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Parlamentswahl in Serbien
Der Alleinherrscher veranstaltet eine Farce

Gefällt sich in der Rolle des Erpressers: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic.
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Es gibt Politiker, die für einen Wahlsieg kämpfen. Und es gibt Aleksandar Vucic, der anscheinend nur eine Sorge hat: Wird es im neuen Parlament überhaupt eine Opposition geben? Dort würde der serbische Staatschef gern auch ein paar politische Gegner sehen, um dem Land wenigstens oberflächlich den Anstrich einer Demokratie zu geben.

An diesem Sonntag wählen die Serbinnen und Serben die Volksvertretung. Der Sieger steht schon fest: Vucics Fortschrittspartei (SNS), die seit 2012 ununterbrochen regiert. Die meisten Oppositionsparteien haben schon im vergangenen Herbst angekündigt, dass sie dem Urnengang fernbleiben werden. Auch die Bürgerbewegung «1 von 5 Millionen», die 2019 fast jeden Samstag Massenproteste gegen Vucic organisiert hatte, rief zum Boykott auf. In einem autokratischen Staat wie Serbien seien freie und faire Wahlen nicht möglich, argumentiert die Opposition.

Dauergast im Fernsehen

Mit seiner geballten Medienmacht nutzt der Präsident alle Mittel zum Tricksen, Täuschen und Lügen. In den wichtigsten Fernsehkanälen ist der einstige Ultranationalist Vucic Dauergast. Die aggressiven Boulevardblätter warnen beinahe täglich vor neuen Kriegen, Blutvergiessen, Chaos. Aber Serbien hat einen weitsichtigen Landesvater, der das Volk vor dem Schlimmsten bewahrt, so die Propaganda in den Medien. Innenpolitische Gegner werden mit Pressekampagnen diffamiert, das «Material» liefern die Geheimdienste, die Steuerbehörden, die Justiz – dort hält Vucic alle Fäden fest in der Hand.

Vucic ist in den letzten acht Jahren zum Alleinherrscher und zum ätzenden Alleinunterhalter des Balkanlands aufgestiegen. Wie selbstgerecht der Staatspräsident im politischen Alltag wirkt, konnte man besonders seit dem Ausbruch der Pandemie beobachten. Zuerst beruhigte er seine Landsleute mit der Legende, das Coronavirus lasse sich mit Pflaumenschnaps bekämpfen. Als die Zahl der Infizierten rasant stieg, verhängte Vucic den Ausnahmezustand, führte Ausgangssperren ein und stellte ältere Menschen unter Hausarrest. Gleichzeitig trat er täglich vor die Medien und erweckte den Eindruck, er allein kümmere sich um die Sorgen der Bürger.

Seine Anhänger vergleichen Vucic mit den grössten und sagenumwobensten Gestalten der serbischen Geschichte.

Der Belgrader Politologe Boban Stojanovic sagte in einem Interview mit Radio Free Europe, Vucic sei während der Corona-Krise zum Oberarzt des Landes, Oberbanker, Bürgermeister jeder Stadt und Chefredaktor aller Medien geworden – in Personalunion. «Er weiss alles und versteht alles. So wird der Personenkult eines Mannes kreiert, der angeblich nie schläft, oft auch nichts isst, weil er ständig Serbien verteidigt», so Stojanovic. Seine Anhänger vergleichen Vucic mit den grössten und sagenumwobensten Gestalten der serbischen Geschichte.

Ein abgekartetes Spiel

Einzelne Minister liefern sich verbale Scharmützel mit Politikern der Nachbarstaaten. Sobald die anvisierte Eskalationsstufe erreicht ist, springt Vucic ein und entschärft die Spannungen. Dabei handelt es sich laut dem Politologen Stojanovic um ein im Vorfeld abgekartetes Spiel, damit der Präsident gegenüber dem Westen als verantwortungsvoller Friedensstifter erscheinen kann.

Angesichts der schwachen und zerstrittenen Opposition hat sich die EU mit dem autoritären System Vucics arrangiert. Die US-Organisation Freedom House, die den weltweiten Pegelstand von Demokratie und Menschenrechten misst, stufte Serbien im jüngsten Bericht als «hybrides Regime» ein, also weder ganz Demokratie noch Diktatur.

Im Wahlkampf und während der Pandemie glich das Land eher einer chinesischen Provinz. Vucic bezeichnete die Einparteiendiktatur als verlässlicheren Partner als die EU. Auf Plakaten in Belgrad wird Präsident Xi Jinping als «Bruder» gepriesen, nachdem das Pekinger Regime medienwirksam medizinische Schutzgüter geliefert hatte. Tatsache ist, dass Serbien Schutzmasken in China gekauft hat. Der Wert der chinesischen Hilfe ist unbekannt. Die EU dagegen stellte Serbien 94 Millionen Euro für die Bewältigung der Krise zur Verfügung, Norwegen 5 Millionen, die Schweiz eine halbe Million.

«Deal à la Trump»?

Doch der Populist Vucic gefällt sich in der Rolle des Erpressers: Wenn die EU Serbien und die anderen Balkanstaaten nicht aufnimmt, so seine Botschaft, dann wenden sie sich an lupenreine Demokratien wie China, Russland oder die Türkei. Die Unterdrückung der Uiguren und die Abschaffung der Autonomie Hongkongs durch Peking begrüsst Belgrad ausdrücklich. Für die EU wird sich bald die Frage stellen, ob der serbischen Bevölkerung gedient ist, wenn sie mit der korrupten Regierungsclique über den Beitritt verhandelt.

Aber will Vucic überhaupt in die EU? Nein, sagte er am Donnerstag, wenn man seinem Land für die Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos nichts mehr als die EU-Mitgliedschaft anbietet. Er will seit Jahren den rohstoffreichen und mehrheitlich serbisch besiedelten Norden Kosovos seinem Land zuschlagen. Nach dem erwarteten Wahlsieg fliegt Vucic zuerst nach Moskau, um Wladimir Putin zu treffen. Am 27. Juni steht die nächste Dienstreise an: Im Weissen Haus sollen hochrangige Delegationen Serbiens und Kosovos über einen «Deal à la Trump» verhandeln. Die EU bleibt vorläufig nur Zaungast.