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Der beherrschte Jogi Löw und die eine ganz grosse Frage

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Zumindest wird niemand auf der Welt dem deutschen Bundestrainer nachsagen, dass er ein schlechter Verlierer wäre. Jogi Löw, 58, verlor keine Zeit mit Haareraufen oder anderen dramatischen Gesten, mit dem Trösten der Spieler, die ohnehin nicht zu trösten waren, oder mit Erster Hilfe für seinen Assistenten Thomas Schneider, der sich in den Schatten der Bank verdrückt hatte, als wollte er im Getümmel unerkannt entkommen. Stattdessen steuerte Löw zügig links weg, um dem Kollegen Shin Tae-yong die Hand zu schütteln und zum Sieg zu gratulieren. Dieser erwiderte die Freundlichkeit, indem er beinahe zärtlich den Arm um Löws Hüfte legte, als sei man schon seit Jahren miteinander vertraut, was man aber nicht ist.

Doch Shin ist ein grosser Verehrer des deutschen Fussballlehrers, tags zuvor hatte er ihn als «besten Trainer der Welt» bezeichnet. Nun war Löw zwar immerhin noch ein Verlierer auf höchstem Niveau, doch wie es um seine Stellung als Trainer bestellt ist, das weiss man nicht, das weiss er womöglich selbst noch nicht.

Löw tritt zurück, hiess es unten in den Gängen der Kasan-Arena, aber das war eine dieser Falschmeldungen, die sich im Fall von Notständen selbst produzieren; das gab es auch schon, bevor das digitale Zeitalter über die Menschheit hereinbrach. Die erste handfeste Information zur kardinalen Frage überbrachte Löw selbst: Im ZDF verkündete er, dass er etwas Zeit brauchen werde, um sich mit seiner Zukunft als Bundestrainer zu beschäftigen.

Video: Elend nach dem Schlusspfiff

Als er ein paar Minuten darauf im Pressekonferenzraum des Stadions erneut mit der Frage konfrontiert wurde, hatte die Zeit zur Besinnung logischerweise noch nicht gereicht: «Ich bin geschockt, dass wir verloren haben», antwortete Löw, obwohl er sehr gefasst wirkte, «wies weitergeht, darüber muss man in Ruhe sprechen.»

Dass Löw «wirklich riesengrosse Enttäuschung» fühlte, dass er angeblich sogar «masslos» enttäuscht war, das musste er den Leuten schon mitteilen, sonst hätten sies womöglich nicht geglaubt. Löws Beherrschtheit war zwar auch Ausdruck seiner Professionalität und seines nicht eben überschäumenden Temperaments, sie verriet aber auch einiges über diese seltsam emotionslose und beinahe taube Mentalität der Deutschen bei diesem WM-Turnier. Energie und Hingabe, zwei der elementaren Komponenten bei dieser Weltmeisterschaft, haben den Deutschen in Russland von Anfang an gefehlt.

Hat er die Signale nicht gesehen? Jogi Löw nach dem Aus an der WM in Russland.

Dieses Turnier war irgendwie schon misslungen, bevor es angefangen hatte. Auf dem Weg nach Moskau passierte die erste irreparable Panne, als das Gros der von den 2014er-Weltmeistern dominierten Mannschaft meinte, die schlechten Testspiele in Österreich (1:2) und in Leverkusen gegen Saudiarabien (2:1) seien unerhebliche Randerscheinungen gewesen. Man habe geglaubt, «auf Knopfdruck hochfahren» zu können, sobald es ernst werde, sagte auch Jogi Löw. Das war der grosse Irrtum, und natürlich war es auch der Irrtum des Trainers, dass er diese Signale nicht gesehen oder nicht richtig gedeutet hatte.

Video: Der Anfang vom Ende

Am Mittwochabend sprach Löw von einer gewissen «Selbstherrlichkeit», die seine vertraute Elf bei der ersten Partie gegen Mexiko auf den Platz getragen habe – ein vernichtendes Wort. Als Sami Khedira, seit 2010 ständiger Nationalspieler und noch im Trainingslager in Eppan für «unentbehrlich» erklärt, mit der Selbstherrlichkeitskritik konfrontiert wurde, reagierte er irritiert und ärgerlich: «Es hat doch jeder gesehen, dass es viel, viel zu wenig war.»

Diesem Resümee schlossen sich auch andere Wortführer an. Thomas Müller sagte: «Selbst wenn wir weitergekommen wären, hätte doch jeder gern gegen uns gespielt.» Müller war in Russland durch besonders schlechte Auftritte aufgefallen, sein dritter Einsatz war deshalb nur noch ein Teilzeiteinsatz.

Und auch der war nicht viel besser. Aber Müller war nur einer von vielen, die diese WM so schnell wie möglich zu vergessen suchen werden. «Jeder Einzelne hat es nicht geschafft, seine Topleistung abzurufen», sagte Khedira. Nur Manuel Neuer sei auszunehmen, der Torwart, der zum Schluss noch so rührend darum kämpfte, die Wende zu schaffen: «Ich wollte noch eine Flanke reinbringen», erläuterte er seinen verlorenen Zweikampf vor dem 0:2.

Dieser Abend brachte am Ende eine ganz triviale Wahrheit ans Licht: dass es nicht reichte für die Deutschen, weil sie nicht gut genug waren. «Wir hatten es bei diesem Turnier nicht verdient, erneut Weltmeister zu werden, wir hatten es nicht verdient, ins Achtelfinale zu kommen», stellte Löw fest. So nüchtern und rational sagte er es, als sei ihm das schon lange klar. «Wir sind nicht am Willen und Wollen gescheitert», bemühte er sich um das Minimum an möglicher Ehrenrettung für die 14 Spieler, die in Kasan auf dem Platz gestanden hatten. Das grosse Ganze habe nie gestimmt, gestand Löw. An Leichtigkeit habe es gefehlt, an Dynamik, an spielerischer Klasse im letzten Drittel, die zu Toren führt: «Daher sind wir verdient ausgeschieden.»

Löw muss wissen, ob er mit dieser Belastung Trainer bleiben will

Der DFB würde Löw gern im Amt halten, Präsident Reinhard Grindel hatte das bereits vor dem Spiel gegen Südkorea vorbeugend verkündet, aber er konnte nicht ahnen, dass es so ein schlimmes Ende nehmen würde. Nun ist es egal, ob Löw gerade erst einen neuen Vertrag unterzeichnet hat, der bis 2022 gilt; es ist auch einerlei, was Grindel möchte oder nicht. Löw muss selbst entscheiden, ob er Bundestrainer bleiben mag mit dem Makel, erstmals in der DFB-Geschichte die Vorrunde einer WM nicht überstanden zu haben. «Ich gehe davon aus, dass Jogi im September die Sachen richtig angehen wird», sagte Oliver Bierhoff, als ob er mehr wüsste als der Rest der Welt.

Im September spielt die Nationalelf in München gegen Frankreich. Weltmeister ist sie dann nicht mehr, und dass Jogi Löw dann noch ihr Trainer ist, das wird auch Bierhoff kaum für möglich halten.