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Wahlen in Montenegro
Der Alleinherrscher muss um seine Macht bangen

Mit finsterer Miene: Milo Djukanovic hielt in der Nacht auf Montag eine staatstragende Rede, seine Partei werde das Wahlresultat «bedingungslos respektieren».
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Machtwechsel ist für die Bürger Montenegros ein Fremdwort. Seit 30 Jahren wird die kleine Adria-Republik von einem Mann regiert: Milo Djukanovic war viermal Premierminister und zweimal Staatschef. Dieses Amt übt er auch jetzt aus. Wegen seiner Art der Abrechnung mit politischen Gegnern wurde er «britva», «das Rasiermesser», genannt.

Nun muss Djukanovics prowestliche Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) um die Macht bangen. Bei den Parlamentswahlen am Sonntag hat sie schwere Verluste eingefahren. Im neuen Parlament erreichte nach vorläufigen Ergebnissen der Wahlkommission die proserbische und prorussische Opposition mit 41 Sitzen eine Mehrheit. Die DPS kommt auf 30 Mandate. Für den Machterhalt dürfte auch die Unterstützung der bisherigen Partner kaum reichen. Doch ganz abschreiben wollte Djukanovic am Montag niemand in der Hauptstadt Podgorica. Er bleibt weiterhin Präsident – und er wird vermutlich versuchen, einzelne Parteien der bisherigen Opposition auf seine Seite zu ziehen. Djukanovic hielt in der Nacht auf Montag eine staatstragende Rede, seine Partei werde das Wahlresultat «bedingungslos respektieren», sagte der Politiker mit finsterer Miene.

Ein leichtes Spiel mit den Gegnern

Seine Gegner haben die Bildung einer Expertenregierung angekündigt, um die Wirtschaftskrise und die weit verbreitete Korruption zu bekämpfen. «Montenegro ist nicht länger das einzige Land der Welt, in dem es keinen Machtwechsel durch Wahlen gegeben hat. 30 Jahre lang haben wir das erwartet. Ich wurde geboren, als dieser Mann, der letzte europäische Diktator, an die Macht kam», sagte der Oppositionsführer Aleksa Becic. Djukanovic als Diktator zu bezeichnen und ihn gar mit dem weissrussischen Autokraten Alexander Lukaschenko zu vergleichen, entspricht jedoch nicht der politischen Realität Montenegros.

Djukanovic hatte stets ein leichtes Spiel mit seinen Gegnern. Sie waren oft zerstritten und unfähig, einen Machtwechsel herbeizuführen. Einige lehnen die Unabhängigkeit des Landes ab und träumen sogar von einer Staatenunion mit Serbien und einer panslawischen Allianz mit Russland, etwa 30 Prozent der knapp 630’000 Einwohner betrachten sich als Serben. Djukanovic ist kein Ideologe und kein Nationalist. Seit seinem Bruch mit dem serbischen Gewaltherrscher Slobodan Milosevic Ende der 90er-Jahre hat der Montenegriner die bosniakische (muslimische) und die albanische Minderheit in die Regierung eingebunden. Djukanovic regiert den Staat wie ein Familienunternehmen. Sein Sohn, sein Bruder und seine Schwester kontrollieren Banken, Staatsunternehmen und Immobilien.

Montenegro war von 1878 bis 1918 ein unabhängiger Staat mit einer eigenen orthodoxen Kirche.

Ende 2019 machte der geschickte Taktiker einen entscheidenden Fehler. Um eine eigenständige montenegrinische Identität zu festigen, versuchte er per Gesetz die Kirchen, Klöster und Ländereien der serbisch-orthodoxen Kirche zu nationalisieren. Dagegen liefen grosse Teile der Opposition und religiöse Würdenträger Sturm, es begann die Operation Machtwechsel. Montenegro war von 1878 bis 1918 ein unabhängiger Staat mit einer eigenen orthodoxen Kirche. An der Spitze der Protestmärsche im ganzen Land standen Popen, die offen mit Belgrad und Moskau sympathisieren.

Gegner der Regierung: Der orthodoxe Metropolit Amfilohije Radovic.

Die serbische Boulevardpresse führte eine gehässige Kampagne gegen Djukanovic, russische Diplomaten kritisierten ihn wegen seiner prowestlichen Politik. Russland musste in den letzen Jahren mehrere Rückschläge hinnehmen: Montenegro trägt die EU-Sanktionen gegen Moskau mit, und 2017 folgte der Nato-Beitritt. Damit schloss das westliche Verteidigungsbündnis seine Adria-Flanke. Die Aufnahme des Balkanlandes in die Nato «verletzt direkt die Interessen Russlands und zwingt uns zu entsprechenden Reaktionen», hatte das russische Aussenministerium gewarnt. Kurz vor den Parlamentswahlen 2016 sollen russische Geheimdienstler und ehemalige serbische Sonderpolizisten versucht haben, Djukanovic zu stürzen. Die Opposition sah darin eine Erfindung des Regimes. Zwei russische Agenten wurden im vergangenen Jahr zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Das Verfahren gegen sie wurde in ihrer Abwesenheit geführt. Neun serbische Staatsbürger erhielten insgesamt 28 Jahre Haft.

«Stabilokrat» in einer unruhigen Region

Die EU und die USA hatten mangels Alternativen Djukanovic immer wieder unterstützt, er gilt als «Stabilokrat» in einer unruhigen Region. Die Krönung seiner politischen Karriere erreichte er im Mai 2006, als sich seine Landsleute in einem Referendum für die Unabhängigkeit entschieden. Zuvor hatte er sich für die Beteiligung montenegrinischer Soldaten bei den Angriffen auf die kroatische Stadt Dubrovnik entschuldigt – eine Premiere auf dem Balkan. Wegen dieser Gesten geniesst Djukanovic ein relativ hohes Ansehen in den Nachbarstaaten Kroatien und Bosnien, und auch die Beziehungen zu Albanien und Kosovo sind eng. Dass Montenegro in den 90er-Jahren eine Drehscheibe für den Zigarettenschmuggel über die Adria nach Westeuropa war, ist nicht nur in Brüssel längst vergessen. Ermittlungen in Italien und in Deutschland sind im Sand verlaufen.