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Krieg in Äthiopien
Der böse Mann von Eritrea

Ziehen gegen einen gemeinsamen Feind ins Feld: Eritreas Präsident Isaias Afewerki (l.) und der äthiopische Premier Abiy Ahmed.
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Und noch einer macht mobil – nicht in Moskau, sondern im afrikanischen Asmara. Isaias Afewerki, Herrscher über Eritrea und einer der sonderlichsten Diktatoren des Kontinents, hat seine Streitkräfte mit neuen Rekruten verstärkt. Nun schickt er sie an die Front in Tigray im Norden Äthiopiens. Damit befeuert er einen Konflikt, der auf allen Seiten mit grösster Brutalität und ohne Rücksicht auf Zivilisten geführt wird.

Eritreische Truppen mischten schon in einer frühen Phase des Äthiopienkriegs mit, bevor sie sich angeblich wieder zurückzogen. Ein Waffenstillstand hielt nur fünf Monate, seit Anfang September wird um den grössten Vielvölkerstaat Nordostafrikas wieder gekämpft. Und nun greift auch noch Eritrea mit Truppen ein, wie der US-Gesandte für das Horn von Afrika, Mike Hammer, bestätigte: «Wir haben eritreische Truppenbewegungen über die Grenze getrackt. Sie sind extrem beunruhigend, und wir verurteilen sie.»

«Tigray soll eingekesselt werden»

Für die Aufständischen in Tigray dürften die eritreische Mobilmachung eine besonders schlechte Nachricht sein. Eritreas Staatschef Afewerki und der äthiopische Premier Abiy Ahmed ziehen gegen einen gemeinsamen Feind ins Feld. «Das Ziel dieser militärischen Aktivitäten ist klar», sagt der Analyst Martin Plaut, der viele Jahre für die BBC aus der Region berichtete. «Tigray soll eingekesselt und von allen Nachschubwegen abgeschnitten werden».

Die separatistischen Rebellen, die unter dem Banner der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) kämpfen, haben sich in einen vertrackten Konflikt mit dem äthiopischen Premier verstrickt. Angeführt werden sie von einer politisch wie militärisch erfahrenen Clique, die fast drei Jahrzehnte lang die Zentralregierung Äthiopiens kontrollierte, dann aber ausmanövriert wurde. Der Aufsteiger Abiy wollte Äthiopien einen und erneuern, doch die Spannungen mit Tigray eskalierten, nun versucht er, die Aufständischen mit Gewalt niederzuringen. Und dafür braucht er: Eritrea.

Eritreas Herrscher schottet sich ab, schmäht Entwicklungshilfe nach westlichem Muster, nährt Verschwörungsmythen, in denen Journalisten nur Handlanger der CIA seien.

Dessen Staatschef Afewerki beherrscht sein Land eisern, duldet keinen Widerspruch. Freie Medien gibt es in seinem kleinen Land mit sechs Millionen Einwohnern nicht. Journalisten bekommen kaum Zugang, was dazu führt, dass man nur bruchstückhafte Informationen sammeln kann, aus zweiter Hand. Afrikaspezialist Plaut hat Afewerki zwar mehrfach getroffen, sagt über solche Momente aber auch: «Das ist, als spreche man mit einer Ziegelmauer.»

Über kaum einen Staatsmann Afrikas weiss man so wenig wie über Afewerki, was Teil seines Plans sein dürfte. Er schottet sich ab, schmäht Entwicklungshilfe nach westlichem Muster, nährt Verschwörungsmythen, in denen Journalisten nur Handlanger der CIA seien. Er propagiert das Prinzip der Self-Reliance, sieht die Rettung in der Autarkie. Aber viele Eritreer sind vor der Unterdrückung und der Perspektivlosigkeit geflohen. Als Afwerki einmal vom Sender al-Jazeera zu möglichen Wahlen befragt wurde, sagte er, dass es die frühestens in dreissig oder vierzig Jahren geben könne in seinem Land, vorher nicht.

Was aber hat der Mann jetzt davon, Truppen nach Äthiopien zu schicken? Viele Eritreer dürften kriegsmüde sein, schliesslich hat Asmara früher schon einen sehr langen Krieg gegen Äthiopien um seine Grenze geführt, der Konflikt forderte 100’000 Tote. Doch Afewerki schreckt das nicht vor neuen Waffengängen ab. «Er hat kein Interesse an Stabilität am Horn von Afrika», sagt der Analyst Plaut. Solange Konflikte um ihn herum köcheln, kann er sich als Mann wichtig machen, der zur Lösung noch gebraucht werde.

Ähnliche Gründe dürften ihn getrieben haben, als er die somalischen Al-Shabaab-Milizen unterstützte. Afewerki hat nichts übrig für Ideen der Islamisten, ideologisch gehört er zu den Verfechtern des Marxismus-Leninismus. Dennoch suchte er den Draht zu religiösen Hardlinern und Terroristen. Sie erschweren eine Befriedung Somalias, und das spielt Afewerki, dem Dauerzündler, in die Hände.

Massaker an Zivilisten

Mit der Machtclique in Tigray hat Afewerki wiederum alte Rechnungen offen. Er will keinesfalls, dass diese Kräfte im Nachbarland noch mal die Oberhand gewinnen, weshalb die eritreischen Truppen nun auf ihr wichtigstes taktisches Ziel hinarbeiten: Tigray soll abgeschnitten bleiben von der Grenze zum Sudan, weil die Rebellen nur über diese Route nennenswerten Nachschub organisieren könnten. Sudan bietet Zugang zum Roten Meer. Bislang sind die Tigray-Rebellen auf kleinere Schmuggelrouten angewiesen – und das eine oder andere kleine Flugzeug, das es vielleicht mal schafft, feindliche Linien zu überfliegen.

Auch für die Bevölkerung Tigrays ist der erneute Einmarsch eritreischer Truppen bedrohlich, ihnen wurden schon früher Massaker an Zivilisten vorgeworfen. Doch auch die Tigray-Rebellen und äthiopische Regierungstruppen sollen schwere Verbrechen begangen haben – Vorwürfe, die auch ein neuer UNO-Bericht untermauert. Hinrichtungen, Vergewaltigungen, das gezielte Aushungern der Zivilbevölkerung werden demnach seit Beginn des Konflikts 2020 als Kriegswaffen eingesetzt. Die Aufständischen in Tigray zeigen sich angesichts des wachsenden Drucks derzeit geneigt zu verhandeln. Aber Addis Abeba sperrt sich. Es setzt auf die Allianz mit Afewerki, um militärisch zu siegen.