EU-Arzneimittelagentur prüft NebenwirkungenDer Ausfall von AstraZeneca trifft die EU zu einem kritischen Zeitpunkt
Der Impfstoff des britisch-schwedischen Pharmakonzerns AstraZeneca kommt nicht aus den Schlagzeilen. Die Europäische Arzneimittelagentur geht Berichten über schwere Nebenwirkungen nach, hält aber den Nutzen derzeit für grösser als die Risiken.
Der Impfstoff von AstraZeneca ist vom Pech und von negativen Schlagzeilen verfolgt. Ausser in Polen, Belgien und Portugal wird das Präparat des britisch-schwedischen Pharmakonzerns derzeit in allen EU-Staaten nicht oder nur eingeschränkt verimpft. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) in Amsterdam geht den Berichten über Blutgerinnsel im Zusammenhang mit dem Impfprozess nach und will diesen Donnerstag über das weitere Vorgehen entscheiden.
«Wir sind immer noch entschieden überzeugt, dass die Vorteile die Risiken von Nebenwirkungen überwiegen», sagte EMA-Direktorin Emer Cooke am Dienstag. Derzeit gebe es keine Hinweise, dass die Erkrankungen im Zusammenhang mit der Impfung stünden. Wenn Millionen Menschen geimpft würden, sei es unausweichlich, dass man seltene oder ernsthafte Vorkommnisse von Erkrankungen habe. Die Arzneimittelagentur prüfe nun, ob dies tatsächlich eine Nebenwirkung sei oder Zufall.
Belgien macht weiter
Haben Deutschland und andere EU-Staaten überstürzt reagiert? Die irische Pharmazeutin Emer Cooke wollte sich dazu nicht äussern. Die einzelnen Mitgliedsstaaten hätten das Recht, die Impfkampagne mit AstraZeneca national zu suspendieren. Die Verantwortung von EMA sei es nun, auf Wissenschaftsbasis die Risiken zu analysieren. Man konnte dies auch als indirekte Kritik an Deutschland und Co. verstehen. Gut möglich, dass deutlich mehr Menschen an Covid sterben werden, weil sie jetzt nicht geimpft werden können. Eine Warnung, die zum Beispiel der Gesundheitsminister Belgiens aussprach, das AstraZeneca vorerst weiter nutzt.
Ja, Ursula von der Leyen würde sich nach wie vor mit dem Präparat von AstraZeneca impfen lassen, sagte der Sprecher der Kommissionspräsidentin am Dienstag. Die Arzneimittelagentur hatte dem Impfstoff von AstraZeneca Ende Januar die Zulassung erteilt. Wenn einzelne Staaten nun unkoordiniert agieren, stellt dies auch den Zulassungsprozess in der EU infrage. Ein Ausfall des Impfstoffs trifft die EU zu einem kritischen Zeitpunkt. Die Pläne, bis zum Sommer gegen 70 Prozent der Bevölkerung geimpft zu haben, sind infrage gestellt. Immerhin, der Hersteller Biontech/Pfizer kündigte am Dienstag an, sofort zehn Millionen Dosen mehr zu liefern. Das dürfte den Ausfall aber nur zum Teil kompensieren.
Der Impfstoff von AstraZeneca stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Erschwerend kommt vielleicht hinzu, dass Firmenchef Pascal Soriot das Unternehmen von Australien aus dirigiert und die Kommunikation wegen der Zeitverschiebung nicht einfach ist. Es fing an mit Fehlern bei den Studien vor der Zulassung. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Testverfahren hatten aus Versehen nur die Hälfte der zweiten Dosis bekommen. Zudem war bei den Studien die besonders kritische Gruppe der über 60-Jährigen zu wenig vertreten gewesen. Ein Grund, weshalb der Impfstoff zum Beispiel in der Schweiz und auch in den USA bis jetzt nicht zugelassen ist.
Kaum in der EU zugelassen, kündigte AstraZeneca an, im ersten Quartal weniger als die Hälfte der ursprünglich vorgesehenen 80 Millionen Dosen liefern zu können. Der Vorwurf in Brüssel: Statt wie vereinbart für die EU auf Halde vorzuproduzieren, habe der Pharmakonzern Impfdosen aus zwei Werken in Belgien und den Niederlanden nach Grossbritannien geliefert. AstraZeneca halte sich nicht an die vertraglichen Vereinbarungen. Spätestens seither ist der Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers ein Politikum auch zwischen Brüssel und London. Dort feiert Premier Boris Johnson den Erfolg seiner Impfkampagne. Der Erfolg basiert weitgehend auf dem Präparat von AstraZeneca, das in Oxford entwickelt wurde.
Triumph der Brexiteers
Grossbritannien ist beim Impfen viel weiter als die EU, für die englischen Nationalisten ein erster Triumph nach dem Brexit. Das britische Triumphgeheul kommt in Brüssel schlecht an. Die EU wolle den Briten ihren Impfstoff schlechtreden, heisst es nach den Suspendierungen von AstraZeneca nun in englischen Medien. Haben die Berichte über Nebenwirkungen mit Neid auf dem Festland zu tun und steht die EMA jetzt unter politischem Druck, die Zulassung aufzuheben? «Ich will hier klarstellen, dass unsere Überprüfung unabhängig und auf der Basis der Wissenschaft erfolgt», antwortete EMA-Direktorin Emer Cooke am Dienstag auf eine Frage. Die Schlagzeilen um AstraZeneca könnten aber unabhängig vom Ausgang der Überprüfung das Vertrauen in den Impfstoff weiter untergraben.
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