservative Kandidat und Sohn eines in den Fünfzigerjahren nach Chile ausgewanderten Wehrmachtsoffiziers konnte rund 28 Prozent der Stimmen für sich entscheiden. Ihm folgt an zweiter Stelle mit knapp 26 Prozent Gabriel Boric nach, ein linksgerichteter ehemaliger Studentenführer, tätowiert und gerade einmal 35 Jahre alt.
Nachdem keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang die notwendige absolute Mehrheit erreicht hat, müssen die beiden Erstplatzierten nun in einer zweiten Runde gegeneinander antreten. Diese ist für den 19. Dezember anberaumt.
Die Angst ist gross, dass die Wahl die Gräben vertieft
Viele Chileninnen und Chilenen hatten mit einer Stichwahl zwischen Kast und Boric gerechnet, dieses Ergebnis aber gleichzeitig auch befürchtet, repräsentiert es doch die tiefe Spaltung der Gesellschaft in dem südamerikanischen Land – die Angst ist nun gross, dass die Wahl diese Gräben nur noch weiter vertiefen könnte.
Gabriel Boric, der Kandidat des linken Lagers, steht dabei für die Hunderttausenden vor allem jungen Chilenen, die gegen eine in ihren Augen verkrustete und ungleiche Gesellschaft kämpfen. Chile ist das wohlhabendste Land Südamerikas, über die vergangenen Jahrzehnte hinweg wuchs die Wirtschaft rasant, und die Armut sank. Von einem «chilenischen Wunder» war die Rede. Immer weniger Menschen aber hatten zuletzt noch das Gefühl, an diesem Wunder auch teilhaben zu können.
Die Schere zwischen Arm und Reich war in Chile schon vor Covid-19 riesig. In der Pandemie konnten die Reichsten der Reichen ihre ohnehin schon üppigen Vermögen aber noch weiter vergrössern, während gleichzeitig Tausende Familien in die Armut abstürzten.
Seit Jahrzehnten gibt es immer wieder heftige Demonstrationen gegen das neoliberale Wirtschaftsmodell, welches die chilenische Militärdiktatur vor ihrem Abgang Ende der Achtzigerjahre noch in der Verfassung festschrieb. Die Proteste prägten eine ganze Generation von Chilenen und brachten auch Gabriel Boric hervor, der nun, zwei Jahre nach dem Ausbruch der letzten grossen Massenproteste, die Präsidentschaft in seiner Heimat gewinnen will.
Der Mann, der aus dem Nichts kam
Lange sah es so aus, als ob Borics Chancen nicht schlecht stünden – doch dann tauchte fast aus dem Nichts heraus der ultrakonservative und streng katholische Kandidat der Rechten auf, José Antonio Kast. In den Umfragen überholte er einen Mitbewerber nach dem anderem, und nun liegt er auch nach der Wahl an erster Stelle.
Es ist bereits das zweite Mal, dass Kast sich um das Präsidentenamt bewirbt. Beim letzten Mal, 2017, bekam er allerdings gerade einmal acht Prozent der Stimmen, ein weit abgeschlagener vierter Platz.
Ein Freund der Militärdiktatur
Dass er nun ganz vorn steht, zeigt auf der einen Seite, wie konservativ Teile der chilenischen Gesellschaft heute trotz allen vermeintlichen Wandels immer noch sind: Kast hat selbst neun Kinder und lehnt Schwangerschaftsabbrüche strikt ab. Er ist gegen allzu viel politische Korrektheit und hat die Militärdiktatur von Augusto Pinochet öffentlich verteidigt: «Wäre Pinochet noch am Leben, würde er mich wählen», erklärte er 2017 in einem Radiointerview. Er ist für eine Fortführung des neoliberalen Wirtschaftsmodells und macht dazu auch noch Stimmung gegen Immigranten. So schlug er den Bau eines Grabens an der Nordgrenze des Landes vor, um Flüchtlingen etwa aus Venezuela oder Haiti den Weg ins Land zu versperren.
Kast hat vor allem auch im Netz Werbung für sich gemacht, mit riesigen Social-Media-Kampagnen, bei denen sein Programm in griffige Parolen wie «Trau dich» oder «Alles wird gut» verpackt wurde. Dazu gab sich Kast selbst als nahbarer und sympathisch-witziger Kandidat – ein Rezept, das auch schon bei anderen rechtskonservativen Politikern in Lateinamerika funktioniert hat, angefangen bei Jair Bolsonaro in Brasilien bis hin zu Nayib Bukele in El Salvador.
Die Elite hat versagt
Dennoch muss man Kasts Erfolg bei den Wahlen auch als ein Versagen der klassischen politischen Kräfte im Land sehen: Der Kandidat der gemässigten Konservativen, Sebastián Sichel, und die Mitte-links-Kandidatin Yasna Provoste bekamen zusammen kaum mehr als ein Viertel der Stimmen. Eine bittere Niederlage für die Parteien, die sich zuvor über Jahrzehnte hinweg im Wechsel die Macht geteilt hatten.
Ihre Wähler werden es nun sein, auf die es ankommt: Sowohl Kast als auch Boric werden in den kommenden vier Wochen um die Stimmen derer kämpfen, die sich bisher noch für keinen der beiden entschieden haben.
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