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Personalprobleme verschärfen sich
Der Armee laufen die Soldaten weg

Beim Start der Rekrutenschule sind noch vergleichsweise viele dabei, am Schluss der Dienstpflicht aber deutlich weniger.
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In seiner letzten Sitzung vor den Sommerferien sorgte der Bundesrat mit seinem umstrittenen Entscheid vom 30. Juni für kurzfristiges Aufsehen. Weil der Zivilschutz ein Problem mit dem Personalbestand hat, will der Bundesrat Zivildienstleistende in den Zivilschutz zwingen können. Bis nächsten Sommer will der Bundesrat dazu ein Gesetz präsentieren, das die Personalprobleme beim Zivilschutz entschärfen soll. Doch das entspricht nur der Spitze des Eisbergs, denn die erwarteten Unterbestände bei der Armee sind noch gravierender als beim Zivilschutz.

Um seine Massnahme zugunsten des Zivilschutzes zu untermauern, hat der Bundesrat einen knapp 50-seitigen Bericht verfasst. Dieser zeigt auf, mit welchen Personalproblemen vor allem auch die Armee ab Ende dieses Jahrzehnts konfrontiert ist. Deren Unterbestand dürfte in absehbarer Zeit mindestens 20’000 betragen. Die Erfüllung der Armeeaufträge könnte so nicht mehr in jedem Fall gewährleistet werden, befürchtet der Bundesrat.

«Akutes Problem»

Das Parlament hat bei der letzten Armeereform einen Armeebestand von 100’000 Armeeangehörigen festgelegt. Dieser Soll-Bestand kann gemäss Bundesrat nur erreicht werden, wenn ein Effektivbestand von 140’000 Armeeangehörigen eingehalten wird. Der Grund für diesen 1,4-mal höheren Effektivbestand ist, dass bei einer Mobilmachung nicht alle Armeeangehörigen zu einem Einsatz einrücken können.

Ein Hauptproblem besteht darin, dass sich die letzte Armeereform immer noch in der Umsetzungsphase befindet. Diese Reform beinhaltet einen Abbau an Beständen und Formationen. 2028 und 2029 werden deswegen je zwei Jahrgänge aus der Militärdienstpflicht entlassen, zwei mehr als es ohne Reform der Fall wäre. «Damit wird das Problem der Alimentierung der Armee akut werden», schreibt der Bundesrat. Zu diesen ausserordentlichen Entlassungen aus der Wehrpflicht kommen noch zahlreiche andere dazu: Armeeangehörige, die im Laufe ihrer Armeedienstpflicht ins Ausland gehen, krank werden oder zum Zivildienst wechseln. Zwischen 2013 und 2017 verliessen im Mittel pro Jahr 5453 Armeeangehörige aus medizinischen Gründen die Armee. 5826 wechselten von der Armee in den Zivildienst. Der Bundesrat zieht ob dieser Zahlen ein klares Fazit: «Bei gleichbleibenden Rekrutierungs- und Abgangswerten wird die Armee langfristig nicht in der Lage sein, den Effektivbestand von 140’000 Armeeangehörigen zu halten.»

Planer waren zu optimistisch

Vor Probleme stellen die Behörden vor allem jene Tausenden, welche die Armee verlassen, nachdem sie in der Rekrutenschule ausgebildet worden waren. Pro Rekrutenjahrgang, heisst es im Bericht, scheiden durchschnittlich rund 11’800 Armeeangehörige vorzeitig aus dem Militärdienst aus. Bei der letzten Armeekonzeption ging der Bund von etwa 2100 Abgängen nach absolvierter Rekrutenschule aus. In Tat und Wahrheit kehrten zwischen 2013 und 2017 im Durchschnitt aber 4900 ausgebildete Soldaten der Armee pro Jahr den Rücken. Das sind mehr als doppelt so viele wie von den Armeeplanern erwartet.

In den Jahren 2018 und 2019 sind die Zahlen etwas tiefer. Es kamen weniger Stellungspflichtige zur Rekrutierung, auch die Zahl der Abgänge liegt damit tiefer. Dies sei allerdings nur eine vorübergehende Situation, schreibt der Bundesrat. 2018 und 2019 erschienen rund 30’700 zur Rekrutierung, von ihnen waren 21’500 militärdiensttauglich. Im Vergleich zu den Vorjahren beträgt der Rückgang bei den Stellungspflichtigen rund 10’000 junge Männer. Dieser Rückgang sei vermutlich eine Folge davon, dass viele Stellungspflichtige von der neuen Möglichkeit Gebrauch machten, die Rekrutierung bis zum 24. Altersjahr aufzuschieben. Hier aber sei zu beachten, dass die Tauglichkeit mit steigendem Alter sinke, schreibt der Bundesrat.

Vorschläge für neue Dienstpflicht

Aus sicherheitspolitischer Sicht beunruhigend erscheint bei aller Zahlenakrobatik, dass diese gemäss Bundesrat höchstens einer Annäherung an eine künftige Bestandesrealität bei der Armee entspricht. Die letzte Armeereform von 2016 habe eine Flexibilisierung von Rekrutierung und Militärdienst gebracht. Das heisst, junge Männer können wählen, wann sie sich zur Rekrutierung melden. Wer die Rekrutenschule verschiebt (maximal bis zu dem Jahr, in dem ein Dienstpflichtiger das 25. Altersjahr vollendet), verschiebt damit automatisch auch den Zeitpunkt der Rekrutierung. Dies aber lasse «keine verlässlichen Prognosen zu den Beständen zu», schreibt der Bundesrat. Erst für die Zeit ab 2023 stellt der Bundesrat klarere Aussagen in Aussicht.

Für den Bundesrat ist trotzdem jetzt schon klar, dass die Bestände von Armee und auch Zivilschutz mit dem heutigen System der Dienstpflicht auf Dauer nicht gesichert werden können. Bis Ende dieses Jahres will er deshalb einen zweiten Bericht vorlegen. Dieser soll Varianten für neue Dienstpflichtsysteme beinhalten. Die Varianten sollen dann Anfang 2022 an die eidgenössischen Räte überwiesen werden.